Man kann sich nicht gratis vorsorglich auf Geschlechtskrankheiten testen lassen – das muss sich ändern
Dieser Beitrag wurde am 09.01.2020 auf bento.de veröffentlicht.
An U-Bahnhöfen und Litfaßsäulen überall in meiner Stadt hängen Plakate mit der Aufschrift: "Juckt's im Schritt? Lass dich testen!" Wenn ich sie sehe, werde ich wütend.
Dabei stimme ich zu: Tests auf sexuell übertragbare Infektionen (STI) sind wichtig, um uns und unsere Sexpartnerinnen und Sexpartner nicht zu gefährden. Was mich aufregt: Die Plakat-Kampagne wird von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) finanziert, einer staatlichen Institution.
Die gesetzlichen Krankenkassen zahlen aber gar nicht für Vorsorge-Tests auf STI.
Wenn ich ein verantwortungsvolles Sexleben führen will, wird das teuer. Was der Staat in der Kampagne von mir verlangt, kostet bei meiner Gynäkologin um die 80 Euro – pro getestetem Krankheitserreger. Wenn ich mich nur auf ein paar leicht übertragbare Krankheiten testen lassen möchte, die häufig bei Frauen vorkommen – so wie Chlamydien, Gonorrhoe und Trichomonaden – dann bin ich schon bei 240 Euro.
Immer weniger Menschen in Deutschland infizieren sich mit HIV (Aidshilfe ). Andere STI-Infektionen nehmen aber zu: Die
Zahl der Syphilis-Infektionen ist zwischen 2010 und 2017 kontinuierlich gestiegen (ECDC ). In Sachsen, wo Gonorrhoe meldepflichtig ist, haben sich
die Fälle seit 2001 mehr als verzehnfacht (LUA ).
Nur in einem Fall wird der STI-Test von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen: wenn man Symptome hat. Der Haken ist: Viele sexuell übertragbare Krankheiten – wie Gonorrhoe, Chlamydien, Trichomonaden und HPV (Human Papilloma Virus) – verlaufen oft ohne Symptome, vor allem bei Frauen (Bundesgesundheitsministerium ). Diese Krankheiten können übrigens schon durch Oralsex übertragen werden oder durch Schmierinfektionen, also, wenn man Genitalien aneinander reibt oder wenn Sperma oder Scheidensekret mit dem Genitalbereich der anderen Person in Berührung kommt.
Es gibt zwar Ausnahmen. Ein Test auf Chlamydien gehört zum Leistungsumfang der Krankenkassen – allerdings nur einmal jährlich, nur für Frauen und nur bis zu ihrem 25. Geburtstag.
Für alle anderen gibt es keinen kostenlosen Weg, das herauszufinden.
STI sind nicht zwangsläufig Grund zur Panik. Die meisten lassen sich unkompliziert behandeln. Gegen Gonorrhoe und Chlamydien gibt es Kurzzeit-Antibiotika. Selbst HIV ist heute kein Todesurteil mehr. Wichtig ist aber, bei allen Infektionen mit der Behandlung nicht zu lange zu warten. Weil man in der Zwischenzeit andere anstecken kann. Aber auch, weil unbehandelte STI sehr unangenehme Folgen haben können. Sie können auf anderen Organe übergreifen und sie beschädigen, das Risiko für eine HIV-Infektion erhöhen oder unfruchtbar machen. Nur: Um sich frühzeitig zu behandeln, muss man erst einmal wissen, ob man krank ist.
Kostenlos oder zumindest günstiger als bei der Ärztin ist es, die Tests beim Gesundheitsamt zu machen. HIV-Tests werden dort fast immer gratis angeboten. Allerdings testen nur 56 Prozent der 400 Gesundheitsämter in Deutschland auf Syphilis. Chlamydien- und Gonorrhoe-Tests machen weniger als ein Drittel der Ämter und nur 13 Prozent bieten gynäkologische Untersuchungen an, mit denen man zum Beispiel eine Vaginose, Pilzerkrankung oder Genitalwarzen feststellen kann (Bundesgesundheitsblatt ). Auch Aidshilfen und andere zivilgesellschaftliche Projekte bieten manchmal STI-Tests an – meistens richten sie sich an Männer, die mit Männern schlafen.
"Lass dich testen", fordert die Plakat-Kampagne der BzgA. Wenn eine staatliche Stelle Geld in eine solche Kampagne steckt, warum sorgt die Bundesregierung dann nicht dafür, dass das auch für alle kostenfrei und unkompliziert ist?
Gesetzliche Krankenkassen müssen gewisse Pflichtleistungen erfüllen – welche das sind, entscheidet der Gesetzgeber.
Janka Hegemeister, eine Sprecherin des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) sagt bento, jeder habe eine Eigenverantwortung sich "gesundheitsfördernd" zu verhalten. Tests ohne einen "begründeten Verdacht auf Ansteckung" würden die Kassen nicht übernehmen, das sei nicht die Aufgabe der Gemeinschaft, die in die Kasse einzahlt. Klingt, als würde ein sehr traditionelles Gesellschaftsbild dahinter stehen.
Als Risikogruppen für STI gelten unter anderem Menschen mit wechselnden Geschlechtspartnern und Männer, die Sex mit Männern haben. Wer sich "gesundheitsfördernd" verhalten will, lebt also am besten hetero und monogam. Wer mit unterschiedlichen Menschen schläft, verschiedene Sexpraktiken ausprobiert oder Sexarbeit macht ist selbst schuld, wenn er sich etwas einfängt.
In anderen Bereichen der Medizin gilt diese Logik nicht.
Mindestens einmal im Jahr sollen wir vorsorglich zur Zahnärztin gehen – egal, ob wir Zahnschmerzen haben oder nicht. Wir kriegen von der Kasse sogar einen Bonus, wenn wir das fünf Jahre lang durchziehen. Obwohl es auch sicher Risikogruppen gibt: Schokoladenfans, Konditoren, Bonbonverkäuferinnen. Doch in diesem Fall ist das egal.