Wie der Sexmarkt in Deutschland funktioniert

Dieser Beitrag wurde am 27.01.2018 auf bento.de veröffentlicht.
Wer heute Sex kaufen möchte, der findet, was er sucht. Offline und natürlich online: Im Internet präsentieren sich Frauen mit Steckbrief und Fotos. Wer Interesse hat, ruft an und vereinbart einen Termin. Unkomplizierter geht es kaum.
Den gesamten Sexmarkt in Deutschland überblickt jedoch niemand. Wie viele Frauen arbeiten als Prostituierte? Wie viele tun es freiwillig? Wer wird gezwungen? Und: Wie reagiert der Staat darauf?
Wir haben uns diesen Fragen genähert:
Wie viele Frauen prostituieren sich?
Wie gesagt: Niemand weiß genau, wie viele Frauen tatsächlich als Prostituierte arbeiten. Auf der Suche nach Zahlen landet man immer wieder bei dieser groben Schätzung: Zwischen 100.000 und 400.000 Prostituierte soll es in ganz Deutschland geben. (Plenarprotokoll des Bundestages) Sicher ist sich aber niemand. Das liegt laut Charlie Hansen vom Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistung e.V. (BesD) auch an der hohen Fluktuation: Viele Frauen würden nur ein- oder zweimal als Prostituierte arbeiten.
Mit der Anzahl der Freier verhält es sich ähnlich: 2013 soll es 1 bis 1,2 Millionen tägliche Freier gegeben haben (Welt). Auch das nur der Versuch einer Schätzung.
Wie landen Frauen in der Prostitution? Und wie freiwillig verkaufen sie ihren Körper?
Gilt das Recht auf freie Berufswahl auch für Prostituierte? Verkaufen Frauen ihren Köper freiwillig? Werden sie gezwungen? Verdrängen sie, was sie tun? Über diese Fragen diskutieren Wissenschaftler, Politiker, Sozialarbeiter, Aktivisten – in Deutschland und in anderen Ländern.
Undine de Rivière gehört zu den Befürwortern. Während ihres Physik-Studiums fing sie in der Sexarbeit an, ihr Studium hat sie erfolgreich beendet, bei der Prostitution ist sie geblieben, seit 23 Jahren schon. Sie besitzt ein eigenes Studio und hat einen Blog zum Thema Sexarbeit in Deutschland, im Mai wird außerdem ihr Buch “Mein Huren-Manifest: Inside Sex-Business“ über ihr Leben und die Erfahrungen innerhalb des Rotlichtmilieus erscheinen.
"Das war persönliche Neugier und absolut Eigeninitiative", sagt Undine de Rivière über ihren Einstieg. Und: "Ich mag meinen Job sehr gerne und habe nicht vor, etwas zu ändern."
Doch Undine de Rivière gehört nicht zu den Prostituierten, die für eine halbe Stunde Sex weniger als 40 Euro bekommen oder für einen Blowjob 20. Bei ihr kostet eine halbe Stunde 150 Euro.
Für Ingeborg Kraus spielt der Preis keine Rolle. Die Psychotherapeutin ist spezialisiert auf Trauma durch Prostitution, in ihrer eigenen Praxis behandelt sie vor allem Frauen. Sie sagt: Prostitution ist nie freiwillig, sondern immer eine Vergewaltigung. Deswegen fordert Kraus ein Sexkaufverbot für Deutschland – ein Vorbild könnte Schweden sein. Dort ist das Kaufen von Sex seit 20 Jahren verboten.
Wie viele Frauen zum Sex gezwungen werden, diese Frage kann auch Kraus nicht beantworten. Einen Anhaltspunkt liefert das Bundeskriminalamt (BKA) mit seinem Bericht über Menschenhandel in Deutschland. Das Kapitel "Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung“ listet auf, wie viele Frauen zum Sex gezwungen und wie reine Tauschware behandelt werden. Allerdings kann das BKA natürlich nur die Fälle zählen, die ihm bekannt sind.
Wie geht der Staat mit dem Thema Prostitution um?
2002 wurde das Prostitutionsgesetz (ProtG) verabschiedet, es bezieht sich hauptsächlich auf die Verträge zwischen Prostituierten und Freier. Sexuelle Handlungen mit Entgelt wurden damit zu einer rechtswirksamen Vereinbarung. Prellt ein Freier also die Zeche, kann er dafür also rechtlich belangt werden.
Das war vor 2002 anders: Prostitution war zwar nicht verboten, galt allerdings als sittenwidrig. Rechtsgültige Verträge gab es deswegen nicht. “Viel geändert hat sich in der Praxis dadurch aber nichts“, sagt Undine de Rivière. Im Juli 2017 trat ein neues Gesetz in Kraft.
Dank der neuen Meldepflicht für Bordelle kann die Polizei gezielter gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel vorgehen, das ist natürlich positiv. Ansonsten kritisieren viele Juristen, Sozialarbeiter und Prostituierte das Gesetz: Es sei nicht auf die Arbeit der Prostituierten zugeschnitten, würde mehr Probleme bringen als beseitigen. So geben viele Frauen ihren Beruf in der Sexarbeit ungern preis. Das neue Gesetz erfordert allerdings eine namentliche Registrierung und erzwingt damit ein Outing. Wer da nicht mitmache, den treibe es unfreiwillig in die Illegalität. Undine de Rivière sagt: "Dieses Gesetz gehört in die Mülltonne."
Wie machen es andere Länder?
In Schweden zum Beispiel ist Prostitution seit 1998 verboten, konkret: Frauen dürfen zwar sexuelle Dienstleistungen anbieten, Männer dürfen sie aber nicht annehmen. Die Freier machen sich also strafbar, die Frauen nicht. Dadurch haben Frauen, die sich trotzdem prostituieren, immerhin eine gewisse Macht über die Männer. (Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestag)
Das Gesetz habe den Sexmarkt verändert, nicht abgeschafft, sagen die Gegner. Der Verkauf sexueller Dienstleistungen werde nun vor allem aus dem Ausland und im Internet organisiert, vor allem junge Frauen mit Drogenproblemen prostituierten sich dort. Auch die Kunden hätten sich verändert: Die "Netten" seien verschwunden, zurück blieben die "Perversen".
Das Gesetz habe den Sexmarkt im Land stark verkleinert, sagen die Befürworter. Außerdem habe es einen moralischen Effekt: Die Bürger würden nun anders über Prostitution denken. (Zeit Online)