Studie Sex hat kaum Einfluss auf Infarktrisiko

Sex kann das Herz belasten. Doch wie groß ist die Infarktgefahr beim Geschlechtsverkehr wirklich? Eine neue Studie entkräftet alte Mythen.
Von Stephan Soutschek
Senioren im Bett: Sex nicht gefährlicher als ein flotter Spaziergang

Senioren im Bett: Sex nicht gefährlicher als ein flotter Spaziergang

Foto: Corbis

Als der dänische König Friedrich VIII. im Mai 1912 auf einer Reise von Nizza nach Kopenhagen in Hamburg haltmachte, erlitt er auf offener Straße einen Herzinfarkt, an dem er schließlich auch verstarb. Bis heute hält sich das Gerücht, der Herrscher habe kurz zuvor ein örtliches Bordell besucht - und die Herzattacke sei die Folge von zu anstrengendem Geschlechtsverkehr gewesen.

Geschichten dieser Art sind für die meisten Menschen kaum mehr als eine lustige Anekdote. Bei Herzpatienten lösen sie dagegen ernst zu nehmende Sorgen aus. Völlig unbedenklich ist Geschlechtsverkehr für das Herz nämlich nicht. Blutdruck und Puls steigen an, was die Infarkt-Gefahr erhöhen kann. Eine Langzeituntersuchung von der Universität Ulm gibt nun aber Entwarnung: Die Gefahr, während des Akts oder kurz danach einen Herzinfarkt zu erleiden, ist wohl nur sehr gering.

Herzinfarkt tritt selten nach dem Sex auf

Für die Studie, die im "Journal of the American College of Cardiology" erschienen ist, wertete ein Team um Dietrich Rothenbacher die Daten von 536 Patienten aus, die alle kurz zuvor einen Herzinfarkt erlitten hatten. Beim Großteil der Teilnehmer handelte es sich um Männer. Auf einem Fragenbogen mussten die Teilnehmer angeben, wie häufig sie vor ihrem Infarkt Sex gehabt hatten und wann sie das letzte Mal vor dem Vorfall aktiv gewesen waren.

Nur drei Patienten hatten in der Stunde vor ihrem Herzinfarkt Geschlechtsverkehr gehabt. Das sind gerade einmal 0,7 Prozent. Bei fast 80 Prozent der Teilnehmer lag das letzte Mal mehr als 24 Stunden zurück. "Auf Grundlage dieser Daten erscheint es sehr unwahrscheinlich, dass sexuelle Aktivität ein bedeutender Auslöser für eine Herzattacke ist", sagt Rothenbacher.

Überschaubares Risiko

Die Forscher beobachteten die Patienten im Durchschnitt zehn Jahre lang. In diesem Zeitraum traten 100 neue Herzinfarkte auf. Wie häufig die Betroffenen Sex hatten, beeinflusste das Risiko hier ebenfalls nicht. Allerdings griffen die Wissenschaftler für diese Auswertung auf die Angaben zurück, wie oft die Teilnehmer vor dem Infarkt sexuell aktiv gewesen waren. Für die Zeit danach hatten sie keine neuen Daten erhoben. "Wir sind davon ausgegangen, dass die Häufigkeit von Geschlechtsverkehr nach dem Infarkt leicht abnimmt, das Muster im Großen und Ganzen aber unverändert bleibt", sagt Rothenbacher.

Die Forscher sind überzeugt: Sex stellt für Herzpatienten im Allgemeinen ein überschaubares Risiko dar. "Sobald der Gesundheitszustand eines Betroffenen stabil ist, kann er in der Regel sexuell aktiv sein", sagt Rothenbacher. Für Infarktpatienten habe es zudem Vorteile, wenn sich nicht in Enthaltsamkeit üben müssen. Regelmäßiger Geschlechtsverkehr trägt zur Lebensqualität bei und hilft, Stress abzubauen und Depressionen vorzubeugen. Laut der Deutschen Herzstiftung ist die Belastung für das Herz beim Sex nicht höher als bei einem schnellen Spaziergang.

Ärzte empfehlen bestimmte Stellungen

Wer Herzprobleme hat und sich unsicher fühlt, spricht am besten seinen Arzt auf das Thema an. Mit Hilfe eines vergleichsweise einfachen Ergometer-Tests lässt sich abschätzen, welche körperlichen Belastungen für einen Patienten zumutbar sind. Rothenbacher plädiert dafür, dass Ärzte ihre Patienten von sich aus verstärkt in Sachen Sex aufklären.

Experten raten dennoch eher davon ab, das komplette Kamasutra durchzuprobieren. Mediziner hatten vor rund zwei Jahren als Anhang einer Broschüre Darstellungen von mehreren Stellungen  veröffentlicht, die für Menschen mit Herzkrankheiten empfehlenswert sind. Günstig sind demnach vor allem Positionen, bei denen der Patient nicht oben liegt und die Anstrengung sich infolgedessen in Grenzen hält.

mit Material von dpa
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