Merkels Umkleide-Fotos Bundesregierung empört über "Sun"
(Aus dem SPIEGEL-ONLINE-Archiv: Artikel vom 18.04.2006)
Berlin - Angela Merkel lernt gerade die Schattenseiten der Kanzlerschaft kennen. Nachdem vor kurzem Mitarbeiter des Berliner Pergamon-Museums staunenden Reportern vorführten, wie sie durch eine Sicherheitskamera Merkels Ehemann Joachim Sauer beim Fernsehen im Wohnzimmer beobachten konnten, wurde die Kanzlerin nun in ihrem ersten Urlaub seit Amtsantritt von Paparazzi erwischt.
Die britische Boulevard-Zeitung "The Sun" druckte ein Foto, auf dem Merkel von hinten beim Wechseln ihres Badeanzugs zu sehen ist. Merkel ist gerade dabei, den Slip überzuziehen, als der Fotograf auf den Auslöser drückt. Zwar trägt sie einen weißen Bademantel als Sichtschutz, aber der ist bei der Aktion nach oben verrutscht.
"Big in the Bumdestag", spottet die "Sun" mit gewohnter Gnadenlosigkeit. "Bum" ist im Englischen der umgangssprachliche Ausdruck für Hintern. Die Kanzlerin habe die deutsche Wirtschaft hochgezogen, "und jetzt zieht sie ihre Hosen hoch". Die "Iron Frau" habe viel zu feiern, meint die "Sun", und wünscht doppeldeutig "Bottoms Up". Der Trinkspruch, der eigentlich auf die Glasböden abzielt, kann auch anders übersetzt werden: Hintern hoch.
Die Bundesregierung findet das gar nicht witzig. "Nicht die feine britische Art" sei das, kommentierte Regierungssprecher Thomas Steg. Auch die "Bild"-Zeitung zog in den Kampf für Merkels Privatsphäre. "Engländer verhöhnen unsere Kanzlerin", empörte sich die Zeitung, die sonst die Boulevardisierung des Politischen nach Kräften vorantreibt. Sie druckte das Foto nach, allerdings nur klein und mit einem roten Balken über dem Allerwertesten der Kanzlerin.
"Das Foto ist ein perverses Kompliment"
Der Presse-Attaché der britischen Botschaft in Berlin erinnerte in der "Bild"-Zeitung daran, dass die Presse von der Insel eine "lange Tradition von Respektlosigkeiten" habe und man den Bericht daher nicht überbewerten solle. Heute wollte er die Angelegenheit nicht weiter kommentieren. Man wolle nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen, so die Auskunft an SPIEGEL ONLINE.
Der Berlin-Korrespondent der britischen "Times", Roger Boyes, rät Merkel zur Gelassenheit. "Das Foto ist ein perverses Kompliment", sagte der Engländer SPIEGEL ONLINE. "Es zeigt, dass Merkel ernst genommen wird." Tatsächlich wird in dem schlüpfrigen "Sun"-Text jener positive Grundton über Deutschlands Wirtschaft vermittelt, den die britische Presse seit neuestem anschlägt.
Die Kanzlerin solle bloß nicht den Fehler machen und klagen, meint Boyes. Damit habe sich schon ihr Vorgänger Gerhard Schröder keinen Gefallen getan, dessen Prozess wegen seiner Haarfarbe ihn nur noch mehr zum Gespött gemacht habe.
Die Bundesregierung will die Sache auf sich beruhen lassen. Ein Regierungssprecher sagte SPIEGEL ONLINE: "Juristische Schritte sind nicht beabsichtigt." Das öffentliche Urteil in Deutschland über die Fotos sei "eindeutig".
Wollte Merkel doch klagen, würde sie wahrscheinlich Recht bekommen. "Jedes Gericht würde sofort zu Gunsten von Frau Merkel entscheiden", sagte Hendrik Zörner, Sprecher des Deutschen Journalistenverbands, gegenüber SPIEGEL ONLINE. "In Deutschland gilt der Grundsatz, dass auch Politiker ein Recht auf Privatsphäre haben. Im Zweifel sagen die Gerichte, dass die Privatsphäre Vorrang habe, vor allem bei einer Politikerin wie der Bundeskanzlerin, die schon immer vorsichtig war, ihre Privatsphäre abzuschotten."
Kohl und Blair in Badehose
Es ist die besondere Ironie an der Geschichte, dass gerade Merkel ihre Privatsphäre immer besonders gehütet hat. Im Gegensatz zu ihren Vorgängern Kohl und Schröder hat sie nie sorgfältig inszenierte Einblicke in das Privatleben erlaubt. Die Datscha in der Uckermark war tabu, es gab keine Home-Stories aus der Wohnung in Berlin, ihr öffentlichkeitsscheuer Ehemann Joachim Sauer boykottierte selbst die Vereidigung seiner Frau im Bundestag.
Doch früher oder später musste es wohl so kommen: Die erste Frau an Deutschlands Spitze im Urlaub war eine zu große Verlockung für die internationale Schnappschuss-Szene. Parallel zur "Sun" druckte auch die englische Zeitung "Daily Sports" Umkleide-Fotos von Deutschlands Kanzlerpaar. "Merkel ist jetzt in der Klasse von Caroline von Monaco gelandet", meint Boyes.
So geschmacklos die Fotos sind: Merkel ist keinesfalls die erste Politikerin, die dieses Schicksal zu erleiden hat. Den britischen Premier Tony Blair traf es vor drei Jahren, als Fotografen ihn in Badehose auf der Karibik-Insel Barbados erwischten. Tagelang debattierte das Volk über die Figur des Regierungschefs und echauffierte sich über seinen Geschmack. "Ich glaube, Mister Blair wollte nochmal auf jung machen", klagte ein britischer Urlauber, der seinen Premier am Strand traf. "Die Farbe (der Badehose) war abscheulich - irgendwas Grünliches - und vor allem war sie einfach zu eng."
Auch Helmut Kohl musste sich am Ende bloßstellen lassen: Nachdem er es jahrzehntelang erfolgreich hatte vermeiden können, wurde der damalige Kanzler 1997 im australischen Port Douglas doch noch in Badehose abgelichtet. Während sich die mitgereisten deutschen Fotografen auf Kohls Schnorcheltour am Great Barrier Reef an das Fotoverbot hielten, drückten einheimische Paparazzi am Tag darauf ab, als Kohl sich mit nacktem Oberkörper am Hotel-Pool zeigte.
Selbst die betont seriöse "FAZ" ließ es sich damals nicht nehmen, den Körper ihres Helden zu begutachten. "Jetzt kann die ganze Welt den deutschen Kanzler in der Badehose betrachten", schrieb das Blatt. "Er sieht, wie ein Blick in die australischen Morgenblätter ergab, ohne Anzug eigentlich nicht anders aus als mit: so wie man sich einen 'schwarzen Riesen' vorzustellen hat."