Politiker-Affären Von Bin Baden bis Bin Nacktbaden
(Aus dem SPIEGEL-ONLINE-Archiv: Artikel vom 08.12.2006)
Berlin - Wenn Politiker privat werden, so scheint es, verlässt sie bisweilen ihr politischer Instinkt. Das ist zwar menschlich, kann aber in der öffentlichen Wahrnehmung verheerende Folgen haben. Im Fall des EU-Kommissars Günter Verheugen setzt sich gerade eine neue Lawine in Gang. Seit die "Bild" gestern berichtete, der "Focus" prüfe die Veröffentlichung von Nacktfotos von Verheugen und seiner Kabinettschefin Petra Erler, werden die Rücktrittsforderungen wieder lauter. Die Fotos sollen die beiden an einem FKK-Strand in Litauen zeigen.
Eine erste Welle der Empörung hatte es gegeben, als der "Focus" im Oktober Fotos veröffentlichte, die Verheugen Händchen haltend mit Erler in der litauischen Stadt Klaipeda zeigten. Beide dementierten damals eine Affäre: Man sei nur befreundet und gemeinsam in den Urlaub gefahren. Auch die Beförderung Erlers zur Kabinettschefin im April habe rein fachliche Gründe.
Auch Verheugens Arbeitgeber, die EU-Kommission, wollte keinen Regelverstoß erkennen und behandelte dies als Privatangelegenheit des deutschen Kommissars. Das Gerücht von Nacktfotos hat an dieser Haltung nichts geändert: Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso ließ gestern mitteilen, er kommentiere das Privatleben anderer Menschen nicht.
Verheugen scheint die Sache aussitzen zu wollen. Das könnte klappen, denn neben der Kommission weiß der Sozialdemokrat auch die SPD-Spitze hinter sich. Und auch wenn einzelne in der Union Verheugens Kopf fordern: Kanzlerin Angela Merkel kann kurz vor der EU-Ratspräsidentschaft eigentlich kein Interesse an einem Rücktritt ihres Kommissars haben.
Erinnerung an Scharping
Die Erfahrung zeigt allerdings, dass manche Lawinen nicht zu stoppen sind. Als die ersten Fotos des Händchen haltenden Verheugen auftauchten, wurden umgehend Erinnerungen an Rudolf Scharping wach. Unter der Schlagzeile "Total verliebt auf Mallorca" veröffentlichte die Illustrierte "Bunte" im August 2001 mehrere Bilder, die den getrennt von seiner Frau lebenden SPD-Politiker im Urlaub mit seiner neuen Lebensgefährtin Kristina Gräfin Pilati-Borggreve zeigten: Badend, in einem Pool. Unter der Überschrift "Rudolf der Eroberer" zeigte später auch der SPIEGEL Fotos von Scharping, der turtelte, während die Bundeswehr unmittelbar vor einem Einsatz in Mazedonien stand. In der SPD spotteten Parteifreunde über "Rudi Bin Baden". Die Urlaubsfotos läuteten das Ende von Scharpings Karriere ein.
Es gab erste Rücktrittsforderungen. Doch Kanzler Gerhard Schröder stärkte seinem Minister den Rücken. Der Verliebte selbst sah viel Neid, "wenn ein anderer glücklich ist". Kurze Zeit später geriet er jedoch durch neuerliche Kapriolen weiter unter Druck. Nach nur einer Nacht auf der Insel war er von dort mit einer Maschine der Flugbereitschaft zu einem Besuch in Mazedonien abgeholt worden. Zum Rückflug benutzte er einen eigentlich für die CDU/CSU-Fraktionsspitze reservierten Jet.
Vor der SPD-Fraktion bedauerte Scharping die Veröffentlichung seiner Urlaubsfotos, die Vorhaltungen wegen seiner Flüge seien aber eine "Verleumdung". Insgesamt soll der Minister seit seiner Bekanntschaft mit der Gräfin etwa 40 Mal die Flugbereitschaft nach Frankfurt am Main genutzt haben. Scharping war angeschlagen, aber es bedurfte einer weiteren Affäre, der Zusammenarbeit mit der Frankfurter PR-Agentur Hunzinger, die ein Jahr später zu seinem Rücktritt führte.
Schröder und Pflüger: Rosenkriege ohne Folgen
Wenn Privates politisch wird, leiden häufig die Umfragewerte. Das musste auch Gerhard Schröder erfahren, der sich ab 1996 einen Rosenkrieg mit seiner Frau Hiltrud lieferte. Sie war eine politisch engagierte Frau, die den Aufstieg ihres Mannes zum Ministerpräsidenten auch mit eigenem Ehrgeiz begleitete. Er nannte sie "Super-Hillu", sie galten als "die Clintons von der Leine".
Doch politisch wie privat lief es zunehmend auseinander. Sie vertrat linke und grüne Positionen, er wurde immer mehr zum "Genossen der Bosse". 1996 lernte Schröder zudem in einer Hotelbar die 32-jährige "Focus"-Reporterin Doris Köpf kennen. Als er einige Wochen später im Hubschrauber eine Bohrinsel in der Nordsee besuchte, zählte Köpf zur Pressedelegation. "Die Köpf sitzt bei mir vorn", soll Schröder gesagt haben. Am selben Abend gestand er seiner Frau die Affäre. Sie schmiss ihn raus, und es begannen die gegenseitigen Vorwürfe. Hiltrud schrieb ein Buch "Auf eigenen Füßen", er sagte, darin stehe nicht die Wahrheit. Der öffentliche Streit könnte seine Karriere belasten, fürchtete Schröder. "Vor allem glaube ich, dass mir Frauen zwischen 40 und 50 die Trennung verübelt haben", sagte er der Frauenzeitschrift "Marie Claire". Doch er erholte sich von dem Imagetief - nicht zuletzt dank der neuen Frau an seiner Seite.
Ähnlich erging es dem CDU-Abgeordneten Friedbert Pflüger. Bis vor kurzem lieferte er sich mit seiner Ex-Frau Margarita Mathiopoulos einen über die Boulevardblätter ausgetragenen Rosenkrieg. Das "Powerpaar der Republik" ("Park Avenue") trennte sich 2003, nachdem Pflüger eine Affäre mit seiner zur Assistentin beförderten Ex-Praktikantin Sibylle Hällmayr begonnen hatte. Die erfolgreiche Geschäftsfrau Mathiopoulos erfuhr davon erst, als bereits halb Berlin tuschelte. Sie gab die Trennung bekannt - per Pressemitteilung. Vorab informiert waren Angela Merkel und Guido Westerwelle, nicht aber Pflüger. Tags darauf bekannte Pflüger in der "Bild": "Ja, ich liebe meine Assistentin".
Es folgte ein Scheidungskrieg. Mathiopoulos klagte gegen die gerichtliche Anordnung, 157.000 Euro an den inzwischen zum Staatssekretär im Verteidigungsministerium aufgestiegenen Pflüger zu zahlen. "Meines Erachtens ist die Ehefrau, die freiwillig ihrem Parlamentarischen-Staatssekretär-Noch-Ehemann, seiner Praktikantin und deren unehelichem Kind unter die Arme greifen soll, noch nicht geboren", schrieb sie in einem Leserbrief an den "Focus". Doch Pflüger bekam Recht. Letzten Monat zahlte Mathiopoulos. Wie bei Schröder hat auch bei Pflüger die neue Frau einen dauerhaften Imageschaden verhindert. Im Berliner Wahlkampf inszenierte Pflüger sein junges Familienglück mit Baby Leo, es gab nette Home Stories über "die Pflügers von nebenan".
Wie Waigel über die Skiläuferin stolperte
Nicht selten werden Affären-Gerüchte im Kampf um politische Posten benutzt. Beispiel Bayern: Es begann damit, dass die Ski-Rennläuferin Irene Epple 1985 dem damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß zum 70. Geburtstag gratulierte. Dabei war auch Theo Waigel, damals CSU-Landesgruppenvorsitzender im Bundestag, der seine Sekretärin bat, die Adresse der Gratulantin zu ermitteln. Natürlich hatte er schon etwas von der 28-Jährigen Alpinkönigin gehört, die gerade ihre Karriere beendet hatte.
Im Sommer 1986 saßen sie dann in einem Münchner Biergarten beisammen, der Politiker und die einstige Olympia-Zweite im Riesenslalom. Es funkte. Theo Waigel redete und redete. Er sei "einfach aufgeregt" gewesen, berichtete er später. Das Problem: Der CSU-Politiker war seit 1966 mit seiner Frau Karin verheiratet und hatte zwei Kinder. Die Ehe war zerrüttet, doch Waigel wollte als gläubiger Katholik nicht an Scheidung denken.
1993 wurde das Private politisch: Theo Waigel, mittlerweile Bundesfinanzminister und CSU-Chef, wollte Ministerpräsident in Bayern werden. Das wollte auch Edmund Stoiber, der von Anfang an die besseren Karten hatte. Als aber auch noch Waigels Geheimnis in die Öffentlichkeit getragen wurde, schien er im konservativen Bayern chancenlos. Stoiber dementierte massiv, etwas mit den Gerüchten zu tun zu haben. Waigel hingegen war bitter enttäuscht von der CSU, sprach von "Sauerei" und davon, dass man sein "persönliches Unglück" gegen ihn instrumentalisiert hätte.
Am Ende bekam Stoiber den Ministerpräsidentenposten - und der schließlich geschiedene Waigel seine Irene. Im November 1994 heirateten sie, im Jahr darauf wurde ihr Sohn Konstantin Theodor geboren.
Auch die Verheugen-Affäre scheint von politischen Feinden gesteuert zu sein. Der Kommissar hat sich mit öffentlicher Kritik an den EU-Beamten im eigenen Apparat unbeliebt gemacht - die Fotos könnten nun der Denkzettel dafür sein. Die ersten Litauen-Fotos stammen der "FAZ" zufolge aus der EU-Vertretung in Vilnius, die über Brüssel an die Medien gespielt wurden. Die öffentlichen Nadelstiche gegen Verheugen kommen vor allem aus der CSU. In Brüsseler CSU-Kreisen wird laut "Welt" gelästert, Verheugen habe in einem Telefonat mit Stoiber das Händchenhalten damit erklärt, Frau Erler sei gestolpert.
Wulff: Neues Glück, altes Image
Wie man hingegen eine Affäre samt Ehescheidung in der Öffentlichkeit mustergültig in einen persönlichen Imagegewinn umwandelt, führte jüngst der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff vor. Es muss nur alles ganz schnell gehen. Im April flog der 47-jährige CDU-Politiker mit dem Schwiegersohn-Image zu einem Wirtschaftstermin nach Südafrika - gemeinsam mit der 32-jährigen Bettina Körner, Pressesprecherin des Reifenherstellers Continental. Im Juni dann verkündete Wulff die Trennung von seiner Frau Christiane, nach 18 Jahren Ehe.
Man gehe "im Guten auseinander", "uns verbindet weiterhin tiefe Zuneigung", orchestrierte Wulff seinen Auszug zu Hause per "Bild". Gleichzeitig nannte er Name und Beruf seiner Neuen. Ruckzuck ging es weiter: Erster öffentlicher Auftritt beim Spiel Deutschland gegen Polen auf dem WM-Fan-Fest in Hannover, dann Bundespresseball. Und: Neue Liebe, neue Frisur. Der biedere Linksscheitel ist passé, die Haare sind jetzt kürzer und mit Gel gestylt.
Wulff bleibt der beliebteste Landespolitiker Deutschlands. Selbst an der konservativen Basis scheint sein Ruf nicht gelitten zu haben. Durch die schnelle, saubere Trennung ohne Rosenkrieg plus gemeinsames Sorgerecht für die zwölfjährige Tochter Annalena hat er auch ältere Unionssympathisanten nicht vergrätzt. Und: Seine Liaison mit Körner brachte ihn großformatig in die Boulevardmagazine, ihr Glanz (Perlenschmuck, elegante Kleider) strahlte auch auf ihn aus.