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Büroschreibtische 20 Minuten Mittagsschlaf für alle

Die meisten Menschen verbringen den Großteil des Tages am Arbeitsplatz. Darum sollte jeder zwei Bürotische in unterschiedlichen Räumen haben und ungehemmt dekorieren dürfen, sagt Arbeitspsychologe Michael Kastner. Im Interview fordert er die flächendeckende Einführung des Büroschlafs.
Handelsraum der Deutschen Bank in Frankfurt: Fettige Butterbrotpapiere gehen gar nicht

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Foto: DDP

KarriereSPIEGEL: Herr Kastner, wie sieht denn Ihr Schreibtisch aus?

Kastner: Chaotisch. Wer den sieht, den packt das Entsetzen. Voll mit Papierstapeln und dem Üblichen - Laptop und Handy.

KarriereSPIEGEL : Wenn Firmen nicht wollen, dass die Tische ihrer Angestellten so aussehen, welche Regeln sollten sie aufstellen?

Kastner: Ich rate von Regeln ab. Unsere Welt ist sowieso schon überreguliert, das ist ein echtes Problem. Ich sage immer: So viele Regeln wie nötig, so wenig wie möglich. Vor allem für alle, die kognitiv und kreativ arbeiten, und für alle, die forschen, sollte es keine Regeln geben, wie ihr Arbeitsplatz auszusehen hat. Das würde unter Umständen auch die Kreativität stören.

KarriereSPIEGEL : Und bei anderen?

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Foto: Uta Brandes/ Michael Erlhoff

Kastner: Ingenieure ticken sowieso anders. Und wer in Jobs arbeitet, in denen Zeitdruck herrscht, sollte zumindest keinen chaotischen Schreibtisch haben. Ein Arzt muss blitzschnell auf seine Akten zugreifen können. Früher gab es deswegen ja so etwas wie Hängeregistraturen. Bei Werbeleuten ist das natürlich etwas anderes.

KarriereSPIEGEL : Aber die scheinen vor allem clean und weiß zu sein, gerade in Deutschland. Das zeigt die aktuelle Studie "My Desk is my Castle" von Designsoziologen, die Schreibtische auf der ganzen Welt fotografiert haben, auch in Designfirmen.

Kastner: Die Frage ist, was für diese Firmen wichtiger ist: Kreativität oder die Corporate Identity. Die Zeit, die Menschen im Büro verbringen, ist der Großteil ihrer wachen Zeit. Ich finde, dann sollten sie auch die Möglichkeit haben, sich wohlzufühlen und sich ihren Arbeitsplatz individuell zu gestalten, ihre Höhle zu bauen.

KarriereSPIEGEL : Wie wichtig ist denn der Schreibtisch als Medium, um den Kollegen zu präsentieren, wer man ist, was einem wichtig ist - mit Familienfotos, Nippesfiguren und Co.?

Kastner: Dieses ganze Gehabe, das ist vergangenes Jahrtausend. Wer das nötig hat, dem ist nicht zu helfen.

KarriereSPIEGEL : Was geht denn aus Ihrer Sicht überhaupt nicht?

Kastner: Alles, was andere abstoßen könnte, fettige Butterbrotpapiere etwa, und alles, was Unsauberkeit signalisiert. Was Knuddelbären und Maskottchen angeht: Wenn die Mitarbeiter glauben, das fördert ihr Wohlbefinden, nur zu.

KarriereSPIEGEL : In den USA gibt es eine Cubicle-Kultur, hier sind es Großraumbüros. Was ist besser?

Kastner: Ich halte grundsätzlich nichts von Großraumbüros, schon allein wegen des Lärmpegels. Großraumbüros sind wie Legebatterien, es ist eine rein ökonomische Strategie, viele Leute auf wenig Platz unterzubringen. Ich kenne ein Unternehmen, das zwar Viererbüros hatte, aber mit Glaswänden, damit der Chef dazwischen wie ein König entlangschreiten konnte. Und was haben die Mitarbeiter gemacht? Nach ein paar Tagen waren die Glaswände mit Postern zugeklebt.

KarriereSPIEGEL : Die Tendenz geht zu immer mehr flexiblen Büros, von Co-Working Spaces bis hin zu Firmen, in denen die Mitarbeiter jeden Tag an einem anderen Tisch arbeiten. Was macht das mit den Angestellten?

Kastner: Das wird nicht gutgehen. Menschen brauchen ihren eigenen Platz. Wenn Sie ihnen das nehmen, werden sie bockig. Jeder braucht eine Rückzugsmöglichkeit. Diese fluiden Jobs, die auf Desksharing ausgerichtet sind, sind eine problematische Entwicklung.

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Foto: Corbis

KarriereSPIEGEL : Was wäre denn Ihrer Meinung nach der ideale Arbeitsplatz?

Kastner: Am besten wäre, jeder hätte zwei Schreibtische. Einen in einem Einzelzimmer - und wenn es nur klein und spartanisch ist, sechs Quadratmeter reichen. Da arbeiten Sie morgens, wenn Sie komplexe Dinge leisten müssen. Und mittags, wenn es um Kommunikation geht, arbeiten Sie im großen Büro nebenan weiter.

KarriereSPIEGEL : Zwei? Das kann sich doch kein Unternehmen leisten.

Kastner: Der Tisch muss ja nur eine Holzplatte sein. Die ganze Show drumherum brauchen Sie ja nicht. Viel wichtiger ist, dass man in einen ergonomisch korrekten Stuhl investiert. Der kann schon mal 800 Euro kosten. Das sage ich Unternehmen immer wieder: Sie müssen in die wichtigen Dinge investieren, das fördert die Motivation und die Zufriedenheit der Mitarbeiter. Gut wäre etwa auch ein Stehpult für jeden.

KarriereSPIEGEL : Wieso das?

Kastner: Unterschiedliche Arbeitsmöglichkeiten sind unersetzlich: Man sollte abwechselnd sitzend und stehend arbeiten können. Alles, was die psychische und physische Gesundheit fördert, wird immer wichtiger werden. Wer bis 70 arbeiten soll, muss gesund bleiben. Daher empfehle ich auch, 20 Minuten Mittagsschlaf im Büro zum Standard zu erklären, um das Suppenkoma zu überwinden. Ideal wäre, wenn in jedem Büro ein multifunktionales Sofa stünde, darauf könnte man auch schlafen. Und für die Kommunikation wäre es auch viel besser.

KarriereSPIEGEL : Weil's gemütlicher ist?

Kastner: Ja, es ist einfach ein Unterschied, ob man über einen Schreibtisch hinweg mit jemandem spricht oder ein Mitarbeitergespräch führt, während man sich auf einem Sofa gegenübersitzt.

Foto: privat

Das Interview führte KarriereSPIEGEL-Autorin Anne Haeming (Jahrgang 1978), freie Journalistin in Berlin.

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