Handelsraum der Deutschen Bank in Frankfurt: Fettige Butterbrotpapiere gehen gar nicht
Foto: DDPKarriereSPIEGEL: Herr Kastner, wie sieht denn Ihr Schreibtisch aus?
Kastner: Chaotisch. Wer den sieht, den packt das Entsetzen. Voll mit Papierstapeln und dem Üblichen - Laptop und Handy.
KarriereSPIEGEL : Wenn Firmen nicht wollen, dass die Tische ihrer Angestellten so aussehen, welche Regeln sollten sie aufstellen?
Kastner: Ich rate von Regeln ab. Unsere Welt ist sowieso schon überreguliert, das ist ein echtes Problem. Ich sage immer: So viele Regeln wie nötig, so wenig wie möglich. Vor allem für alle, die kognitiv und kreativ arbeiten, und für alle, die forschen, sollte es keine Regeln geben, wie ihr Arbeitsplatz auszusehen hat. Das würde unter Umständen auch die Kreativität stören.
KarriereSPIEGEL : Und bei anderen?
Kastner: Ingenieure ticken sowieso anders. Und wer in Jobs arbeitet, in denen Zeitdruck herrscht, sollte zumindest keinen chaotischen Schreibtisch haben. Ein Arzt muss blitzschnell auf seine Akten zugreifen können. Früher gab es deswegen ja so etwas wie Hängeregistraturen. Bei Werbeleuten ist das natürlich etwas anderes.
KarriereSPIEGEL : Aber die scheinen vor allem clean und weiß zu sein, gerade in Deutschland. Das zeigt die aktuelle Studie "My Desk is my Castle" von Designsoziologen, die Schreibtische auf der ganzen Welt fotografiert haben, auch in Designfirmen.
Kastner: Die Frage ist, was für diese Firmen wichtiger ist: Kreativität oder die Corporate Identity. Die Zeit, die Menschen im Büro verbringen, ist der Großteil ihrer wachen Zeit. Ich finde, dann sollten sie auch die Möglichkeit haben, sich wohlzufühlen und sich ihren Arbeitsplatz individuell zu gestalten, ihre Höhle zu bauen.
KarriereSPIEGEL : Wie wichtig ist denn der Schreibtisch als Medium, um den Kollegen zu präsentieren, wer man ist, was einem wichtig ist - mit Familienfotos, Nippesfiguren und Co.?
Kastner: Dieses ganze Gehabe, das ist vergangenes Jahrtausend. Wer das nötig hat, dem ist nicht zu helfen.
KarriereSPIEGEL : Was geht denn aus Ihrer Sicht überhaupt nicht?
Kastner: Alles, was andere abstoßen könnte, fettige Butterbrotpapiere etwa, und alles, was Unsauberkeit signalisiert. Was Knuddelbären und Maskottchen angeht: Wenn die Mitarbeiter glauben, das fördert ihr Wohlbefinden, nur zu.
KarriereSPIEGEL : In den USA gibt es eine Cubicle-Kultur, hier sind es Großraumbüros. Was ist besser?
Kastner: Ich halte grundsätzlich nichts von Großraumbüros, schon allein wegen des Lärmpegels. Großraumbüros sind wie Legebatterien, es ist eine rein ökonomische Strategie, viele Leute auf wenig Platz unterzubringen. Ich kenne ein Unternehmen, das zwar Viererbüros hatte, aber mit Glaswänden, damit der Chef dazwischen wie ein König entlangschreiten konnte. Und was haben die Mitarbeiter gemacht? Nach ein paar Tagen waren die Glaswände mit Postern zugeklebt.
KarriereSPIEGEL : Die Tendenz geht zu immer mehr flexiblen Büros, von Co-Working Spaces bis hin zu Firmen, in denen die Mitarbeiter jeden Tag an einem anderen Tisch arbeiten. Was macht das mit den Angestellten?
Kastner: Das wird nicht gutgehen. Menschen brauchen ihren eigenen Platz. Wenn Sie ihnen das nehmen, werden sie bockig. Jeder braucht eine Rückzugsmöglichkeit. Diese fluiden Jobs, die auf Desksharing ausgerichtet sind, sind eine problematische Entwicklung.
KarriereSPIEGEL : Was wäre denn Ihrer Meinung nach der ideale Arbeitsplatz?
Kastner: Am besten wäre, jeder hätte zwei Schreibtische. Einen in einem Einzelzimmer - und wenn es nur klein und spartanisch ist, sechs Quadratmeter reichen. Da arbeiten Sie morgens, wenn Sie komplexe Dinge leisten müssen. Und mittags, wenn es um Kommunikation geht, arbeiten Sie im großen Büro nebenan weiter.
KarriereSPIEGEL : Zwei? Das kann sich doch kein Unternehmen leisten.
Kastner: Der Tisch muss ja nur eine Holzplatte sein. Die ganze Show drumherum brauchen Sie ja nicht. Viel wichtiger ist, dass man in einen ergonomisch korrekten Stuhl investiert. Der kann schon mal 800 Euro kosten. Das sage ich Unternehmen immer wieder: Sie müssen in die wichtigen Dinge investieren, das fördert die Motivation und die Zufriedenheit der Mitarbeiter. Gut wäre etwa auch ein Stehpult für jeden.
KarriereSPIEGEL : Wieso das?
Kastner: Unterschiedliche Arbeitsmöglichkeiten sind unersetzlich: Man sollte abwechselnd sitzend und stehend arbeiten können. Alles, was die psychische und physische Gesundheit fördert, wird immer wichtiger werden. Wer bis 70 arbeiten soll, muss gesund bleiben. Daher empfehle ich auch, 20 Minuten Mittagsschlaf im Büro zum Standard zu erklären, um das Suppenkoma zu überwinden. Ideal wäre, wenn in jedem Büro ein multifunktionales Sofa stünde, darauf könnte man auch schlafen. Und für die Kommunikation wäre es auch viel besser.
KarriereSPIEGEL : Weil's gemütlicher ist?
Kastner: Ja, es ist einfach ein Unterschied, ob man über einen Schreibtisch hinweg mit jemandem spricht oder ein Mitarbeitergespräch führt, während man sich auf einem Sofa gegenübersitzt.
Das Interview führte KarriereSPIEGEL-Autorin Anne Haeming (Jahrgang 1978), freie Journalistin in Berlin.
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Collage im Callcenter: An diesem Schreibtisch arbeitet ein Mitarbeiter einer Telefonzentrale in Auckland. Sein kleines Reich wurde für eine internationale Designstudie fotografiert - und jeder Gegenstand auf seinem Tisch gezählt und kategorisiert. Hinter dem Projekt stehen die Designtheoretiker Michael Erlhoff und Uta Brandes, die an der Kölner International School of Design lehren. Sie schickten weltweit mehr als hundert Studenten los, die im Auftrag der Wissenschaft 10.000 Fotos von 686 Tischen machten.
Zweckmäßig: Die Forscher fokussierten sich bei ihrer Studie auf vier Branchen: auf Callcenter, weil da in der Regel keiner einen festen Arbeitsplatz hat; auf Banken, weil dort Kunden vorbeikommen und mit am Tisch sitzen; auf Verwaltungen, weil man dort in der Regel lange Zeit angestellt bleibt; und auf Designbüros, denn wer Design kreiert, wird sich auch auf eine reflektiertere Weise mit Design umgeben. Dieser Schreibtisch fällt in die Kategorie "Verwaltungen" - und gehört einem Italiener, der in einem Büro in Mailand arbeitet.
Schreibtisch-Forscherin: Elena Rovati zog für die Studie mit ihrer Kamera durch ein Dutzend italienische Callcenter, Banken, Verwaltungen und Designbüros und fotografierte Schreibtische aus allen möglichen Winkeln. Mittlerweile hat sie ihr Studium abgeschlossen - und selbst einen Schreibtisch im Büro eines Telekommunikationsriesen in Berlin.
Unbehaust: An diesem Schreibtisch arbeitet ein Banker in Barcelona. Wahrscheinlich ist er gerade im Meeting - und kommt auch sonst selten an seinem Arbeitsplatz vorbei. "Je wichtiger einer in der Firma ist", sagt Studienleiterin Uta Brandes, "desto größer und leerer ist der Schreibtisch." Die Top-Manager sind schließlich immer unterwegs. Und brauchen eigentlich gar keinen Tisch.
Volltischler: In Hongkong zählten die Studenten auf 71 Tischen sagenhafte 2709 Objekte. So wie diese Designerin haben dort viele Arbeitnehmer offenbar eine besondere Vorliebe für Plastik-Nippes jeder Art.
Mädchentisch: Handcreme neben Pflänzchen im rosa Übertopf - hier arbeitet eindeutig eine Frau. Und zwar in einem Callcenter in Köln. Bei ihrer Schreibtischstudie haben sich alle Klischees über Männer und Frauen bestätigt, berichtet Brandes.
Schön rund: Keks, Radiergummi und Seife: Diese Italienerin ist mit ihrer Vorliebe für runde Gegenstände nicht allein. Pink, lila, flauschig oder rund - das sind die Merkmale typischer Accessoires auf Frauenschreibtischen - und zwar egal, in welchem Land und in welcher Branche.
Handy und Autoschlüssel: Das Pendant zu den Frauen-Accessoires zeigt ein Verwaltungsangestellter aus Köln: Handy und Autoschlüssel. Auf Männer-Schreibtischen herrschen weltweit Dunkelblau, Schwarz oder Metall vor, fanden die Forscher heraus.
Grünzeug: Diese Pflänzchen gehören einer italienischen Versicherungsangestellten. Pflanzen fanden die Studenten häufig auf Schreibtischen - nur nicht in den Designbüros. "Das könnte damit zusammenhängen, dass Designer das Gefühl haben, alle Aspekte des täglichen Lebens designen zu müssen - und deshalb stets das Künstliche und nicht das Natürliche suchen", schreibt Uta Brandes im Buch zur Studie "My Desk is my Castle".
Eingeschweißt: Diese Stofftiere einer Versicherungsangestellten in Taipeh sind sogar vor Kaffeeflecken geschützt. Vielleicht hatte sie aber auch bislang nur keine Zeit, sie auszupacken?
Schnell weg: Diese brasilianische Callcenter-Mitarbeiterin aus Curitiba hat sich nicht besonders gemütlich eingerichtet. Sie muss häufig den Platz wechseln.
Rauchen erlaubt: In Designbüros peppen die Mitarbeiter ihre Schreibtische gerne mit kleinen Spielzeugfiguren auf, fanden die Studenten heraus. Für diesen Designer aus Kairo sind aber offenbar seine Zigaretten wichtiger.
Blackberry und Kamera: Auch hier fällt die Zuordnung leicht: Dieser Schreibtisch gehört einem brasilianischen Designer in Curitiba.
Plastikfiguren-Garde: Angestellte definieren sich weltweit über das, was sie sammeln, analysierten die Studenten. Dass gerade Asiaten sogenannte Volltischler sind, hat aber auch ganz praktische Gründe: Wohnraum ist knapp, "viele lagern Dinge von zu Hause ins Büro aus", so Brandes.
Aufgeräumt: Ein Schreibtisch in New York. Hier arbeitet ein Verwaltungsangestellter.
Stolzer Papa: Dieser indische Designer präsentiert an seinem Arbeitsplatz gebastelte Grüße seiner Kinder. Auch das ein typisches Phänomen, so die Studenten: Man zeigt, wer man ist. Auch Familienfotos "stehen nicht da, wo ich selbst von meinem Stuhl aus draufschaue, sondern so, dass die Kollegen, die daran vorbeigehen, sie sehen", so Brandes.
Für Freelancer ist oft die eigene Wohnung auch der Arbeitsplatz. Wer aber soziale Kontrolle und Gesellschaft (nicht nur einer Katze, sondern echter Kollegen) sucht, sieht sich früher oder später nach
Alternativen zum heimischen Küchentisch um.
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Home Office
Vorteile: Niemand stört, keine Anfahrtswege, keine Kosten
Nachteile: Mangel an Anregungen, kein Austausch, hohes Ablenkungspotenzial; kein Feierabend, Arbeitsunterlagen liegen im privaten Wohnumfeld herum
Bürogemeinschaft
Vorteile: Austausch und Wettbewerb mit Kollegen, positives Image bei Kunden (ein Büro strahlt Ernsthaftigkeit aus), Projekte lassen sich gemeinsam realisieren, Trennung von Arbeit und Freizeit
Nachteile: Funktioniert nur, wenn sich alle gut verstehen, Kosten für Miete, Anfahrt etc.
W-Lan-Café
Vorteile: Hohe Dichte von W-Lan-Cafés in Großstädten, unverbindliche Nutzung
Nachteile: Geräuschpegel, keine Privatsphäre, fehlende Arbeitsatmosphäre, nichts für jeden Arbeitstag
Co-Working Space
Vorteile: Bestmögliche Simulation eines "echten" Arbeitsplatzes, ambitionierte Mitstreiter, Info-Börse, ggf. Aufträge von anderen Co-Workern
Nachteile: Kosten für Miete und Anfahrt - aber hohe Flexibilität bei der Nutzung (Schreibtische oder kleine Büros können tage-, wochen- oder monatsweise gebucht werden), meist kein Telefon vorhanden, nur Handy und ggf. Skype-Nutzung
Bibliothek
Vorteile: Quirlige und anregende Atmosphäre, trotzdem ruhig, Tageszeitungen und Zeitschriften sind vorhanden
Nachteile: Arbeiten in der Anonymität, Essen und Trinken verboten
Auch in Bibliotheken arbeitet es sich gut gemeinsam - vielleicht nicht wie hier im Lesesaal, aber in den Gruppenarbeitsräumen, die ebenfalls häufig anzutreffen sind.
Das Betahaus ist unter den Co-Working Spaces schon eine bekannte Größe: Hier trifft sich eine Community. Im Betahaus Berlin findet donnerstags sogar eine Kennenlernrunde statt, ...
... doch wer derlei Vereinsmeierei nicht schätzt, kann ganz zwanglos auch nur zum Arbeiten kommen.
Für Freelancer ist oft die eigene Wohnung auch der Arbeitsplatz. Wer aber soziale Kontrolle und Gesellschaft (nicht nur einer Katze, sondern echter Kollegen) sucht, sieht sich früher oder später nach
Alternativen zum heimischen Küchentisch um.
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Home Office
Vorteile: Niemand stört, keine Anfahrtswege, keine Kosten
Nachteile: Mangel an Anregungen, kein Austausch, hohes Ablenkungspotenzial; kein Feierabend, Arbeitsunterlagen liegen im privaten Wohnumfeld herum
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