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Job & Karriere

Matthias Martens

Jobsuche 50 plus Ab wann sollte ich meine Gehaltsforderung herunterschrauben?

Matthias Martens
Ein Gastbeitrag von Matthias Martens
Wenn man mit 57 Jahren einen Job suchen muss, kann die entscheidende Frage sein: eine Gehaltseinbuße in Kauf nehmen - oder weitersuchen, obwohl die Zeit läuft? Unser Karrierecoach weiß Rat.
Spatz in der Hand oder Taube auf dem Dach? Sprich: Jetzt den Job, weniger Geld - oder weiter bewerben? Das ist eine schwierige Entscheidung

Spatz in der Hand oder Taube auf dem Dach? Sprich: Jetzt den Job, weniger Geld - oder weiter bewerben? Das ist eine schwierige Entscheidung

Foto: Anya Berkut/ iStockphoto/ Getty Images

Kai (57) fragt: Ich bin gelernter Kaufmann und Betriebswirt und seit zwei Monaten erneut auf Jobsuche. Mein Lebenslauf ist lückenlos und gekennzeichnet von vielen Stationen. Erfreulicherweise wurde ich bereits zu acht Vorstellungsgesprächen eingeladen, aber bislang ohne Zusage. Das K.-O.-Kriterium sind vermutlich meine Gehaltsforderungen. Soll ich mich darauf einlassen, weniger als bislang zu verdienen, oder lieber weiter auf der Suche bleiben? 

Zum Autor

Matthias Martens, Jahrgang 1964, war zehn Jahre Personalleiter im Otto-Konzern, bevor er sich 2006 für die Selbstständigkeit entschied. Heute begleitet der Inhaber einer Outplacementberatung  als Berater und Coach vor allem Menschen in der Lebensmitte, die sich beruflich neu orientieren wollen oder müssen. Alle Kolumnen von Matthias Martens  Mail an den Coach 

Hallo Kai,

in den meisten Stellenausschreibungen wird man gebeten, bereits im Bewerbungsschreiben die Gehaltsvorstellungen zu nennen. Dadurch ist man als Bewerber in einer schwierigen Situation. Geht man zu hoch heran, läuft man Gefahr, schon vor einer genaueren Prüfung der Qualifikation aussortiert zu werden. Verkauft man sich unter Wert, wird man das kaum wieder aufholen können.

Sie wissen: Wer Alternativen hat, verhandelt besser. Deshalb sollte man nicht nur ein oder zwei Bewerbungen für seinen Traumjob versenden, sondern möglichst mehrere Ansätze parallel verfolgen und sich damit Wahlmöglichkeiten erarbeiten. Natürlich gelingt das nicht immer, wie aus Ihrer Anfrage deutlich wird.

Wenn Sie nach einer längeren Jobsuche ein finanziell unattraktives Vertragsangebot erhalten, befinden Sie sich in Ihrem beschriebenen Dilemma: Soll ich weitersuchen oder das Angebot annehmen? Die Antwort auf diese Frage hängt von individuell beeinflussbaren Faktoren und generellen Marktgegebenheiten ab. Nehmen Sie deshalb für Ihre Entscheidung möglichst viele unterschiedliche Perspektiven ein.

  • Einkommensentwicklung: Abhängig von Unternehmensgröße, Branche und Region differieren die Einkommen teilweise erheblich. Hinzu kommt in einigen Bereichen der Trend des Outsourcings und der Verlagerung der Arbeitsplätze in Billiglohnländer. Auch die Digitalisierung bedroht Arbeitsplätze in Teilbereichen und drückt das Einkommensniveau nach unten.

  • Aufgabenprofil und Marktwert: Naturgemäß spiegelt sich die Verantwortung Ihrer Position und der Einfluss auf Umsatz und Kosten im Gehalt wider. In der Vergangenheit haben Sie vermutlich mit zunehmender Betriebszugehörigkeit wichtiges Know-how für Ihren Arbeitgeber erworben. Viele Unternehmen honorieren dies mit Gehaltsanhebungen, um wichtige Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden. Wenn Sie bei einem Jobwechsel Kundenkontakte oder besonders gefragtes Expertenwissen in den neuen Job mitbringen, steigert dies Ihren Marktwert - mal abgesehen von den Beschränkungen durch ein vertragliches Wettbewerbsverbot. In den ersten 20 Berufsjahren kann man deshalb bei einem Jobwechsel mit Verantwortungszuwachs auch häufig noch das Gehalt steigern. Wenn Erfahrungswissen jedoch veraltet, bietet es für andere Arbeitgeber keinen besonderen Nutzen mehr und Ihr Marktwert sinkt. Mit über 50 wird es deshalb tendenziell schwieriger, das Einkommensniveau zu halten.

  • Lebensstandard: Neben den bisherigen Aspekten stellt sich für Sie auch die Frage, ob der Einkommensverlust bei dem aktuell vorliegenden Angebot Ihren bisherigen Lebensstandard spürbar einschränken würde. Ganz unabhängig davon nagt eine Reduzierung des Einkommens bei manchen Menschen am Selbstwertgefühl und wird als Versagen empfunden. Solche Gedanken schieben Sie möglichst beiseite, denn hier geht es nicht um das eigene Ego, sondern um die bestmögliche Ausschöpfung Ihres Potenzials am aktuellen Arbeitsmarkt.

  • Sicherheitsbedürfnis: Am Erfolg Ihrer bisherigen Bewerbungen können Sie abschätzen, wie viel Zeit Sie einplanen müssen, bis Sie erneut ein Vertragsangebot erhalten werden. Ihre acht Gespräche in zwei Monaten sollten Sie optimistisch stimmen, dass weitere folgen werden. Wenn Sie dort überzeugend auftreten, lohnt sich ein Abwarten und Weitersuchen. War der bisherige Bewerbungsprozess jedoch eher schwierig, spielt die Zeit gegen Sie. Mit zunehmender Dauer der beschäftigungslosen Zeit steigt wahrscheinlich Ihr innerer Druck. Mit einem hohen Sicherheitsbedürfnis und geringen finanziellen Rücklagen könnte das für Sie zu einem echten Problem werden.

  • Lücke im Lebenslauf: Wie wichtig ist für Sie persönlich ein lückenloser Übergang in den nächsten Job? Machen Sie sich frei von der Furcht vor einer drohenden Arbeitslosigkeit. Einige Monate ohne Job zu sein, das kann heute jedem passieren und wirft keinen Schatten auf Ihre Qualifikation und Motivation. Jobverlust und eine kleine Pause zwischen zwei Jobs gehören heutzutage zur Normalität. Sie können diese Pause sogar positiv nutzen. Abstand finden, die eigenen Gedanken ordnen, neue Inspiration suchen, eine Weiterbildung besuchen oder mit einer Hospitation in einem anderen Berufsfeld den eigenen Horizont erweitern.

Das Thema ist, wie Sie sehen, komplex. Die eine richtige Antwort auf die Frage "Angebot annehmen oder weitersuchen?" gibt es deshalb nicht. Prüfen Sie, welche der oben genannten Kriterien für Sie persönlich am wichtigsten sind. Wenn Sie sich dann immer noch nicht entscheiden können, bleibt Ihnen noch ein Ausweg: Sie nehmen das Vertragsangebot an und vermeiden dadurch zunächst eine längere Arbeitslosigkeit. Mit dieser Sicherheit im Rücken suchen Sie weiter. Sofern Sie dann einen besser dotierten Job finden, kündigen Sie in der Probezeit. Selbstverständlich wäre das Ihrem neuen Arbeitgeber gegenüber nicht besonders fair. Zudem hat es auch keine schöne Wirkung im Lebenslauf und kann sich langfristig nachteilig auswirken. Deshalb ist dieses Vorgehen ausdrücklich nicht als generelle Strategie, sondern nur als Notlösung zu empfehlen.

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