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Kuriose Handwerksberufe: Alte Meister

Foto: Sebastian Höhn

Alte Handwerksberufe Gestatten, ich bin die Blümlerin

Produzieren wie zu Opas Zeiten: Einige Betriebe setzen auch heute noch ganz auf Handarbeit. Die industrielle Konkurrenz fürchten sie nicht, denn Maschinen könnten das nötige Feingefühl nicht ersetzen. So wie bei der Blümlerin.

Sie funkelt und glitzert kristallklar. Mit dieser Tapete wirkt jede Wand wie von Raureif überzogen. Wer sie berührt, riskiert jedoch blutige Finger. Das Geheimnis ihrer Schönheit: eine Haut aus feinsten Glassplittern.

Dass diese Tapete für die meisten Wohnzimmer nicht geeignet ist, liegt weniger am Verletzungsrisiko als an ihrem Preis. 150 Euro kostet ein Quadratmeter. Tapeten fertig von der Rolle, wie man sie aus dem Baumarkt kennt, sucht man bei Ulrich Welter lange. Er fertigt sie in seiner "Manufaktur für Wandunikate" in Berlin-Schöneberg von Hand, Schicht für Schicht, Bahn für Bahn.

Produkte aus solchen Kleinunternehmen sind gefragter, als man glauben möchte, angesichts der meist günstigeren Industriekonkurrenz. Oft punkten sie mit einem besonderen Qualitätsniveau oder einfach mit dem Handmade-Versprechen.

Eine Wand so teuer wie ein Mittelklassewagen

Bei Welters Tapeten geht es noch weiter: Sie am Fließband herzustellen, wäre gar nicht möglich, sagt er. Eigentlich ist der Begriff Tapete zu profan für das, was in seiner Werkstatt entsteht. Wandkunst würde es besser treffen. Mit seinen 15 Mitarbeitern verarbeitet Ulrich Welter edelste Rohstoffe: Gold, Silber, Kupfer und Messing, Glas, Marmormehl und Platin. "Wir verwenden nur echte Materialien, nichts, was nur nach etwas aussieht", sagt der ausgebildete Werbetechniker. Da kann der Quadratmeter Tapete schon mal 2000 Euro kosten.

Eine Wand zum Preis eines Mittelklassewagens tapezieren? Wer macht das? Ulrich Welter, 53, nimmt ein Stück weißen Wandbelag in die Hand, das an Schlangenhaut erinnert. "Das ist für Chanel", sagt er. "Wir entwickeln viel Design für Schmuck- und Modegeschäfte." Zehn bis 20 Stunden Arbeit würden in dem Belag stecken - je Quadratmeter. Das Material, gefertigt aus Kreide, Kaolin und Leinen, wird am Schluss von Hand gebrochen und die feinen Frakturen vergoldet.

Für Welters Auftraggeber ist Geld oft nebensächlich. Er hat schon das World Trade Center in Dubai ausgestattet, das Berliner Hotel Adlon, das Londoner Luxuskaufhaus Harrods und das Berner Bundeshaus. Sogar bei der Oscar-Verleihung in Hollywood war er vertreten.

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Ausgestorbene Berufe: Einer musste den Job ja machen

Foto: Irmela Schautz

Weniger glamourös geht es am Arbeitsplatz von Simone Kretzschmar im sächsischen Sebnitz zu. Die 52-Jährige hat die vielleicht entzückendste aller Berufsbezeichnungen: Sie ist Blümlerin. Mit ihren elf Kolleginnen stellt sie Kunstblumen her, in Handarbeit. Wer jetzt an die industriell hergestellten Plastikblumen in Opas Eckkneipe denkt, liegt falsch. Seide, Samt und Taft sind die Materialien, aus denen die Blüten in der Manufaktur der Deutschen Kunstblume Sebnitz entstehen.

"Ausgangspunkt für jede Blüte ist weißer Stoff", sagt Kretzschmar. "Wir färben alles selbst." Auf Wunsch könne man jede Pflanze der Welt nacharbeiten, sagt Marketingleiterin Steffi Kleinert. Viel zeitliche Zuwendung braucht vor allem die englische Rose. Jede Blüte hat allein 98 Blätter. Mit 23,50 Euro kostet sie deshalb auch mehr als das Original.

Blumen, die nie verwelken, haben ein angstaubtes Image, das wissen die Frauen. "Aber wir machen keinen Kitsch", sagt Kleinert. Tatsächlich wirken die Sebnitzer Blumen echter als andere. "Auf Messen glauben uns die Leute oft gar nicht, dass sie künstlich sind." Und Kunstblumen seien ja auch praktisch, für das fensterlose Bad zum Beispiel.

Käufer seien vor allem Touristen, meist die Älteren, so ab 50 Jahren. Aber auch Modezar Wolfgang Joop kaufte schon Rosen für eine seiner Kollektionen, und der Deutsche Gewerkschaftsbund bestellt jedes Jahr mehrere Tausend rote Nelken für seine Kundgebung am 1. Mai.

Simone Kretzschmar und ihre Kolleginnen, in der DDR noch zu Kunstblumenfacharbeiterinnen ausgebildet, machen sich Sorgen um die Zukunft ihres Gewerbes. Denn seit der Wende wird in dem Beruf nicht mehr ausgebildet. Das jahrhundertealte Handwerk droht auszusterben.

Schrott weckte die Leidenschaft

Einer der letzten seiner Art ist auch der Drucker Martin Z. Schröder aus Berlin. Der 47-Jährige erlernte zu DDR-Zeiten den Beruf des Schriftsetzers. Den übt er heute wieder aus, in seiner Werkstatt im Stadtteil Weißensee. Was seine Kunden bei ihm bestellen, kommt nicht aus vollautomatischen Offset- oder Digitalprintern. Visitenkarten, Briefpapier, Einladungskarten und sogar Bücher produziert Schröder im klassischen Buchdruckverfahren, die Texte setzt er per Hand.

Wer in seine Werkstatt kommt, hört es schnaufen und pusten. Wie eine Dampflokomotive klingt es, wenn der Original Heidelberger Tiegel arbeitet, eine Druckerpresse, die bereits 1913 entwickelt wurde. "Meine erste Presse, ein handbetriebener Tiegel, habe ich 1994 vom Schrott gerettet", erzählt Schröder. In seinem Wohnzimmer fing er damals an zu experimentieren.

"Trotz des Trends zum Digitalen wird heute zum Teil viel Geld für den klassischen Druck ausgegeben", sagt Schröder. Um die 500 Euro zahlen manche seiner Kunden schon mal für 200 Visitenkarten mit Farbschnitt und Reliefprägung. Der Drucker bietet mehr als hundert Papiersorten an. Seine Kunden, unter denen sich viele Designer und Leute aus der Werbebranche tummeln, aber auch Rechtsanwälte und Herzchirurgen, berät er intensiv. Guter Stil ist ihm wichtig, nicht jede gestalterische Geschmacksverirrung lässt er ihnen durchgehen.

Foto: privat

KarriereSPIEGEL-Autor Sebastian Höhn (Jahrgang 1979) ist freier Journalist und Fotoreporter. Er lebt in Berlin.Homepage: Sebastian Höhn, Journalist und Fotograf 

"Dieses Handwerk macht einfach viel Spaß", sagt Schröder. Angst vor der digitalen Konkurrenz braucht er offenbar nicht zu haben. Seine Auftragsbücher sind voll.

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