In Kooperation mit

Job & Karriere

Alte Jura-Hasser "Ich scheiße auf die Rechtswissenschaften"

Hadert da draußen jemand mit dem Jurastudium? Dann ist er in bester Gesellschaft: Juristerei und Schriftstellerei, bei dieser Mesalliance dräut Unheil. Das zeigen grimmige Attacken von Dichtern wie Flaubert und Wedekind, Heym und Handke gegen das "gottverfluchte Studium". Ein literarischer Rundflug.
Dichterfürst Goethe: "Ich hab so satt am Lizenzieren"

Dichterfürst Goethe: "Ich hab so satt am Lizenzieren"

Foto: Foto: akg-images

Das römische Recht ließ den Schriftsteller Heinrich Heine in einen Abgrund der Verzweiflung blicken. Heine studierte von 1819 bis 1825 Jura und promovierte in Göttingen. In seinen Memoiren bedankte er sich sarkastisch bei seiner Mutter ("Sie meinte jetzt, ich müsse durchaus Jurisprudenz studieren"). Sie schickte ihn "unverzüglich nach Bonn", denn dort war die Universität frisch gegründet und die "juristische Fakultät von den berühmtesten Professoren besetzt". Dazu notierte er:

"Von den sieben Jahren, die ich auf deutschen Universitäten zubrachte, vergeudete ich drei schöne blühende Lebensjahre durch das Studium der römischen Kasuistik, der Jurisprudenz, dieser illiberalsten Wissenschaft. Welch ein fürchterliches Buch ist das Corpus iuris, die Bibel des Egoismus! Wie die Römer selbst blieb mir immer verhaßt ihr Rechtskodex. Diese Räuber wollten ihren Raub sicherstellen, und was sie mit dem Schwerte erbeutet, suchten sie durch Gesetze zu schützen; deshalb war der Römer zu gleicher Zeit Soldat und Advokat, und es entstand eine Mischung der widerwärtigsten Art."

Kein Wunder, dass Heine später nie als Jurist in Erscheinung trat. Indes: "Ich brachte jenes gottverfluchte Studium zu Ende, aber ich konnte mich nimmer entschließen, von solcher Errungenschaft Gebrauch zu machen, und vielleicht auch, weil ich fühlte, daß andere mich in der Advokasserie und Rabulisterei leicht überflügeln würden, hing ich meinen juristischen Doktorhut an den Nagel. Meine Mutter machte eine noch ernstere Miene als gewöhnlich. Aber ich war ein sehr erwachsener Mensch geworden, der in dem Alter stand, wo er der mütterlichen Obhut entbehren muß."

Halbe: "Nichts als steinharte ungenießbare Brocken"

Auch dem 1866 geborenen Schriftsteller Max Halbe wurden die "Anfangsgründe des Römischen Rechts in den Kopf gehämmert". Er biss sich "an den verabreichten logisch-juristischen Definitionen die Zähne aus. Sie waren für meine auf alles Bildliche und Sinnhafte gerichtete Phantasie nichts als steinharte ungenießbare Brocken."

Fotostrecke

Jura? Ohne mich: Verkrachte Juristen und andere Studienabbrecher

Foto: Jörg_Carstensen/ picture-alliance / dpa

Der Schriftsteller und Historiker Felix Dahn schrieb 1872 über die preußische Juristenausbildung: "Der ganze Betrieb ist so banausisch, so unwissenschaftlich wie möglich... Man spricht von preußischer Drillung der Recruten: Diese muß sein und hat alle Erfolge für sich: Aber die preußische Drillung der Juristen muß nicht sein und hat alle Erfolge gegen sich: Sie ist ein Jammer, ein Elend und - nun, wahrlich keine Ehre für den leitenden deutschen Staat." Dennoch wurde Felix Dahn später Juraprofessor und bienenfleißiger Autor von Fachwerken.

Dem französischen Schriftsteller Gustave Flaubert dagegen gelang es nie, sich mit der Juristerei anzufreunden. Schon nach den ersten Studienmonaten schrieb er 1842 in einem Brief: "Die Rechtswissenschaften bringen mich um, verblöden und lähmen mich, es ist mir unmöglich, dafür zu arbeiten. Wenn ich drei Stunden meine Nase in das Gesetzbuch gesteckt habe, während derer ich nichts begriffen habe, ist es mir unmöglich, noch weiter fortzufahren: Ich würde sonst Selbstmord begehen (was sehr betrüblich wäre, denn ich berechtige zu den schönsten Hoffnungen). (...) Wie dem auch sei, ich scheiße auf die Rechtswissenschaften. Das ist mein 'Delenda Carthago'."

Flaubert: "Zahnschmerzen sind noch gar nichts"

Einen Monat später folgte der nächste grimmige Brief: "Das Studium der Rechte verbittert meinen Charakter in höchstem Maße: Ich knurre unaufhörlich, wettere, murre und brumme sogar gegen mich selbst und auch wenn ich ganz allein bin. Vorgesternabend hätte ich hundert Francs (die ich nicht besaß) darum gegeben, wenn ich irgend jemand eine Tracht Prügel hätte verabreichen können."

Flaubert legte nach. Bald darauf: "Zahnschmerzen sind noch gar nichts, und die Tränen, die mir bei den schlimmsten Anfällen in die Augen kommen, sind nicht mit den furchtbaren Krämpfen zu vergleichen, die mir diese reizende Wissenschaft verursacht, die ich studiere." Nach zwei Jahren war Schluss, Flaubert ließ sein Studium sausen.

Schriftsteller Frank Wedekind ging es ganz ähnlich. Kurz vor dem Studienabbruch 1886 schrieb er über die Eltern: "Ich muß sie ja im süßen Wahn lassen, daß ich Jurisprudenz studiere, bis ich ihnen wenigstens mit einem kleinen Erfolg vor die Augen treten kann, um meine Wahl zu rechtfertigen. (...) Von Jurisprudenz kann ich ja auch nichts schreiben, denn ich weiß nichts davon, und meine Eltern so gründlich anlügen, das kann ich auch nicht mehr."

Schriftsteller Peter Handke hielt immerhin vier Jahre lang durch, bevor er das Studium in Graz 1965 ebenfalls an den Nagel hängte. "Die Müdigkeit in den Hörsälen ließ mich mit den Stunden im Gegenteil sogar aufsässig oder aufbegehrend werden", heißt es in seinem "Versuch über die Müdigkeit", "es war in der Regel weniger die schlechte Luft und das Zusammengezwängtsein der Studentenhunderte als die Nichtteilnahme der Vortragenden an dem Stoff, der doch der Ihre sein sollte. Nie wieder habe ich von der Sache so unbeseelte Menschen erlebt wie jene Professoren und Dozenten der Universität..."

Die drei großen Gs: Grimm, Goethe, Guttenberg

Auch Sprachwissenschaftler Jacob Grimm hatte nach einigen Semestern genug, ihn packte der Überdruss am Jurastudium. Seine Entscheidung, es zu beenden, war wohl schon gefallen, als er 1805 seinem Bruder Wilhelm klagte: "Ich weiß nicht, ich habe in manchen Dingen einen Leichtsinn, der unrecht ist, den ich aber durchaus nicht besiegen kann, so könnte ich mich jetzt nicht mit Staats-, Privatrecht etc. abgeben, und zu solchen Sachen muß mir das Wasser bis zum Hals gehen, ehe ich sie angreife."

Fotostrecke

Volldemütigend: Juristen im Würgegriff der Noten

Foto: Corbis

Und Johann Wolfgang von Goethe? Auch er studierte Jura, auf Druck seines Vaters statt aus Neigung, ab 1765 in Leipzig und später in Straßburg. Goethe ließ in einem Brief an den Juristen Johann Daniel Salzmann 1771 erkennen, dass ihm das Lizenziat anstelle der Promotion reichte: "Auch das Cäremoniel weggerechnet, ist mirs vergangen Doktor zu seyn. Ich hab so satt am Lizenzieren, so satt an aller Praxis, daß ich höchstens nur des Scheines wegen meine Schuldigkeit thue, und in Teutschland haben beide Gradus gleichen Werth."

Das sah ein anderer Freiherr, Karl-Theodor zu Guttenberg, zweieinhalb Jahrhunderte später etwas anders. Er wollte den Doktortitel unbedingt und verlor ihn am Ende. Goethe wird ein Zitat zugeschrieben, in dem er "Plagiate und Halbentwendungen" als "Narrheiten", als "läppisch" bezeichnete. Das wiederum sah Guttenberg ganz ähnlich.

Heym: "Wie auf dem Aas die alten Tintenfische"

Franz Kafka konnte ohne Dissertation promovieren, indem er Prüfungen absolvierte - mit "Genügend", der schlechtesten Note, die gerade noch zum Bestehen reichte. Über die Vorbereitung schrieb er: "Ich studierte also Jus. Das bedeutete, dass ich mich in den paar Monaten vor den Prüfungen unter reichlicher Mitnahme der Nerven geistig förmlich von Holzmehl nährte, das mir überdies schon von Tausenden Mäulern vorgekaut war."

Der expressionistische Lyriker Georg Heym studierte widerstrebend Jura und wurde ebenso widerwillig Gerichtsreferendar. Bei der Hausarbeit habe Heym sich helfen lassen, und selbst bei den Klausuren sei ihm "das geradezu unglaubliche Kunststück gelungen, fremde Arbeiten abzugeben", weiß der Passauer Juraprofessor Johann Braun. Seinen Zorn auf "Die Professoren" kleidete Georg Heym in ein verächtliches Sonett:

"Zu vieren sitzen sie am grünen Tische,
Verschanzt in seines Daches hohe Kanten.
Kahlköpfig hocken sie in den Folianten,
Wie auf dem Aas die alten Tintenfische.

Manchmal erscheinen Hände, die bedreckten
Mit Tintenschwärze. Ihre Lippen fliegen
Oft lautlos auf. Und ihre Zungen wiegen
Wie rote Rüssel über den Pandekten.

Sie scheinen manchmal ferne zu verschwimmen,
Wie Schatten in der weißgetünchten Wand.
Dann klingen wie von weitem ihre Stimmen.

Doch plötzlich wächst ihr Maul. Ein weißer Sturm
Von Geifer. Stille dann. Und auf dem Rand
Wiegt sich der Paragraph, ein grüner Wurm."

Und wo bleibt das Positive? Haben Literaten denn gar nichts Sinnvolles aus den Hörsälen der Rechtswissenschaften mitnehmen können? Doch, durchaus - Kurt Tucholsky zum Beispiel. Seine Pseudonyme Peter Panter und Theobald Tiger, zwei von fünfen, verdankte er einem Berliner Repetitor, einem "pinselblonden Mann mit kurzsichtig blinzelnden Augen und schwerem Birnbauch". Denn der erfand für die wilde Jagd durch BGB und Strafprozessordnung solche Namen.

Tucholsky, als Student eher schwach, über den Repetitor: "Seine Alliterationstiere mordeten und stahlen; sie leisteten Bürgschaft und wurden gepfändet; begingen öffentliche Ruhestörung in Idealkonkurrenz mit Abtreibung und benahmen sich überhaupt recht ungebührlich. Zwei dieser Vorbestraften nahm ich mit nach Hause - und, statt Amtsrichter zu werden, zog ich sie auf."

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren