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Start-up-Pioniere Dann werd ich eben Chef

Selbständigkeit ist ein Abenteuer - aber warum Risiken eingehen, wenn es auch Angestellten gutgeht? Wer in Deutschland eine Firma gründet, hat oft keine andere Wahl. Doch die Wirtschaft lebt von neuen Ideen. Deswegen trommeln Politik und Wirtschaft: Der Nachwuchs soll bald doch davon träumen, Chef zu werden.
Von Eva-Maria Hommel
Foto: Corbis

Wenn die Wirtschaft brummt, kommen immer weniger Leute zu Yvonne Stolpmann. Dabei arbeitet sie gar nicht bei der Arbeitsagentur, wo so etwas ganz normal wäre, sondern bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) am Nürnberger Hauptmarkt. Dort leitet sie das Referat Gründungsförderung und berät Menschen, die ihr eigener Chef sein wollen.

"Seit Jahresanfang haben wir deutlich weniger Anfragen als sonst", sagt Stolpmann. Viele suchen sich lieber eine gut bezahlte Festanstellung. Dagegen rennen ihr die Gründer in schlechten Zeiten mit hoher Arbeitslosigkeit die Türen ein. "Zwei Drittel unserer Klienten machen sich aus Erwerbslosigkeit oder aus Angst davor selbständig. Gründungen mit Pioniergeist sind eher in der Minderheit."

Was sie in Nürnberg erlebt, ist typisch für das ganze Land. Wegen des Aufschwungs machen sich weniger Menschen selbständig. Gleichzeitig ist die Zahl der Gründungen aus der Not heraus im internationalen Vergleich hoch. Dabei soll Deutschland zum Land der freiwillig Kreativen werden. Dafür steckt das Bundeswirtschaftsministerium seit 2010 jährlich 5 Millionen Euro in die Kampagne "Gründerland Deutschland". Mit Wettbewerben, einem neuen Fonds für High-Tech-Unternehmen und viel Werbung will es mehr Menschen zum Gründen ermuntern. Doch obwohl die Bedingungen gut sind, ist Deutschland bislang ein Land der Gründungsangst.

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Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK), der Dachverband der Handelskammern, hat für seinen aktuellen Gründerreport 320.000 Kontakte mit angehenden Unternehmern ausgewertet und festgestellt: Im Jahr 2011 haben sich 8,7 Prozent weniger Menschen zur Existenzgründung erkundigt als im Vorjahr. Für das laufende Jahr erwartet der Verband einen neuen Minusrekord.

Der geänderte Gründungszuschuss für Arbeitslose dürfte dabei eine Rolle spielen. Die wichtigsten Gründe sind laut DIHK aber die sinkende Arbeitslosigkeit und der wachsende Fachkräftemangel: "Viele ziehen eine gut dotierte abhängige Beschäftigung dem ,Abenteuer Selbständigkeit' vor."

Ein Gründerland ist Deutschland noch nicht

Für Wirtschaftswissenschaftler ist das zunächst kein Grund zur Aufregung: Es ist normal, dass bei starker Konjunktur die Zahl der Gründungen sinkt. Margarita Tchouvakhina leitet die volkswirtschaftliche Abteilung der Förderbank KfW und verantwortet damit auch deren jährlichen Gründungsmonitor. Sie betont: Wenn es genug Arbeitsplätze gibt, machen sich weniger Menschen in Vollzeit selbständig.

Dagegen sei die Zahl der Nebenerwerbsgründungen bei der guten Wirtschaftsentwicklung sogar gestiegen. "Wenn sich die Binnenkonjunktur positiv entwickelt, konsumieren die Menschen mehr. Davon profitieren auch Dienstleister wie beispielsweise das Gastgewerbe mit als erste."

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Schattenseiten von Firmengründern: Narzissten, Machiavellisten, subklinische Psychopathen

Foto: Miguel_Villagran/ picture-alliance / dpa

Im internationalen Vergleich hat Deutschland allerdings einiges aufzuholen. Das zeigt der Global Entrepreneurship Monitor (GEM), den die Universität Hannover und das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit jedes Jahr gemeinsam veröffentlichen. Er basiert auf 5500 Telefonbefragungen und 40 Experteninterviews; die Wissenschaftler vergleichen eine Gruppe von Industrieländern. Ein "Gründerland", wie es sich der Wirtschaftsminister wünscht, ist die Bundesrepublik demnach noch lange nicht: Nur 2,5 Prozent der erwachsenen Bevölkerung bauten im Jahr 2010 eine Existenz auf - damit belegte Deutschland unter den 22 Vergleichsländern Platz zehn.

"Auf ständige Erneuerung angewiesen"

Und: Nur in sechs Volkswirtschaften war der Anteil der Gründungen aus der Not heraus höher als in Deutschland. Wirtschaftswissenschaftler dringen aber darauf, dass sich mehr Menschen freiwillig selbständig machen.

"Als Industrienation ist Deutschland auf die ständige Erneuerung der wirtschaftlichen Basis angewiesen", schreiben etwa die Autoren des GEM. Daran fehlt es, obwohl die Rahmenbedingungen eigentlich recht gut sind. Bei der physischen Infrastruktur, also etwa bei Verkehr und Kommunikation, gab es im GEM 3,9 von 5 möglichen Punkten.

Auch öffentliche Förderprogramme seien ausreichend vorhanden. "Allerdings könnten sie teilweise etwas transparenter gestaltet sein", sagt Rolf Sternberg. Er wünscht sich, dass es in jeder Region eine einzige Anlaufstelle für Gründungswillige gibt. Yvonne Stolpmann und ihr Team von der IHK haben sich bereits mit mehreren Banken rund um Nürnberg vernetzt. Wenn die Gründer zur ihr kommen, stellt sie mit ihnen alle Unterlagen zusammen, gibt ihnen einen Brief mit einer Einschätzung mit und schickt sie zur Bank. "Dann sind sie vorbereitet und haben schon einmal einen Fuß in der Tür."

Gründungskultur - Appell an die Politik

Solche Modelle könnten Schule machen, wenn es nach den Forschern vom GEM geht. Doch die Gründe dafür, dass Deutschland noch kein Gründerland ist, liegen ihrer Meinung nach tiefer. "Selbständigkeit wird nur selten als gleichberechtigte Alternative zur abhängigen Beschäftigung wahrgenommen", sagt Wirtschaftsgeograf Sternberg. Bei drei Punkten schneidet Deutschland wesentlich schlechter ab als die Vergleichsländer: Gründungsfähigkeit, Gründungsmotivation und gesellschaftliche Werte und Normen.

Die Forscher haben unter anderem gefragt, ob in Deutschland Risikobereitschaft und persönliche Anstrengung gefördert werden. "Die Politik sollte versuchen, eine Gründungskultur in Deutschland zu stärken", fordert Sternberg.

Seiner Meinung nach muss der Unternehmergeist schon früh in die Köpfe fließen: "Die Erziehung in Familie und Schulen vermittelt den jungen Menschen nicht ausreichend die Fähigkeit, ein eigenes Unternehmen aufzubauen." Immerhin verteilt das Wirtschaftsministerium inzwischen Unterrichtsmaterial mit dem Titel "Traumberuf Chef", für Schüler zwischen 14 und 16.

Wer eine Festanstellung aufgibt, verliert viel Sicherheit

Trotzdem wird es wohl dabei bleiben: "Das Streben nach Sicherheit ist in Deutschland weiter verbreitet als etwa in angloamerikanischen Ländern", wie es Sternberg formuliert. Das sei die Kehrseite des gut ausgebauten sozialen Sicherungssystems. Yvonne Stolpmann von der IHK Nürnberg bringt es so auf den Punkt: "Wenn man hierzulande seine Festanstellung aufgibt, verliert man sehr viel Sicherheit. Das ist in den USA anders."

Gleichzeitig ist die Angst vor dem Scheitern groß - laut GEM für 44 Prozent der Befragten ein Grund, gar nicht erst ein eigenes Unternehmen zu wagen. Immerhin daran will die Bundesregierung schon bald etwas ändern: Sie will die Frist zur Restschuldbefreiung bei Privatinsolvenzen auf drei Jahre verkürzen. Das würde bedeuten, dass ein gescheiterter Kleinunternehmer schneller schuldenfrei wird und seine Chancen auf ein neues Darlehen steigen.

Es sind viele kleine Schritte auf dem Weg zum Gründerland. Aber immerhin ist Gründen schon geläufiger geworden als früher. Gerade hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin gemeinsam mit Forschern der Universitäten Jena und Potsdam eine Studie veröffentlicht. Sie beruht auf dem Mikrozensus, einer jährlichen, repräsentativen Befragung von 820.000 Personen.

In kleinen Schritten zum Gründerland

Das Ergebnis: In den Jahren 1991 bis 2009 ist die Zahl der Selbständigen in Deutschland von 3 auf 4,2 Millionen gestiegen, so stark wie in kaum einer anderen entwickelten Volkswirtschaft. Die Forscher haben nicht nur die Gründungen gezählt. Sie haben auch festgestellt, dass der Anteil der Selbständigen an allen Erwerbspersonen über die Jahre gestiegen ist.

Es sind also insgesamt mehr Unternehmen im Markt geblieben, als ihn wieder verlassen haben. Besonders Ostdeutschland hat deutlich aufgeholt, die Zahl der Selbständigen hat sich dort in den 20 Jahren verdoppelt. Doch auch im Westen gab es deutlich mehr Gründungen. Wenn sich der Trend fortsetzt, kann Deutschland doch noch zum Gründerland werden.

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Eva-Maria Simon (Jahrgang 1984) ist freie Journalistin (www.weitwinkel-reporter.de). Sie schreibt vor allem über Arbeit und Soziales.

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