KarriereSPIEGEL im Hörsaal "Wer etwas Tolles erreichen will, muss reinhauen"

Debatte in Münster: Uta Glaubitz, Paul Meier, Armin Himmelrath, Mirko Kaminski (von rechts nach links)
Foto: SPIEGEL ONLINEKarriereSPIEGEL: Leben, um zu arbeiten? Oder arbeiten, um zu leben? Wer frisch in die Karriere startet, erlebt in vielen Branchen den Beruf und das Unternehmen als so dominant, dass kaum Zeit fürs Privatleben bleibt. Frau Glaubitz, als Berufsberaterin machen Sie jungen Leuten nicht gerade Hoffnung - Sie haben mal formuliert: Wer zu viel an Work-Life-Balance denkt, sollte sich lieber als Büropflanze bewerben...
Glaubitz: Wenn ich mich mit meinen Kunden unterhalte, dann mache ich ihnen sehr schnell klar: Du kannst in deinem Leben viel erreichen - aber nicht dann, wenn dir deine Freizeit viel wichtiger ist als deine Karriere. Überleg dir also, was du machen willst. Und wenn du etwas Tolles erreichen willst, musst du reinhauen. Zumindest in den ersten Jahren.
KarriereSPIEGEL: Also kann man sich die Work-Life-Balance als Berufseinsteiger komplett abschminken?
Glaubitz: Ich drücke es mal diplomatisch aus: Ich bin skeptisch. Wer etwas werden will, muss sich engagieren. Da gibt es dann eben einen, der ist an Heiligabend und Silvester da, wenn es wichtig ist. Und der andere sagt: Ich muss noch die Geschenke für die Familie kaufen, meine Kinder abholen. Das ist die Entscheidung: Beruf oder Privates. In der Regel kann man nicht beides schaffen. Wenn man wirklich etwas erreichen will, muss man sich einer Sache verschreiben.

Eine gute Work-Life-Balance ist für Firmen wie Berufsstarter wichtig. Wie gelingt das? Darüber debattierten Ende Mai in Münster Berufsberaterin Uta Glaubitz, der Kölner Microsoft-Niederlassungsleiter Paul Meier sowie Mirko Kaminiski von der Kommunikationsagentur "achtung!". Das Gespräch moderierte Armin Himmelrath. Ein weiteres Gespräch dazu beginnt am Donnerstag um 17 Uhr an der Uni Augsburg (Hörsaal HS 1001).
KarriereSPIEGEL: Herr Meier, nach wie vielen Stunden geht man beim Unternehmen Microsoft nach Hause? Oder geht man gar nicht nach Hause?
Meier: Nach Hause gehen wir schon - aber die Frage lässt sich nicht mit einer Zahl beantworten. Wir haben bei uns seit Jahren das Prinzip der Vertrauensarbeitszeit: Es gibt keine Regelarbeitszeit, auch keine Kernarbeitszeit. Jeder kommt und geht ohne Kontrolle. Der Frage "Wann ist eigentlich Feierabend?" würde ich direkt entgegenhalten: Wann fangen wir eigentlich morgens an? Das verschwimmt bei uns. Es gibt Tage, da muss ich um vier Uhr aufstehen, weil mein Flieger um sechs geht. Es gibt Tage, da stehe ich erst um acht auf und gehe um zehn ins Büro. Es gibt Tage, da bleibe ich zu Hause. Und Tage, da gehe ich zum Elternsprechtag meiner Kinder und arbeite gar nicht.
KarriereSPIEGEL: Klingt nach Paradies - aber Sie sind da vielleicht befangen…
Meier: Grundsätzlich ist natürlich etwas dran: Wenn man Karriere machen will, muss man davon ausgehen, dass Erfolg und Karriereschritte immer auch etwas mit besonderer Leistung zu tun haben. Das heißt aber nicht - und so habe ich es in meiner Karriere auch nicht erlebt -, dass das außergewöhnliche Engagement mit 14-Stunden-Tagen der Regelfall sein muss. Wichtig ist, dass man für sich selbst klärt: Wann setze ich welche Schwerpunkte?
KarriereSPIEGEL: Dann wäre die entscheidende Fähigkeit das Selbstmanagement. Sprechen Sie über Work-Life-Balance, wenn jemand neu zu Ihnen kommt?
Meier: Natürlich! Wenn wir neue Kollegen an Bord nehmen oder auch Trainees, dann ist Selbstmanagement ein Thema. Mit Flexibilität bei der Arbeitsorganisation - im Unternehmen, aber auch bei den technischen Möglichkeiten - lassen sich viele vermeintliche Widersprüche zwischen Work und Life gut entschärfen. Das funktioniert bei Microsoft sehr gut. Wir diskutieren immer wieder darüber: Wie setzen wir uns gegenseitig Grenzen? Wie gut wissen wir voneinander, wie die individuelle Work-Life-Balance ist? Denn es ist auch klar: Bei Vertrauensarbeitszeit neigt man dazu, tendenziell mehr zu arbeiten. Da müssen wir einfach aufeinander aufpassen.

Gesucht: Balance zwischen Arbeit und Privatleben
KarriereSPIEGEL: Microsoft ist ein großes Unternehmen mit vielen organisatorischen Möglichkeiten. Aber wie sieht das bei kleineren und mittelständischen Firmen aus? Herr Kaminski, Sie sind mit Ihrer Agentur selbständig, haben auch längst nicht so viele Mitarbeiter. Wie steht's mit der Work-Life-Balance bei Ihnen?
Kaminski: Ganz generell habe ich etwas dagegen, diese beiden Dinge - Work und Life - zu trennen, weil im besten Falle beides zusammenfällt. Ich habe das große Glück, eine Tätigkeit gefunden zu haben, die mich mit enormer Begeisterung und Leidenschaft erfüllt, nämlich Kommunikation. Weshalb ich zuweilen noch abends in der Küche sitze und ein Konzept schreibe. Wenn dann meine Frau reinkommt und fragt: Musst du noch arbeiten? Dann kann ich sagen: Das mache ich seit elf Jahren nicht mehr - damals wurde die Agentur gegründet. Ich trenne die Arbeit nicht vom Leben. Das erfordert natürlich, dass man sich selbst sehr stark diszipliniert. Mein Tipp ist einfach, viele Dinge auszuprobieren, um genau diese Leidenschaft zu entdecken, die einen erfüllen kann.
KarriereSPIEGEL: Wer leidet, hat den falschen Beruf?
Kaminski: Ja, so könnte man es ausdrücken. Nach der Ausbildung kam mal eine Volontärin zu mir kam und sagte: Mirko, das mit der Agentur, das ist nichts für mich. Sie hat dann etwas ganz anderes gefunden, was sie mit Leidenschaft erfüllt: Sie hat jetzt einen kleinen Porzellanladen in Hamburg, da kommen jeden Tag Kinder hin und bemalen die Tassen und Teller - die ist total erfolgreich. Und das ist das Wichtige: genau das zu finden, was einen packt.
Glaubitz: Da kann ich nur zustimmen. Die entscheidende Frage ist: Was will ich machen mit meinem Leben, was ist mein Ziel? Im besten Falle hat man dann gar keine Work-Life-Balance, also eine Balance zwischen zwei unterschiedlichen Dingen, sondern alles ist eins. Der Traumberuf ist der, den man nicht als fremd empfindet in seinem Leben. Da ist es dann ganz normal, dass man abends noch mal sitzt und arbeitet. Und man stört sich überhaupt nicht daran.
KarriereSPIEGEL: Aber besteht nicht die Gefahr der Selbstausbeutung, wenn man gar keine Grenze mehr zwischen Arbeit und Privatem zieht?
Kaminski: Man braucht eine ganze Menge Selbstdisziplin, um dafür zu sorgen, dass man seine Akkus am Wochenende auch wieder auflädt. Dafür gehe ich zum Beispiel Angeln. Natürlich gehen mir am Wasser auch Arbeitsgedanken durch den Kopf, aber man braucht einfach solche Oasen in seinem Leben.
KarriereSPIEGEL: Wie sieht Ihre Oase aus, Herr Meier?
Meier: Meine Oase ist 18, 15 und 10 Jahre alt, unter anderem - und bei meiner Frau verrate ich das Alter nicht. Aber klar: Es gehört viel Selbstverantwortung dazu, sein Leben ausgeglichen zu gestalten. Und, aus meiner Sicht ebenfalls wichtig: Man muss im Team sensibel miteinander umgehen und wissen, wann es dem Einzelnen gut geht.
KarriereSPIEGEL: Wie gut geht es denn jemandem, der täglich zehn oder zwölf Stunden arbeitet?
Kaminski: Ich finde es generell falsch, Leistungen nach Zeit zu bemessen. Natürlich habe ich das früher auch selbst erlebt, dass einem, wenn man um 19 Uhr ging, nachgerufen wurde: Was, heute nur einen halben Tag? Oder: Gehst du jetzt Mittagessen? Solchen Mechaniken sollte man sich aber nicht unterwerfen. Entscheidend ist, dass die Arbeit in guter Qualität gemacht wird. Und wenn ich das in sieben Stunden schaffe, ist es gut. Wichtiger für eine erfolgreiche Karriere finde ich, sich selbst sichtbar machen - mal eine Mail schreiben oder gute Ideen entwickeln und vortragen. Andererseits ist auch klar: In den ersten zwei, drei Jahren legt man das Fundament für seine Karriere. Das heißt nicht, dass man 14 Stunden pro Tag arbeiten muss. Aber: Man muss Engagement zeigen.
Glaubitz: Erfolg hat etwas mit Hingabe zu tun - Zeit spielt da nur eine untergeordnete Rolle.
Meier: Das stimmt. Anwesenheit am Arbeitsplatz ist bei Microsoft garantiert kein Kriterium für Erfolg.
KarriereSPIEGEL: Und wie oft müssen Sie Kollegen ausbremsen, weil sie zu viel arbeiten?
Meier: Ich muss natürlich darauf achten, dass sich niemand selbst ausbeutet. Wenn ich beobachte, dass ich von einem Kollegen regelmäßig Mails nach 20 Uhr bekomme, dann frage ich nach: Warum ist das so? Achtet er da nicht genug auf sich? Dafür müssen wir uns gegenseitig kennen. Ich habe einen Kollegen, der schreibt oft nach 21 Uhr Mails, was mich am Anfang irritiert hat. Heute weiß ich: Der hat kleine Kinder und macht zwischen sechs und neun Uhr abends gar nichts - setzt sich dann danach aber noch mal hin und erledigt, was erledigt werden muss.
KarriereSPIEGEL: Für die Work-Life-Balance sollte man also kommunizieren - ist das der wichtigste Ratschlag?
Glaubitz: Ich würde noch weiter gehen: Man sollte versuchen, den Widerspruch zwischen Work und Life aufzulösen. Ich weiß, ein hoher Anspruch. Aber mit weniger sollte man sich nicht zufrieden geben.