Arbeitsrecht "Umsatzeinbußen reichen nicht für eine Kündigung"

Viele Betriebe müssen in der Coronakrise um die Existenz kämpfen
Foto: Portra/ Getty ImagesSPIEGEL: Laut ifo-Forschungsinstitut bereiten sich viele Personalabteilungen auf Entlassungen vor. Selbst im Dienstleistungssektor wird es wohl erstmals seit der Finanzkrise 2008 zu Kündigungen kommen. Was raten Sie Ihren Mandanten, wenn Trennungsgespräche mit Mitarbeitern anstehen?
Alexander Birkhahn: Zunächst einmal muss man ein Konzept entwickeln. Betriebsbedingte Kündigungen gerichtsfest zu begründen, ist schon eine Kunst. Man muss sich da gerade im Mittelstand genau überlegen, welches die unternehmerischen Hintergründe sind.

Alexander Birkhahn ist promovierter Fachanwalt für Arbeitsrecht und Geschäftsführender Gesellschafter bei Dornbach in Koblenz. Die Dornbach Gruppe bietet an 20 Standorten Wirtschaftsprüfung, Steuer-, Rechts- und Unternehmensberatung vorwiegend für mittelständische Unternehmen an.
SPIEGEL: Ist die Coronakrise nicht ein hinreichender Grund?
Birkhahn: Ganz klar: Nein. Man muss im Zweifel beim Arbeitsgericht genau darlegen können, was die Krise mit dem Betrieb gemacht hat. Reine Umsatzeinbußen reichen als Begründung nicht aus.
SPIEGEL: 55 Prozent der deutschen Unternehmen befinden sich derzeit in Kurzarbeit. Damit geben sie ja an, dass sie eine nur vorübergehende Flaute erwarten. Kann eine Firma unter diesen Umständen überhaupt betriebsbedingt kündigen?
Birkhahn: Unter Umständen läuft sie dann tatsächlich Gefahr, das Kurzarbeitergeld zurückzahlen zu müssen. Denn Kurzarbeit und betriebsbedingte Kündigungen schließen einander im Normalfall aus. Mit Kurzarbeit zeigt man, dass man eine nur vorübergehende Flaute erwartet - wenn man Mitarbeiter entlassen will, geht man davon aus, dass es eine dauerhafte Änderung gibt.
SPIEGEL: Der Konzern Daimler hat seinen Führungskräften einen schriftlichen Leitfaden (€) an die Hand gegeben, wie Trennungsgespräche verlaufen sollten. Wenn ein Mitarbeiter frage: "Ist das eine Kündigung?", solle der Vorgesetzte antworten: "Nein, das ist keine Kündigung. Aber Sie haben richtig verstanden, wir wollen das Arbeitsverhältnis mit Ihnen beenden." Warum soll man nicht zugeben, dass es um eine Kündigung geht?
Birkhahn: Früher konnten Kündigungen auch mündlich ausgesprochen werden. Das geht zwar schon seit vielen Jahren nicht mehr, aber man will sich wohl auf jeden Fall vor dem Verdacht schützen, man wolle ohne Anhörung des Betriebsrats Kündigungen aussprechen. Bei den Gesprächen, die Daimler da beschreibt, geht es ja um Aufhebungsverträge. Wenn der Arbeitnehmer den nicht unterschreibt, dann gibt es zunächst auch keine Kündigung.
"Dass man gehen muss, ist unumstößlich"
SPIEGEL: Wie viel Spielraum hat man als Arbeitnehmer in einem solchen Gespräch?
Birkhahn: Wenn ein solches Gespräch geführt wird, steht die Entscheidung der Firma fest. Ich habe noch nie erlebt, dass ein Mitarbeiter in einem solchen Gespräch seinen Vorgesetzten davon überzeugen konnte, sich doch nicht zu trennen. Dass man gehen muss, ist unumstößlich. Spielräume gibt es aber bei der Gestaltung der Bedingungen für das Ausscheiden, etwa bei der Höhe der Abfindung, einer Freistellung oder der restlichen Beschäftigungsdauer.
SPIEGEL: Meist sind ja bei solchen Gesprächen ein Vertreter der Personalabteilung und der direkte Vorgesetzte des oder der Betroffenen anwesend. Muss man sich das als "guter Bulle, böser Bulle"-Konstellation vorstellen?
Birkhahn: Das kann schon so sein, ja. Oft soll der Kollege aus der Personalabteilung aufpassen und dafür sorgen, dass der direkte Vorgesetzte des oder der Betroffenen nicht zu schnell zu weitreichende Zusagen macht – denn der Vorgesetzte hat ja oft eine persönlichere Beziehung zu dieser Person. Generell führen Arbeitgeber solche Gespräche ungern unter vier Augen. Die haben lieber einen Zeugen oder eine Zeugin dabei.
SPIEGEL: Wer dieser Tage zu einem Personalgespräch gebeten wird, wird ja meist ahnen, um was es geht…
Birkhahn: …nicht zwangsläufig. In der Praxis ist man oft überrascht von der Blauäugigkeit mancher Mitarbeiter. Die fallen manchmal aus allen Wolken, obwohl eine mögliche Trennung schon länger im Raum steht.
SPIEGEL: Ist es schlau, auf jeden Fall vorsorglich jemanden vom Betriebsrat mitzunehmen?
Birkhahn: Das kommt darauf an. Wenn das Verhältnis zwischen Betriebsrat und Firmenleitung sehr schlecht ist, würde ich darauf verzichten und mir erst einmal so anhören, was die Firma mir zu sagen hat. Sonst kann es schon eine gute Idee sein, einen Beistand zu haben. Man sollte aber auch auf dem Zettel haben, dass manche Unternehmen mit falschen Karten spielen: Die haben mit dem Betriebsrat dann eine maximale Abfindungshöhe vereinbart, bieten in Einzelfällen dann aber doch mehr an – es sei denn, der Betriebsrat hört mit. Aber das ist die Ausnahme.
SPIEGEL: Kann man ein solches Gespräch rechtssicher per Videoschalte führen?
Birkhahn: Das Gespräch als solches hat ja keinen juristischen Charakter. Allerdings ist das Ziel für das Unternehmen, dass der Mitarbeiter gleich im ersten Termin den Aufhebungsvertrag unterschreibt, und das geht natürlich nicht per Video. Oft gibt es eine sogenannte Turboklausel: Wer sofort unterschreibt, bekommt mehr.
SPIEGEL: Kann man dann nicht nachher sagen, man sei überrumpelt worden?
Birkhahn: Die Rechtsprechung geht im Normalfall davon aus, dass der Arbeitnehmer in der Firma davon ausgehen muss, dass dort solche Gespräche geführt werden können. Da kann man im Nachhinein eine unterzeichnete Vereinbarung schwer anfechten. Anders kann es sein, wenn der Arbeitgeber etwa zu einem kranken Mitarbeiter nach Hause kommt und gleich einen Aufhebungsvertrag mitbringt – da hat das Bundesarbeitsgericht dann schon einmal entschieden, dass das zu weit geht.
SPIEGEL: Wenn der Arbeitnehmer sich weigert zu unterschreiben, was ist dann der nächste Schritt?
Birkhahn: Entweder sattelt das Unternehmen bei der Abfindung noch drauf – oder spricht eben doch eine betriebsbedingte Kündigung aus. Die kann ja auch durchaus wirksam sein. Oft einigen sich die Parteien dann beim Arbeitsgericht.
SPIEGEL: Wie hoch sollte man als Arbeitnehmer pokern?
Birkhahn: Das hängt vor allem von der eigenen Position auf dem Arbeitsmarkt ab. Wenn man schnell etwas Neues finden kann, sollte man sich durchaus auf eine Turboklausel einlassen. Wenn es schwierig wird, lohnt der Gang vors Arbeitsgericht. Worst case wäre: Man wird gekündigt, findet einen neuen Job – die Kündigung wird vom Gericht als unwirksam beurteilt, aber Geld bekommt man trotzdem nicht, weil das neue Gehalt auf die Ansprüche voll angerechnet wird. Dann hätte man gar nichts gewonnen.
SPIEGEL: Wie kann ich erkennen, ob ein Abfindungsangebot gut ist?
Birkhahn: Es gibt eine Faustformel, die vor allem für den Mittelstand gilt: Eine normale Abfindung beträgt etwa ein halbes Monatsgehalt pro Jahr Betriebszugehörigkeit. Bei größeren Entlassungswellen und in großen Unternehmen ist der Faktor meist größer – das kann in Einzelfällen bis zum Faktor drei gehen.