Faulenzen im Job "Ich war anwesend, aber nicht wirklich da"

Ikone aller Faulenzer: US-Trickserienstar Homer Simpson kombiniert Nichtstun am Arbeitsplatz auf virtuose Weise mit Nichtskönnen
Foto: FoxRoland Paulsen hat einige wirklich hübsche Anekdoten parat. Manches ist sogar ein wenig morbide.
Da ist zum Beispiel der Angestellte im öffentlichen Dienst von Menden im Sauerland, der vor etwa zwei Jahren in den Ruhestand ging. An seinem letzten Arbeitstag schrieb er eine E-Mail an seine Kollegen und teilte ihnen mit, dass er in den vergangenen 14 Jahren praktisch nichts mehr getan habe. "Ich war anwesend, aber nicht wirklich da", war der Wortlaut, so Paulsen. "Ich bin auf den Ruhestand also gut vorbereitet."
Oder der Finanzbeamte in Finnland, der 2004 gerade Steuereingänge kontrollierte, als er plötzlich an seinem Schreibtisch verstarb. Der Mann arbeitete mit etwa hundert Leuten auf einer Etage und mit etwa 30 Kollegen in der gleichen Abteilung. Aber sein Tod wurde erst zwei Tage später entdeckt, als ihn ein Freund zum Essen abholen wollte. Die fehlende Arbeitsleistung des Steuerbeamten schien niemand so recht vermisst zu haben.
Roland Paulsen ist Soziologe an der Universität von Lund in Schweden. Und er ist Spezialist für ein Thema, das in unserer Gesellschaft eigentlich eine gewaltige Bedeutung hat, dem aber in der Öffentlichkeit nur wenig Beachtung geschenkt wird. Man könnte fast meinen, es werde totgeschwiegen, aus Gründen, über die man nur Vermutungen anstellen kann.
Die Leute arbeiten nicht - und keiner merkt es
Es geht um die Zeit, die Menschen am Arbeitsplatz verbringen, ohne zu arbeiten. Die Medien sind voll von Berichten über die anscheinend immer unmenschlicher werdende Arbeitswelt, über Überlastung, Überstunden, Burnout.
Es gibt aber auch eine andere Wirklichkeit, und die wird von vielen Fachleuten offenbar unterschätzt. In dieser Realität beschäftigen sich Berufstätige im Schnitt etwa zwei Stunden am Tag mit privaten Dingen, wie jüngst das "Wall Street Journal" schrieb. Anderswo ist sogar die Rede von bis zu drei Stunden Freizeitbeschäftigung auf Kosten des Arbeitgebers. Im Klartext heißt das: Die Leute arbeiten während dieser Zeit nicht - und keiner merkt's.
Dieses "organisatorische Fehlverhalten", wie es Paulsen nennt, sei wahrscheinlich weiter verbreitet als viele Manager denken. Indizien für das wahre Ausmaß der privaten Aktivitäten am Arbeitsplatz gibt es einige. In den USA etwa, so schrieb Paulsen kürzlich in einem ausführlichen Artikel im US-Magazin "The Atlantic", entfallen etwa 70 Prozent des Traffics auf pornografischen Webseiten auf die Arbeitszeit. 60 Prozent aller Online-Einkäufe werden in den Vereinigten Staaten zwischen 9 Uhr morgens und 5 Uhr nachmittags getätigt.
Laut Paulsen finden zwar viele Studien zu dem Thema in den USA statt. Das Problem existiere aber erwiesenermaßen auch in anderen Staaten, wie zum Beispiel in Singapur, in Finnland und auch in Deutschland. Viele Veröffentlichungen über diese bezahlte Faulenzerei gebe es ohnehin nicht, schreibt der Experte. Und wenn, dann zumeist Erlebnisberichte von Leuten, die selbst über die Jahre zu erfahrenen "Arbeitszeitbummlern" geworden sind.
Forscher entdeckt eine Kultur der Verlogenheit
Wissenschaftler dagegen, so Paulsen, seien häufig zu weit von der Realität in Unternehmen oder Fabriken entfernt, um die Lage richtig einschätzen zu können. Sie verließen sich auf Informationen vom Hörensagen, bei denen das wahre Ausmaß der Faulenzerei vielfach verheimlicht werde, um den Schein zu wahren.
Paulsen füllt insofern offenbar eine wissenschaftliche Lücke. Der Soziologe hat sich der Sache forschend angenommen und ausführliche Interviews mit 40 Menschen geführt, die laut Paulsen die Hälfte ihrer Arbeitszeit mit privaten Dingen verbracht haben. Die Ergebnisse hat er in dem Buch "Empty Labor" zusammengefasst, dessen Quintessenz er im "Atlantic" beschreibt .
Demnach fand Paulson heraus, dass...
- ...in der Arbeitswelt, vor allem in Bürojobs, vielfach eine Kultur der Verlogenheit herrscht. Viele Mitarbeiter sehen keinen Sinn in ihrer Arbeit und machen sie lediglich, um ihre Rechnungen bezahlen zu können. Das kann aber selbstverständlich niemand offen aussprechen, denn damit würde er gegen die Regeln verstoßen und nicht zuletzt seine berufliche Existenz gefährden.
- ...sich Menschen in weniger anspruchsvollen Jobs oft nicht ausgefüllt fühlen. Sie flüchten dann in Tätigkeiten, die sie stärker befriedigen. Paulsen erzählt beispielsweise von einem Archivar, der nebenbei eine Magisterarbeit schreibt, oder einem Fahrkartenschaffner, der in jeder sich bietenden Minute Musik komponiert.
- ...speziell in größeren Organisationen Mitarbeiter zum Teil gar nicht faulenzen wollen - sie haben nur einfach zu wenig zu tun. Der eingangs erwähnte öffentliche Angestellte aus Menden etwa stellte, nachdem sein Fall in den überegionalen Medien gelandet war, in einem Interview klar, die Sache sei zum Teil falsch wiedergegeben worden: Er habe die Arbeit keineswegs vermieden. Seine Abteilung sei jedoch nach und nach gewachsen, seine Aufgaben seien an andere vergeben worden - bis für ihn irgendwann nichts mehr zu tun war. "Ich habe meine Dienste immer angeboten", sagte er, "aber keiner wollte sie."
Einen Grund dafür, dass das Problem nicht ausgelasteter Mitarbeiter häufig unentdeckt bleibt, liefern die Arbeitgeber laut Paulsen selbst. Wer sich an seinen Vorgesetzten wendet, um auf den Mangel aufmerksam zu machen, so der Wissenschaftler, schieße damit häufig ein Eigentor. Denn anstatt mehr Aufgaben zu bekommen, sei die Folge nicht selten, dass die Arbeitszeit des Betroffenen reduziert werde.