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Überstunden Kann der Boss Mehrarbeit einfach anordnen?

Angestellte wünschen sich faire Chefs. Chefs wollen Angestellte, die notfalls auch mal länger arbeiten. Was aber als Notfall gilt, führt oft zum Streit. Das Maximum an Überstunden deckeln Gesetze und Arbeitsverträge.
Von Sabine Hockling und Jochen Leffers
Wer hat an der Uhr gedreht, ist es wirklich schon so spät?

Wer hat an der Uhr gedreht, ist es wirklich schon so spät?

Foto: A9999 Db Upi/ dpa/dpaweb

Arbeit ist das halbe Leben. Nicht das ganze.

Wer arbeitet, braucht in der Freizeit Muße, um den Akku wieder zu laden und auf andere Gedanken zu kommen. Unternehmen wollen von ihren Angestellten aber, dass sie da sind, wenn's drauf ankommt: wenn zum Beispiel ein Großauftrag einläuft oder ein Projekt fristgerecht fertig werden muss.

Nach einer Untersuchung der Datenbank Gehalt.de sitzen zwei Drittel aller Berufstätigen regelmäßig länger als vereinbart im Büro. Und jeder Vierte bekommt zum Dank höchstens ein Schulterklopfen. Überstunden sind in der Berufswelt ein leidiges Thema. Arbeitgeber erwarten häufig zusätzlichen Einsatz, Arbeitnehmer sind dazu nur bereit, wenn es auch einen finanziellen oder zeitlichen Ausgleich gibt.

Eine gesetzliche Verpflichtung zu Überstunden existiert nicht. Sofern keine ausdrückliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer besteht, können Mitarbeiter Nein sagen. Dann müssen sie nur in Notfällen oder anderen unvorhersehbaren Fällen nach Feierabend ran. Dazu verpflichtet sie ihre Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber (§ 14 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz).

Nicht als Notfälle gelten beispielsweise: plötzliche Auftragsanfragen, ein üblicher Ausfall von Arbeitskräften oder ein streikbedingter Betriebsausfall. Dagegen sind Notfälle: ein Rohrbruch oder ein Totalausfall von Maschinen. Lehnen Mitarbeiter dann Mehrarbeit ab, können Arbeitgeber zur Abmahnung greifen - und im Wiederholungsfall zur Kündigung.

Möchten Unternehmen sich die Möglichkeit von Überstunden offen halten, müssen sie das explizit im Arbeitsvertrag regeln, etwa durch folgende Klausel: "Der Mitarbeiter erklärt sich bereit, auf Anordnung des Arbeitgebers über die vertragliche Arbeitszeit hinaus Überstunden zu leisten. Diese Überstunden müssen angeordnet und gesetzlich zulässig sein." Enthält der Vertrag zusätzlich den Hinweis "Mit dem Grundgehalt sind bis zu 20 Überstunden monatlich finanziell abgegolten", muss der Mitarbeiter die Mehrarbeit auch ohne Ausgleich erledigen.

Vorsicht vorm Cheftyp Zitronenpresse

Das Arbeitszeitgesetz sorgt allerdings dafür, dass Chefs - vom Typ "Entsafter" oder "Zitronenpresse" - dem Fußvolk nicht endlos Überstunden aufbrummen können. Manche sind ja maßlos und sehen Feierabend oder Wochenenden nur als willkommenen Zeitpuffer für alles, was in 40 Stunden nicht fertig wurde. Ihnen setzt das Gesetz enge Grenzen.

Die wichtigsten: Für normale Arbeitnehmer sind 8 Stunden der Tages-Richtwert, 10 Stunden das Maximum, pro Woche im Halbjahresschnitt höchstens 48 Stunden zulässig. Neben Pausenzeiten steht Arbeitnehmern auch eine Ruhezeit von mindestens 11 Stunden zwischen Arbeitsende und -beginn zu. Der Arbeitgeber ist zur Dokumentation von Überstunden verpflichtet. Bei leitenden Angestellten oder bestimmten Berufsgruppen wie Chefärzten können Sonderregelungen gelten.

Und wenn ein tyrannischer Boss das alles missachtet, wenn er die Gesundheit oder Arbeitskraft eines Mitarbeiters gefährdet? Dann macht er sich strafbar, ihm droht ein Bußgeld von bis zu 15.000 Euro. Oder bei Uneinsichtigkeit sogar eine Gefängnisstrafe.

Wichtige Urteile und ihre Folgen

Ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts zeigt, wie wichtig auch mündliche Vereinbarungen zur Mehrarbeit sind. Im Fall eines Kaufmanns gab es keinen schriftlichen Arbeitsvertrag, sondern nur mündliche Absprachen. Eine davon: In der Vergütung waren 20 Überstunden monatlich enthalten. Weil der Mitarbeiter wusste, was auf ihn zukommen kann, lehnte das Gericht seine Forderung nach Vergütung der Überstunden ab (Urteil vom 16. Mai 2012, Aktenzeichen 5 AZR 331/11 ).

In einem anderen Fall verlangte ein Lagerarbeiter (Brutto-Monatslohn 1800 Euro) nach Ende seines Arbeitsverhältnisses die Vergütung von fast 1000 angesammelten Überstunden. Im Vertrag stand zwar, dass er je nach den betrieblichen Erfordernissen Mehrarbeit ohne besondere Vergütung zu leisten hatte, auch an Sonn- und Feiertagen. Jedoch stufte das Bundesarbeitsgericht die Mehrarbeit-Vereinbarung als nicht klar und verständlich ein und entschied zugunsten des Mitarbeiters (Urteil vom 22. Februar 2012, Aktenzeichen 5 AZR 765/10 ).

Arbeitsrechtdatenbank: Von Abmahnung bis Zeugnis

Die Höhe des Gehalts und die Usancen einer Branche können vor Gericht durchaus einen Unterschied ausmachen. Ein von einer Großkanzlei enttäuschter Anwalt (Jahres-Bruttoeinkommen 88.000 Euro) hatte in zwei Jahren 930 Überstunden notiert. Dafür verlangte er eine nachträgliche Vergütung von 40.000 Euro - und erhielt am Ende: nichts.

Das Bundesarbeitsgericht erklärte zwar die Klausel im Arbeitsvertrag, Mehrarbeit sei mit dem Gehalt pauschal abgegolten, für intransparent und glatt rechtswidrig. Die Richter entschieden aber auch, bei Rechtsanwälten in vergleichbarer Stellung mit ähnlich üppiger Bezahlung sei eine Extra-Vergütung unüblich: Überstunden inklusive, der Anwalt ging leer aus (Aktenzeichen 5 AZR 406/10 ).

Das rät Ina Koplin, Fachanwältin für Arbeitsrecht

Erhalten Mitarbeiter kein hohes Gehalt, sollten Arbeitgeber und Mitarbeiter nicht generell davon ausgehen, dass Mehrarbeit ohne Vergütung oder Freizeitausgleich erfolgen muss. Deshalb ist es grundsätzlich ratsam, dass Arbeitsverträge konkret festhalten, wie viele Überstunden monatlich mit dem Gehalt abgegolten sind.

Existiert ein Tarifvertrag, gilt die Regelung zu den Überstunden, die in diesem Vertrag enthalten ist. Denn die Bestimmungen von Tarifverträgen gelten immer vor individuell vereinbarten Arbeitsverträgen - es sei denn, die im Arbeitsvertrag vereinbarte Regelung ist für den Mitarbeiter besser.

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