Arbeitszeiterfassung »Die digitale Stechuhr ist in jedem Unternehmen in 20, 30 Minuten möglich«

Arbeitszeit elektronisch und rechtssicher zu erfassen, muss nicht teuer sein – das geht schon für unter vier Euro pro Mitarbeitenden (Symbolfoto)
Foto: KIT8 / Getty Images/iStockphotoDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
SPIEGEL: Herr Neuhaus, wie lang ist gerade Ihre durchschnittliche Arbeitswoche?
Neuhaus: Deutlich länger als 40 Stunden. Vor allem im vergangenen Monat.
SPIEGEL: Das klingt geschätzt.
Neuhaus: Schon aufgezeichnet (lacht). Die Antwort ist aber geschätzt, weil ich noch nicht nachgeschaut habe. Im System steht es minutengenau.
SPIEGEL: Sie machen es so, wie es in Deutschland seit vergangenem Herbst verpflichtend ist: Arbeitszeit soll überwiegend elektronisch erfasst werden. So sagt es auch der Gesetzentwurf des Bundesarbeitsministeriums (BMAS) , der Mitte April vorgestellt wurde. Rennen Ihnen verzweifelte Unternehmen jetzt die Bude ein?
Neuhaus: Schon die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts im vergangenen September hat bei uns für einen deutlichen Auftrieb gesorgt. Viele haben auch bis Anfang des Jahres gewartet. Der Bedarf ist da, die Nachfrage auch: Gerade liegt sie vier- bis fünfmal höher als normal.
SPIEGEL: Was wollen die Unternehmen von Ihnen wissen?
Neuhaus: Vor allem wollen sie Bürokratie verringern. Die Unternehmen wollen weg von Zettelwirtschaft und alten Chipsystemen. Gerade im Handwerk, wenn Betriebe zeitgleich 15, 20 Monteurinnen und Monteure auf der Straße haben, kann schnell der Überblick verloren gehen. Die grundlegende Frage ist aber immer die gleiche: Wie können wir möglichst preiswert, schnell und unbürokratisch Arbeitszeit erfassen? Die Unsicherheit, wie man die Zeiterfassung dann bedient oder technisch ins Unternehmen einführt, ist meistens gar nicht so groß – auch weil das fast barrierefrei funktioniert.
SPIEGEL: Wer fragt bei Ihnen an?
Neuhaus: Wir arbeiten branchenübergreifend im In- und Ausland und haben etwa 2000 Kunden, vor allem Kleinbetriebe und Mittelständler: Bäckereien, Banken, Tankstellen. Unsere Lösung funktioniert genauso für Großunternehmen – da sind nur die Vertriebszyklen deutlich langwieriger. Unsere Wurzeln liegen aber im Handwerks- und Baubereich im Mittelstand.
SPIEGEL: Arbeitszeit muss, laut dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem Mai 2019, »objektiv, verlässlich und zugänglich« erfasst werden – wie geht das?
Neuhaus: Simpel. Unsere Anwendung funktioniert über Smartphone, Tablet oder über den Browser. In jedem Unternehmen kann ich die digitale Stechuhr in 20, 30 Minuten einführen. Und die kann genau »objektiv, verlässlich und zugänglich« erfassen, wie es Rechtsprechung und Gesetzgeber verlangen. Und alles direkt digital, auch für den Steuerberater.
SPIEGEL: Wie viele ihrer Kunden erfassen denn schon die Arbeitszeit?
Neuhaus: Jeder, der unser Angebot nutzt, erfasst auch Arbeitszeit. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts und der Gesetzentwurf des BMAS helfen vielen Chefs, ihre Mitarbeitenden zu sensibilisieren: »Arbeitszeit, die müssen wir jetzt nachhalten. Ohne Wenn und Aber.«
SPIEGEL: Was kostet die Unternehmen die Arbeitszeiterfassung pro Mitarbeitenden?
Neuhaus: Die digitale Stechuhr liegt bei 3,59 Euro pro Monat und Mitarbeitenden . Die Schlagzeilen über horrende Kosten, die durch die Arbeitszeiterfassung jetzt auf Unternehmen zukommen würden, halte ich deswegen auch für aufgebauscht.
SPIEGEL: Welche technische Ausrüstung wird benötigt?
Neuhaus: Unternehmen können die Arbeitszeit über PC, Smartphone oder Tablet erfassen – Hauptsache mit Internetzugang.
SPIEGEL: Aber geschummelt werden kann dann ja trotzdem.
Neuhaus: Ganz verhindern können wir das nicht. Eine gewisse Vertrauensbasis braucht es – aber die braucht es immer.
SPIEGEL: Arbeitszeit kann, so steht es im Gesetzentwurf, doch auch einfach mit einer Excel-Tabelle erfasst werden. Kleinbetriebe mit zehn oder weniger Mitarbeitenden dürfen bei der Zettelwirtschaft bleiben.
Neuhaus: Nehmen wir wieder den klassischen Handwerksbetrieb. Dort wird auf Montage die Arbeitszeit auf Zetteln erfasst. Im Büro, wo alles übertragen werden muss, wird es dann unübersichtlich. Schon allein, weil häufig nur die Hälfte der Zettel gut lesbar ist. Die Betriebe werden ohnehin mit Bürokratie überhäuft. Und dennoch: Excel ist gerade wohl unser größter Wettbewerber.
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SPIEGEL: Also freuen Sie sich vor allem darüber, wenn die Arbeitszeiterfassung in Deutschland dann bald Gesetz wird?
Neuhaus: Wir sind vorbereitet. Gerade erfassen nicht mal 60 Prozent der Unternehmen in Deutschland die Arbeitszeit – der Bedarf ist also riesig, von dem Urteil des EuGH sind alle betroffen. Bis das Gesetz kommt, werden aber sicher noch einige Monate vergehen. Im Laufe dieses Jahres wird der Gesetzgeber tätig, da bin ich sicher.