Arbeitszeugnis Muss man schlechte Noten akzeptieren?

Erst verschlüsseln, dann enträtseln: Das Arbeitszeugnis, ewige juristische Baustelle
Foto: Jens Büttner/ dpaWenn ein Arbeitsverhältnis endet, haben Arbeitnehmer Anspruch auf ein schriftliches Zeugnis - nicht nur auf ein einfaches Zeugnis mit Zeitraum und Beschreibung ihrer Tätigkeit, sondern auf Wunsch auch auf ein sogenanntes qualifiziertes Zeugnis mit einer Beurteilung ihrer Leistungen sowie ihres Verhaltens. So ist es in § 630 des Bürgerlichen Gesetzbuchs festgeschrieben.
"Du sollst nicht falsch Zeugnis geben", das gilt auch fürs Arbeitsrecht. Die Leistungsbewertung muss wahrheitsgemäß und vollständig sein. Zugleich sind Arbeitgeber aber verpflichtet, sie "wohlwollend" zu formulieren. Denn das Arbeitszeugnis soll Mitarbeitern den Neuanfang bei einer anderen Firma ermöglichen statt verbauen.
Besondere Zeugnissprache
Aus diesen Anforderungen, die sich widersprechen können, hat sich eine besondere Zeugnissprache entwickelt: eine Mischung aus standardisierten Floskeln und aus Formulierungen, die mitunter durchblicken lassen, dass ein Arbeitgeber vom Mitarbeiter nicht viel hält - obgleich es auf den ersten Blick ganz anders wirkt.
Es ist ein Zeugnisjargon, eine eigene Sprache mit vielen subtilen Verschlüsselungen. Denn nicht jeder Arbeitgeber ist bereit zur ultimativen Lobhudelei auf scheidende Mitarbeiter, zumal wenn ein Zerwürfnis zur Trennung führte. Vermeintlicher oder tatsächlicher Code führt vielfach zum Streit vor dem Arbeitsgericht.
Die Richter müssen dann klären, ob ein Arbeitnehmer zu Unrecht nur eine mäßige oder schlechte Bewertung erhalten hat. Dabei wägen sie jede Formulierung und begutachten auch die Formalien: die Zeugnislänge und mögliche Lücken, Schreibfehler und Eselsohren, etwaiges Fehlen einer Dank- und Schlussformel à la "Wir danken für die langjährige Zusammenarbeit und wünschen für die berufliche und private Zukunft alles Gute und weiterhin viel Erfolg".
Wichtige Urteile und ihre Folgen
Wer am Arbeitsplatz unzufrieden ist, kündigt in der Hoffnung, einen besseren Arbeitsplatz zu finden. So auch eine Mitarbeiterin, die zum Jobende ein Arbeitszeugnis mit der Note Drei ("zu unserer vollen Zufriedenheit") erhielt. Damit war sie unzufrieden und forderte eine Korrektur von Drei auf Zwei ("stets zu unserer vollen Zufriedenheit").
Als der Arbeitgeber sich weigerte, zog sie vor Gericht. Zwei Instanzen sprachen ihr eine bessere Beurteilung zu: sowohl das Arbeitsgericht Berlin (Urteil vom 22. Juni 2012, Aktenzeichen 28 Ca 18230/11 ) als auch das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Urteil vom 21. März 2013, Aktenzeichen 18 Sa 2133/12 ). Dann allerdings kassierte das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Urteile ein.
Während nach Ansicht des Arbeits- und das Landesarbeitsgerichts "stets zu unserer vollen Zufriedenheit" (Note Zwei) eine durchschnittliche Leistung beschreibt, ist es für das BAG die Formulierung "zu unserer vollen Zufriedenheit" (also die Note Drei). Wer eine bessere Gesamtbewertung möchte, müsse dafür konkrete Gründe vorlegen können, so die BAG-Richter (Urteil vom 18. November 2014, Aktenzeichen 9 AZR 584/13 ).
Sie legten zudem fest, dass die Beweislast bei Mitarbeitern liegt, wenn sie eine sehr gute oder gute Gesamtnote erstreiten möchten. Erst bei einer Note schlechter als Drei liegt die Beweislast bei Arbeitgebern. Ob der Mitarbeiterin die Gesamtnote Zwei zusteht, wird sie jetzt vor dem Landesarbeitsgericht beweisen müssen, denn dorthin hat das BAG den Fall zurückverwiesen.
Nicht immer kommen Arbeitgeber so glimpflich davon, wie ein Urteil des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven zeigt: Ein Mitarbeiter erhielt zum Jobende von seinem Arbeitgeber ein Arbeitszeugnis, das er als nicht wohlwollend und seine Leistungen nicht ausreichend gewürdigt sah. Die Richter verdonnerten den früheren Arbeitgeber zur Zeugniskorrektur. Weil der aber dieser Aufforderung nicht nachkam, musste sich der Mitarbeiter mit dem schlechten Arbeitszeugnis bewerben. Mit verheerenden Folgen: Er erhielt den anvisierten Job nicht und zog daher erneut vor Gericht. Wieder bekam er recht und einen Schadensersatz in Höhe von 3500 Euro zugesprochen.
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Denn das Unternehmen bestätigte, dass der Bewerber aufgrund seines schlechten Arbeitszeugnisses den Job nicht erhalten hatte. Bei der Berechnung der Schadenshöhe orientieren sich die Richter am Gehalt, das der Mitarbeiter in den ersten sechs Wochen verdient hätte (Urteil vom 26. November 2012, Aktenzeichen 1 Ca 1309/10).
Ganz ähnlich hatte zuvor das Hessische Landesarbeitsgericht im Fall einer Bankangestellten geurteilt, die vom früheren Arbeitgeber nur ein mangelhaftes Zeugnis mit vielen Rechtschreibfehlern erhalten hatte. Sie konnte glaubhaft darlegen, dass eine Bewerbung daran scheiterte (Urteil vom 31. März 2009, Aktenzeichen 1267/08 ).
Das rät Ina Koplin, Fachanwältin für Arbeitsrecht
Die wichtigste Aussage in einem Arbeitszeugnis ist die Gesamtbeurteilung der Leistung. Ist ein Mitarbeiter damit nicht einverstanden, sollte er zunächst die Gründe, die für seine bessere Bewertung sprechen, an seinen (Ex-)Arbeitgeber weiterleiten. Lehnt der eine Korrektur ab, sollte der Mitarbeiter seinen Wunsch mit einem Anwaltsschreiben verdeutlichen. Hilft auch das nicht, sollte er gemeinsam mit seinem Anwalt die Chancen einer Zeugnisberichtigungsklage abwägen.