Assessment-Center Schluss mit der Prüfung von der Stange!

Gute Assessment-Center entwerfen für jede Stellenbesetzung die passende Qual
Foto: CorbisMichael Dolderer* hat den Termin in seinem Kalender rot markiert: Er muss bei einem Assessment-Center antreten. Vorfreude empfindet der junge Business Intelligence Architekt dabei aber nicht. Unter Zeitdruck Präsentationen erstellen, abstrakte Gruppendiskussionen führen, höchste Ambitioniertheit bei gleichzeitiger Teamorientierung ausstrahlen - in jedem Moment von einer Handvoll Personaler und Manager mit Checklisten bewertet und am Ende ohne konkretes Ergebnis. Es gibt ergiebigere Arbeitstage für Dolderer. Doch er hat sich für einen Gruppenleiterposten in einer großen Versicherung beworben, es führt kein Weg daran vorbei.
Assessment-Center (ACs) sind ein sehr häufig eingesetztes Instrument. Sie sollen nicht nur bei der Personalauswahl für objektive Standards sorgen. Auch die systematische Personalförderung wird häufig auf der Grundlage ähnlicher Development-Center (DCs) durchgeführt.
Doch was ist dran an dem komplexen Verfahren? Lohnt sich der Aufwand für Unternehmen und Kandidaten, oder haben die zahlreichen Kritiker recht, die ACs/DCs für reine Zeit- und Energieverschwendung halten und mit den Ergebnissen wenig anfangen können?
Aus unserer Sicht kann sich die Mühe durchaus lohnen - aber nur, wenn die Veranstaltungen professionell zugeschnitten sind und eignungsdiagnostisch geschulte Kräfte mitarbeiten.
Gleiche Kriterien, von der Putzfrau bis zum Vorstand
Herkömmliche Assessment-Center kranken nämlich häufig an mehreren Stellen: Erstens wenden viele Unternehmen einfach immer wieder dieselben standardisierten Tests an, mit denen quasi von der Putzfrau bis zum Vorstand alle Kandidaten über denselben Kamm geschoren werden. Da werden die Mitarbeiter irgendwelchen Farbskalenwerten zugeordnet, die Horoskop-Charakter haben.
Diese Vorgehensweise ist fatal, denn die Anforderungen an Führungskräfte und Mitarbeiter unterscheiden sich nicht nur nach Funktion und Hierarchieebene, sondern vor allem auch nach der Branche, dem Reifegrad der Organisation und der Strategie des Unternehmens. Konkret: Es ergibt wenig Sinn, einen Ingenieur in der Entwicklung eines mittelständischen Maschinenbauers nach denselben Maßstäben zu beurteilen wie die Abteilungsleitung Marketing in einem internationalen Modekonzern. ACs sind nur dann aussagekräftig, wenn sie auch wirklich auf die zukünftigen Anforderungen von konkreten Funktionen zugeschnitten sind.
Der zweite Fehler, der in Verbindung mit ACs und DCs häufig in zu beobachten ist: Man prüft nur abstrakte Soft Skills ab und lässt die "harten Faktoren" außen vor. So wichtig Sozialkompetenzen in der heutigen Arbeitslandschaft sind: Allein mit Empathie, Teamspirit, Präsentationstechnik und einem gewinnenden Auftreten kann niemand zum Leistungsträger werden. "Hard Skills" sind unumgänglich, um erfolgreich zu arbeiten. Spezifisches Fachwissen spielt vor allen auf den unteren Hierarchieebenen eine sehr wichtige Rolle, während für die oberen Ränge Methodisches und Überfachliches von besonderer Bedeutung ist, zum Beispiel Projektmanagement, Strategie oder Branchenkenntnis.
Hard Skills dürfen nicht zu kurz kommen
ACs müssen daher auch die Hard Skills der Kandidaten ausreichend würdigen. Das setzt voraus, dass in der Vorbereitung die spezifische Situation des Unternehmens, seine Strategie, seine Struktur und seine Rollen berücksichtigt werden.
Bei dieser sorgfältigen Vorbereitung kann gleich der dritte häufige Fehler umgangen werden, nämlich die Perspektive der betroffenen Fachbereiche zu vergessen. Das passiert oft dann, wenn die Durchführung allein der Personalabteilung oder externen Dienstleistern überlassen wird.
Wer die internen Führungskräfte bei ACs zu wenig oder überhaupt nicht einbindet, stößt das eigene Fachpersonal vor den Kopf. Außerdem ist die fachliche Sicht ganz entscheidend bei der Auswahl. Der Fachbereich hat in aller Regel den besten Blick auf Anforderungen einer konkreten Position. Nicht zuletzt sorgt er dafür, dass die Prüfverfahren im Unternehmen akzeptiert sind - das ist absolut notwendig.
Wer diese drei Einsichten beherzigt, kann mit seinen ACs viel erreichen. Im Idealfall sind sie der Schlüssel für erfolgreiches Personalmanagement und sichern damit den Unternehmenserfolg: Sie liefern nachprüfbare, objektive Bedingungen für Einstellung und Beförderung und ersticken damit Unsicherheiten in der Einschätzung und Begründung im Keim. Sie bieten Unternehmen außerdem die Möglichkeit, die Entwicklung einzelner Beschäftigter, aber auch der Belegschaft insgesamt zu verfolgen.
Zwei Lehren über Hürden
Auch für den einzelnen Mitarbeiter sind sie eine große Chance - so nervenaufreibend der Anlass sein mag. Er erhält präzise und wertschätzende Rückmeldungen, eine unbezahlbare Unterstützung für die eigene Karriereentwicklung. Dazu muss die Testauswertung transparent und empathisch erklärt werden. Im Idealfall enthält die Rückmeldung gleich konkrete Weiterbildungsempfehlungen, vor dem Hintergrund des angestrebten Ziels.
Michael Dolderer zum Beispiel erfährt im Abschlussgespräch seines Assessment-Centers, dass sein Management- und Führungswissen noch zu schwach ausgeprägt ist für einen Gruppenleiterposten, dass er aber bei entsprechender Weiterentwicklung für die nächste Besetzung sehr gute Chancen hätte. Damit weiß Dolderer zwei Dinge: erstens, welche Hürden ihn von seinem Ziel trennen, und zweitens, welche Maßnahmen er ergreifen kann, um diese Hürden zu meistern.
*Name geändert

KarriereSPIEGEL-Gastautorin Uta von Boyen (Jahrgang 1971) ist studierte Philologin, Managementtrainerin und Executive Coach. Als Personalberaterin und Organisationsentwicklerin hat sie 1999 in München die Firma "von boyen - consulting" gegründet, die Unternehmen und Führungskräfte zu zentralen Fragen der Neuausrichtung berät. 2011 stellte sie mit "LeadOne for Excellence" ein neues Modell der Führungskräfteentwicklung vor.