Von Beruf Astrologin "Viele sind einsam"
Zwischen Wunsch und Wirklichkeit ist in vielen Berufen jede Menge Platz. In der Serie "Das anonyme Job-Protokoll"erzählen Menschen ganz subjektiv, was ihren Job prägt - ob Tierärztin, Staatsanwalt oder Betreuer im Jobcenter.
"Finde ich meinen Traumpartner"?, "Wird mein Freund fremdgehen?", "Werde ich jemals reich sein?": Manche Kunden erwarten Wahrsagerei von mir, aber damit hat meine Arbeit nichts zu tun. Ich verstehe mich als seriöse Astrologin, gebe Ratschläge und helfe bei Selbsterkenntnissen. Aber die Zukunft kenne auch ich nicht.
Inzwischen arbeite ich seit 20 Jahren als Astrologin, davor war ich Physiotherapeutin. Die Astrologie hatte mich schon lange interessiert, in meiner Freizeit versuchte ich mich an Horoskopen für Freunde. Mit 35 Jahren machte ich dann schließlich mein Hobby zum Beruf, durch eine zweijährige Wochenendausbildung.
Die gesamte Ausbildung kostet etwa 5000 Euro, plus Reise- und Übernachtungskosten. Man lernt - neben der Geschichte der Astrologie - auch das Erstellen von Horoskopen. Es gibt dabei jedoch verschiedene Schulen mit unterschiedlichen Deutungslehren. Und Astrologe ist leider keine geschützte Bezeichnung, jeder kann sich so nennen.
Eine Beratung dauert heute bei mir 60 Minuten, dafür nehme ich 130 Euro. Astrologie ist ein Saisongeschäft, im Sommer ist es mau, in der dunklen Jahreszeit kommen viele, dann habe ich ungefähr zehn Termine in der Woche.
Meine Kunden sind zu über 90 Prozent weiblich und zwischen 40 und 60 Jahre alt. Dabei sind alle sozialen Schichten vertreten: Hausfrauen, Prostituierte, Lehrerinnen, Richterinnen und sogar mal ein Bundestagsabgeordneter. Sie kommen fast immer aus einem konkreten privaten Anlass: Mobbing, Krankheit, Scheidung, Unzufriedenheit.
15 Minuten pro Horoskop
Kürzlich kam ein Ehepaar gemeinsam zu mir, sie hatten sich auseinander gelebt und wussten nicht, ob sie sich trennen sollten oder nicht. Eine andere Kundin fühlte sich mit ihrer Tochter überfordert, sie suchte keine Erziehungstipps, sondern eine klare innere Haltung.
Die Kunden melden sich vor dem Termin meistens per E-Mail bei mir, sie beschreiben mir grob ihr Problem und schicken mir ihr Geburtsdatum, die genaue Geburtszeit und den Geburtsort. Diese Angaben gebe ich in ein Computerprogramm ein, das, mit Hilfe von Daten der NASA, mir die genaue Planetenkonstellation zu diesem Zeitpunkt anzeigt. Die Deutung, also das Horoskop, erstelle ich dann selbst.
Dafür sind alle Planeten unseres Sonnensystems entscheidend, die Sonne und unser Mond. Hinzu kommen Mondknoten, Schnittpunkte von Umlaufbahnen und die Tierkreiszeichen. Für verschiedene Konstellationen gibt es unterschiedliche Symbole, deren Komposition ich interpretiere. Je nach Schule kann es leichte Unterschiede in der Deutung geben, die Grundanalysen bleiben aber gleich. Anfänglich brauchte ich für ein Horoskop zwei Stunden, heute sind es nur noch 15 Minuten.
Wenn die Kundin zu mir kommt, ist ihr Horoskop bereits errechnet. Wir können dann direkt ins Gespräch einsteigen. Ich versuche Charakterstärken und Schwächen zu beschreiben und überlege mit der Person, wie sie angesichts ihrer Anlagen am besten mit ihrem Problem umgehen und ihr Leben verbessern kann.
Für Frauenzeitschriften denke ich mir schon mal was aus
Ein Kunde zum Beispiel hatte große Angst davor zu verarmen, obwohl es objektiv keine Gründe dafür gab. Durch das Horoskop sah ich, dass seine Kontrollversuche ihm diese Angst nicht nehmen können. Ich riet ihm daher, etwas Geld zu spenden. So erlebte er, dass er Geld weggeben kann, ohne arm zu werden. Das half ihm. Manche wollen auch eine Berufsberatung von mir. Das kann ich natürlich nicht leisten, aber ich helfe bei der Selbsterkenntnis.
Manchmal stelle ich auch eine Theorie über Kunden auf, die nicht stimmt. Dies kommt zwar nicht oft vor, aber wenn, dann gebe ich das auch zu. Und ich habe auch Grenzen und weise schon mal Kunden ab. Zum Beispiel erstelle ich kein Horoskop über dritte Personen, die hierzu nicht ihr Einverständnis gegeben haben, also nicht über den wütenden Chef oder den neuen Liebhaber. Das würde ihr Persönlichkeitsrecht verletzen. Einige Großmütter wollen ein Horoskop für ihr neugeborenes Enkelkind. Dann sage ich, dass sie das Baby erst mal unvoreingenommen kennenlernen sollen. Die Schweigepflicht gilt nämlich auch für mich. Und bei psychologischen oder gesundheitlichen Problemen empfehle ich einen Arztbesuch.
Aber es gibt auch andere Seiten der Branche: Da ich von der Beratung nicht leben kann, schreibe ich unter falschem Namen Horoskope für Frauenzeitschriften. Die müssen kurz sein, sollen aufbauend klingen und möglichst viele ansprechen. Hierfür denke ich mir manchmal auch einfach etwas aus, für den Rest erstelle ich ein Horoskop ähnlich wie bei meinen Kunden, nur nicht für einen Geburtsmoment, sondern für ein Tierkreiszeichen und die jeweils relevanten Bewegungen von Himmelskörpern in der kommenden Woche. Trotzdem ist es dabei vor allem wichtig, schreiben zu können. Pro Woche bekomme ich für zwölf Horoskope 280 Euro.
Das anonyme Jobprotokoll: So sieht der Alltag wirklich aus
In meinen Anfangsjahren habe ich auch für Astro-Lines gearbeitet. Da bekommt man ungefähr 70 Cent pro Minute, die Anbieter verdienen daran natürlich viel mehr. Als Berater ist man darauf angewiesen, dass die Leute lange am Telefon bleiben und auch immer wieder anrufen. Unseriöse Kollegen stellen sich als Wahrsager dar und sagen Sätze wie: "Wenn du 'xy' tust, dann lernst du nächsten Monat eine neue Liebe kennen." Tritt das nicht ein, können sie sich immer damit herausreden, dass der Kunde ihren Rat nicht gut genug umgesetzt hat. Sie rufen auch explizit dazu auf, zu einem nahen Zeitpunkt noch einmal anzurufen, weil sie dann angeblich eine bessere Prognose erstellen können.
Einige Anrufer sind heilsüchtig, die rufen fast täglich an. In unserer Gesellschaft herrscht ein großes Bedürfnis danach, gehört und wahrgenommen zu werden. Viele sind einsam und können keine selbstständigen Entscheidungen treffen, hauptsächlich sind auch das Frauen. Einige Kollegen der Astro-Lines nutzen das aus. Viele Anrufer setzen dich aber auch unter Druck, sie wollen klare Zukunftsprognosen oder Aussagen über dritte Personen haben, sonst legen sie wütend auf und rufen nicht mehr an. Das heißt: Will man ehrlich bleiben und gibt auf diese Fragen keine Antworten, dann verliert man seine Anrufer und verdient nichts mehr. Als ich gemerkt habe, wie es dort zugeht, bin ich ausgestiegen.
Heute kommen meine Stammkunden in der Regel einmal im Jahr zu mir, in eine Heilsucht treibe ich sie nicht. Ihr Geburtshoroskop bleibt zwar das gleiche, jedoch können sich Ausprägungen bestimmter Veranlagungen zu bestimmten Zeiten oder auch in Rhythmen verändern.
Auf Partys verheimliche ich meinen Beruf inzwischen, zu oft wurde ich als Betrügerin angefeindet. Doch ich glaube daran, dass ich Menschen helfen kann. In der Astrologie herrscht ein positives, humanes Menschenbild. Wir sind tolerant.