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Aussterbende Handwerksberufe "Sogar der Chef hat mich vor dem Job gewarnt"

In Handwerksberufen macht man sich schmutzig - und viele wird es bald nicht mehr geben. Trotzdem: Ein paar Unbeugsame wagen sich in die exotische Ausbildung. Warum tun sie sich das an? Ein Steinmetz, eine Buchbinderin und eine Schuhmacherin erzählen, was sie antreibt.

Zeugt es von Mut oder Naivität, einen Beruf zu ergreifen, den es vielleicht bald nicht mehr geben wird? Von Leidenschaft oder eher von Leichtsinn? Mehr als eine halbe Million junger Menschen haben 2011 eine Ausbildung begonnen, rund 10.000 mehr als im Jahr davor, was auch an der guten Konjunktur in Deutschland liegt. Doch besonders kreativ sind die deutschen Jugendlichen in ihrer Berufswahl nicht.

Rund 25 Prozent aller neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge beziehen sich bei jungen Frauen auf nur vier Berufe. Klassischerweise werden sie Büro- oder Einzelhandelskauffrau oder medizinische Fachangestellte, besser bekannt als Arzthelferin. Auch junge Männer orientieren sich lieber am Mainstream als an ausgefallenen Jobs: Kfz-Mechatroniker, Einzelhandelskaufmann und Industriemechaniker sind beliebte Berufsziele. Mehr Bewerber als Stellen gibt es auch beim Mediengestalter oder Elektroniker.

Andere Ausbildungsberufe sind bei Jugendlichen dagegen derart unbeliebt, dass ihr langsames Aussterben unausweichlich scheint. Betroffen sind vor allem handwerkliche Jobs: In den vergangenen zehn Jahren sank die Zahl der Handwerks-Azubis von knapp 190.000 im Jahr 2001 auf gut 155.000 im Jahr 2011.

Den Beruf des Schuhmachers etwa wollten im vergangenen Jahr in Deutschland nur 48 junge Menschen lernen, den des Buchbinders sogar nur 35. Beim Steinmetz, einem der ältesten Berufe überhaupt, waren es immerhin 369 Auszubildende. Ein Beruf, den bald keiner mehr braucht, brauche ich auch nicht, denken wohl viele. Doch wer drückt Holz oder Edelmetall einen eigenen Stempel auf, wenn nichts mehr von Hand gefertigt wird?

Drei Handwerks-Azubis erzählen, warum sie sich für die Ausbildung in Berufen entschieden haben, die vom Aussterben bedroht sind.

  • Der Steinmetz: "Von dem Beruf hab' ich ja noch nie gehört"

Charly Evan, 21, lernt einen Beruf, den er vor kurzem kaum kannte: Er wird Steinmetz

Charly Evan, 21, lernt einen Beruf, den er vor kurzem kaum kannte: Er wird Steinmetz

Foto: Marie-Charlotte Maas

"Auf den Beruf des Steinmetz kam ich erst spät. Ich hatte zuvor bereits viel ausprobiert und war nie so richtig zufrieden. Eine Ausbildung zum Elektrotechniker war mir zu theoretisch, das Praktikum beim Tischler hat bewiesen, dass ich nicht gern mit Holz arbeite. Nach langen Gesprächen mit Verwandten und Freunden stieß ich auf den Steinmetz, einen Beruf, der mir bisher fast unbekannt war.

Zwei Nachbarn arbeiten als Bildhauer, sie haben mich darauf aufmerksamgemacht. Nach der Bewerbung habe ich eine Woche lang Probe gearbeitet. Dabei habe ich gemerkt, dass Stein das richtige Material für mich ist. Vor allem fand ich den Gedanken schön, etwas zu lernen, was nicht alle machen.

Maschinen können nicht alles ersetzen

Der Beruf ist sehr kreativ und abwechslungsreich. Einen Teil des Tages verbringe ich draußen auf Terminen, den Rest in der Werkstatt. Seit ich die Ausbildung begonnen habe, kann ich nicht mehr herumlaufen, ohne auf die Fassaden der Häuser zu schauen. Ich weiß jetzt, wie viel Arbeit dahinter steckt.

Warum es so schwierig ist, Lehrlinge zu finden, zeigt mein eigenes Beispiel: Häufig denkt man nur an das, was man aus dem Freundeskreis kennt. Kaum einer meiner Freunde arbeitet im Handwerk, die meisten werden Einzelhandelskaufleute. Viele von ihnen wussten mit dem Steinmetz gar nichts anzufangen, der Beruf ist vielen Leuten in meinem Alter einfach nicht bekannt.

Momentan bin ich in Berlin einer von drei Auszubildenden im ersten Lehrjahr. Unser Lehrer sagt, dass es von Jahr zu Jahr weniger Schüler werden; im Jahrgang über mir sind es noch zehn. Ich bin mir aber sicher, dass es den Beruf des Steinmetz immer geben wird. Sicherlich verdrängen Maschinen vieles, aber sie können nicht alles übernehmen."

  • Die Buchbinderin: "Ich sage lieber nicht, was ich mache"

Marie-Lena S., 22, hat ihre Leidenschaft fürs Buchbinden in der Schule entdeckt

Marie-Lena S., 22, hat ihre Leidenschaft fürs Buchbinden in der Schule entdeckt

Foto: Marie-Charlotte Maas

"Während meiner Schulzeit an der Waldorfschule hatten wir Buchbinden als Unterrichtsfach. Schon damals musste mich der Lehrer regelrecht von der Arbeit wegzerren, weil ich so fasziniert war. Es ist ein tolles Gefühl, aus den kaputtesten Büchern wieder etwas Schönes zu machen. Als es dann darum ging, was ich nach dem Abi machen möchte, hatte ein Freund die Idee, ich könnte es doch als Buchbinderin versuchen. Alleine wäre ich nicht darauf gekommen. Mir schwebte ein Physikstudium vor. Aber als ich herausfand, dass man in diesem Beruf tatsächlich eine Ausbildung machen kann, gab es keine Alternative mehr.

Ich habe neun Buchbindereien gefunden, die junge Leute ausbilden - und bei einer in Berlin hat es geklappt. Für den Job bin ich vom Bodensee weggezogen. Eine meiner Aufgaben ist es, neue Einbände für Bücher aus Universitäten zu machen - wenn Bücher durch so viele Hände gehen, nutzen sie sich schnell ab. Um welche Bücher es sich handelt, darauf achte ich mittlerweile eigentlich nicht mehr, aber es gibt Ausnahmen. Vor kurzem bekam ich ein Buch über einen südamerikanischen Entdecker in die Hände, da gerät man schon in Versuchung, sich festzulesen.

Bücher wird es immer geben

Als ich mit der Ausbildung begann, war mir bewusst, dass die Buchbinderei den Ruf hat, auszusterben. In der Berufsschule sind wir nur sechs Buchbinder, davon fünf Frauen. Im letzten Jahr waren es nur drei Azubis. Wir lernen aber zusammen mit den Industriebuchbindern, daher sind wir ein größerer Klassenverband. Ein bisschen Angst macht es mir, nicht zu wissen, ob ich nach der Ausbildung einen Job bekomme. Ich überlege, ob ich noch studiere, zum Beispiel Restauration. Auch Geschichte könnte mir gefallen.

Abgeraten hat mir zwar niemand von der Ausbildung, in Gesprächen bemerke ich aber häufig die Skepsis. Ich traue mich schon nicht mehr zu sagen, was ich mache. Es kann deprimierend sein, wenn die Leute ständig betonen, dass der Beruf keine Zukunft mehr habe. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass es gar keine Buchbinder mehr geben wird - trotz E-Books. Es wird immer Leute geben, die Bücher in der Hand und deren Geruch in der Nase haben möchten."

  • Die Maßschuhmacherin: "Die Skepsis hat mich angetrieben"

Lydia Weise, 23, fühlt sich von der Skepsis der anderen in ihrer Berufswahl bestätigt

Lydia Weise, 23, fühlt sich von der Skepsis der anderen in ihrer Berufswahl bestätigt

Foto: Marie-Charlotte Maas

"Ich wurde durch einen Fernsehbeitrag auf den Beruf des Maßschuhmachers aufmerksam. Da ich den Leuten schon immer auf die Schuhe geschaut habe, fand ich das interessant. Mir gefällt die Vielseitigkeit des Berufs, er ist sehr kreativ und eines der ältesten Handwerke überhaupt.

Mir ist durchaus bewusst, dass ich in einem Beruf arbeite, von dem man sagt, dass er im Niedergang ist. Daran glaube ich aber nicht. Ich habe zunächst ein Praktikum gemacht, und sogar mein damaliger Chef hat mich gewarnt, mir zu viele Illusionen zu machen, was die Zukunftschancen angeht. Das hat mich aber nicht demotiviert, sondern vielmehr angetrieben: Das Handwerk darf nicht aussterben!

Ich mache auch sehr häufig orthopädische Schuhe. Darauf hatte ich anfangs keine Lust, aber ich habe gelernt, dass es doch großen Spaß macht. Wer sich für die Ausbildung zum Maßschuhmacher entscheidet, muss sich bewusst sein, dass der Beruf nichts mit dem Entwerfen von Schuhen zu tun hat. Das machen nur die Meister. Sicher braucht man einen Blick für das Ästhetische, aber man wird auch dreckig und haut sich mal einen Hammer auf die Finger.

Plan B ist die Selbständigkeit

Meine Eltern waren uneins, was meine Berufswahl angeht, obwohl beide selber künstlerische Jobs haben. Meine Mutter arbeitet mit Keramik, mein Vater ist Maler. Dennoch, oder vielleicht gerade deshalb, riet mir mein Vater, erst etwas 'Sicheres' zu machen und zu studieren. Wenn ich von meiner Ausbildung erzähle, sind viele Leute sehr interessiert, sie selbst kämen aber nicht auf die Idee, einen Handwerksberuf zu erlernen, sie gehen lieber an die Uni.

Seit dem Beginn meiner Ausbildung habe ich für mich selbst drei Paar Schuhe entworfen und gebaut, darauf bin ich stolz. Das ist eigentlich das Schönste an meinem Beruf: Am Ende etwas in der Hand zu halten, das man eigenhändig hergestellt hat. Ein tolles Gefühl.

Wenn ich in einem Jahr meine Lehre beendet habe, würde ich gerne auf eine Art Gesellenwanderung gehen, um in möglichst vielen Betrieben Erfahrungen zu sammeln. Einfach loswandern, für Kost und Logis arbeiten und sich von einem Ort zum anderen treiben lassen. Einen langfristigen Traum habe ich auch: Ich würde gerne als Theaterschuhmacherin arbeiten, das ist aber eine Nische, mal sehen, ob es klappt. Mein Plan B ist die Selbständigkeit. Ich denke, dass man in Süddeutschland die besten Chancen hat. Dort ist meiner Erfahrung nach die Bereitschaft größer, in Handgemachtes zu investieren, zum Beispiel in Trachtenschuhe."

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