Nach Kanada in Zeiten von Corona »Selbst schuld, warum wandert ihr auch aus?«

Familie Teerling will nach Nova Scotia in Kanada auswandern
Foto: Christiane Teerling
Familie Teerling will nach Nova Scotia in Kanada auswandern
Foto: Christiane Teerling»Unser Hund Chester war am Frankfurter Flughafen schon eingecheckt, als es plötzlich hieß: Nein, die Einreise nach Kanada wird doch nicht genehmigt. Mein erwachsener Sohn wollte mit dem Hund nach Kanada nachfliegen, und ich war dort von unserem neuen Zuhause schon losgefahren, um die beiden am Flughafen in Quebec abzuholen. Als mich der Anruf erreichte, dass sie gar nicht im Flieger sitzen, hatte ich schon die Hälfte der 1000 Kilometer weiten Strecke zurückgelegt und die Grenze zum nächsten kanadischen Bundesstaat überquert, was bedeutete, dass ich nach der Rückkehr 14 Tage auf unserer neuen Farm in Quarantäne bleiben musste. Und da war es wieder, dieses Gefühl, in einem System gefangen zu sein, das nichts mehr mit Menschen zu tun hat.
Zu der Farm, die wir in Nova Scotia gekauft haben, gehört ein 1000 Hektar großes Grundstück mit Wald und eigenem See. Wir wollen dort eine Bisonherde halten, selbst schlachten und das Fleisch verarbeiten. Die nötige Erfahrung und die Maschinen dafür bringen wir mit: Fast zehn Jahre lang hatten wir in Niedersachsen eine Wildfarm mit Schlachterei und Hofladen. Das Geschäft lief gut, hochwertiges Fleisch ist gefragt, aber wir konnten nicht expandieren, weil uns der Platz fehlte. Es wurde uns einfach zu eng.
Unser Traumziel war eigentlich Neuseeland. Auf Immobilienportalen schauten wir immer wieder nach passenden Höfen, und eines Tages entdeckte mein Mann ein Foto unserer heutigen Farm. Dass die gar nicht Neuseeland, sondern in Kanada ist, stellten wir erst auf den zweiten Blick fest. Aber dann dachten wir uns: na gut, warum nicht?
Wir engagierten einen Hamburger Immobilienmakler, der auf die Vermittlung von Inseln, Grundstücken und Häusern im Ausland spezialisiert ist, und ließen uns einen Besichtigungstrip in Kanada organisieren. Vier Farmen schauten wir uns an, und bei dieser wussten wir sofort: Die ist es!
Wir nahmen Kontakt zur kanadischen Handelskammer auf, und schnell erreichten uns Hilfsangebote von allen möglichen kanadischen Institutionen. Überall wurden wir mit offenen Armen empfangen – klar, wir wollten ja auch eine große Summe investieren und Arbeitsplätze schaffen. Aber dass dann, wenn wir wirklich Hilfe brauchen, niemand da sein würde, hätte ich nicht erwartet. Das hat mich wirklich erschreckt.
Sechs Monate lang saßen der jüngere Sohn und ich mit einem Touristenvisum auf unserer Farm in Kanada fest und mein Mann und der ältere Sohn mehr als 5000 Kilometer entfernt auf unserem Hof in Niedersachsen – weil die kanadische Arbeitserlaubnis fehlte, für die wir längst alle nötigen Papiere vorgelegt hatten.
Eigentlich hatten wir im Frühling nur ein paar Wochen in Kanada bleiben wollen, um die ersten Container entgegenzunehmen und den weiteren Umzug zu organisieren. Aber dann kam der Lockdown, nichts ging mehr. Und unsere Familie war plötzlich getrennt.
Wegen der Coronakrise wurden von der kanadischen Regierung ständig neue Vorschriften zur Einreise erlassen, die wohl noch nicht mal mehr die Botschaftsmitarbeiter verstanden. Niemand konnte uns sagen, warum wir unsere Visa nicht bekamen. Unser älterer Sohn war in Deutschland schon von der Schule ab- und in Kanada angemeldet. Trotzdem durfte er nicht einreisen. Und natürlich stockte auch der Verkauf unseres Wildhofs in Niedersachsen.
Der Elfjährige und ich haben den Sommer über auf der Farm so viel gemacht wie möglich: Wege angelegt, die Wiese gemäht, Heuballen gepresst. Wie man die Ballenpresse repariert, hat mein Mann uns übers Telefon erklärt. Und auch die Nachbarn haben geholfen, wo es ging.
Unsere Landmaschinen hatten wir mit Containern verschickt. Bei der Einfuhr wird penibel überprüft, dass keine Erde daran haftet, damit keine Keime nach Kanada eingeschleppt werden. Unglücklicherweise wurde einer unserer Spezialbagger aber in Montreal statt in Halifax entladen – und dann dort von einem Reinigungsunternehmen ruiniert, das alle Teile auseinanderbaute, um Erdreste zu entfernen und sie dann falsch montierte. Als er nach vielen Wochen endlich bei uns ankam, hatte die 200.000 Euro teure Maschine nur noch Schrottwert. Ob wir diese Summe je ersetzt bekommen, ist ungewiss.
›Ihr seid doch selbst schuld, warum wandert ihr auch aus?‹, mussten wir uns immer wieder aus Deutschland anhören. Aber wir bereuen unsere Entscheidung nicht, trotz aller Rückschläge: Wir haben hier zehnmal so viel Platz wie auf unserer Wildfarm in Niedersachsen. Die Landschaft ist wunderschön, die Ruhe herrlich. Und nach vielen Monaten des Wartens ist nun auch endlich unser Visum da.
Damit alles seine Ordnung hat, muss ich nun mehr als 500 Kilometer bis zur kanadischen Grenze und hinüber in die USA fahren, um dann mit neuem Stempel wieder einreisen zu können. Ich habe aufgehört, mich über solch irrsinnige Vorschriften zu ärgern. Auswandern in Corona-Zeiten erfordert viel Geduld, das ist einfach so. Hauptsache ist, dass unsere Familie nun bald wieder vereint und inzwischen sogar meine Stute in der neuen Heimat angekommen ist.
Jetzt arbeiten wir daran, unser in Deutschland erprobtes »Von der Farm auf den Tisch«-Konzept in Kanada umzusetzen und auszubauen: Wir wollen von unseren Tieren Wurst- und Fleischspezialitäten nach deutscher Handwerkstradition herstellen und diese direkt vermarkten über einen eigenen Hofladen mit Restaurant. Unsere Farm ist dafür strategisch günstig gelegen, denn zur nächsten Großstadt Halifax ist es nicht weit.
Eine Dreiviertelstunde mit dem Auto zu fahren, um Fleisch zu kaufen, wäre in Deutschland kaum denkbar – aber der Bundesstaat Novia Scotia hat nicht viele Highlights zu bieten und Kanadier sind an längere Fahrtzeiten gewöhnt, an den Wochenenden kaufen deshalb auch Städter in den umliegenden Hofläden ein. Und die sind sehr viel unorganisierter, als wir das aus Deutschland kennen. Mit unserer Erfahrung steigen wir da auf einem ganz anderen Level ein.«
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Dieser See im kanadischen Nova Scotia gehört nun Familie Teerling aus Niedersachsen. Im Hintergrund ist ihre neue Farm zu erkennen.
Vier Farmen hatte sich die Familie in Kanada angeschaut. "Bei dieser wussten wir sofort: Die ist es", sagt Christiane Teerling.
In Deutschland züchteten die Teerlings unter anderem Muffel-, Damm- und Rotwild. Sohn Ian soll nun in Kanada die Schule abschließen.
Der Ausbruch der Corona-Pandemie wirbelte die Pläne der Familie durcheinander: Jan Teerling und der ältere Sohn Ian saßen in Deutschland fest, Christiane Teerling und der jüngere Sohn waren schon in Kanada.
Cedric ist erst elf Jahre alt, aber weil sein Vater und sein großer Bruder nicht nach Kanada einreisen durften, übernahm er kurzfristig die Heuernte.
Ihre Landwirtschaftsmaschinen haben die Teerlings in Containern nach Kanada verschiffen lassen.
Eine Schlittenfahrt mit 260 PS? Warum nicht!
Cedric fühlt sich in Kanada schon heimisch. In der Schule wurde er nett aufgenommen - auch wenn der Start wegen Corona gleich mit Homeschooling begann.
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