Nach 30 Jahren in Asien Wie ein Auswanderer mit 63 den Neustart in Bayern wagt

Nach mehr als 30 Jahren in China, Thailand und Vietnam hat Jürgen Braunbach sich die bayerischen Alpen als neue Heimat ausgesucht (Symbolbild)
Foto: Bildverlag Bahnmüller / imageBROKER / Getty imagesSie haben ihre Mietverträge gekündigt, ihr Hab und Gut verkauft oder verschenkt, Freunden und Eltern Adieu gesagt und sich ins Abenteuer gestürzt - in Indonesien, Peru oder den USA. Seit Jahren berichtet der SPIEGEL über Auswanderer. Doch was wurde aus ihren Träumen? Wir haben nachgefragt.
Peking, Ho-Chi-Minh-Stadt, Bangkok, Achenkirch. Jürgen Braunbach muss nur die Stationen seiner Karriere nennen, um zu irritieren. Mehr als 30 Jahre lang lebte er in Millionenmetropolen in Asien, jetzt wohnt er im bayerischen Mittenwald und pendelt zur Arbeit nach Tirol.
Er hat zwei Geschichten zu erzählen: Von einem, der auszog, Asien zu erobern und in der deutsch-österreichischen Provinz landete. Und vom beruflichen Neustart mit über 60.
Als der SPIEGEL vor acht Jahren über Braunbach berichtete, leitete er das Büro des Logistikkonzerns DB Schenker in Ho-Chi-Minh-Stadt. Er hatte den Standort aufgebaut; als er 1994 anfing, gab es außer ihm nur zwei weitere Mitarbeitende, zuletzt waren es mehr als 600.

Von der Metropole in den Luftkurort
Braunbach hat Sinologie studiert, "dass ich dann Logistiker geworden bin, war reiner Zufall", sagt er. Nach dem Tiananmen-Massaker 1989 seien Sinologen in Deutschland nicht besonders gefragt gewesen. Schließlich fand er aber doch eine Stelle - bei einem deutschen Logistikkonzern in Peking. Sechs Jahre blieb er, dann schickte ihn der Konzern nach Ho-Chi-Minh-Stadt. Und Braunbach gefiel es dort. Die Menschen seien "auf Zack", sehr fleißig, dazu freundlich, zuvorkommend und die meisten auch des Englischen mächtig.
Er blieb 21 Jahre. In dieser Zeit veränderte sich das Land, wurde vom billigen Produktionsstandort, wo vor allem Schuhe und Textilien hergestellt wurden, zum Standort für High-Tech-Fabriken, in denen Konzerne wie Samsung, Panasonic und LG Smartphones, Bildschirme und Fernseher produzieren lassen.
"Nach Deutschland zurückzukehren, kann ich mir kaum vorstellen", sagte er dem SPIEGEL vor acht Jahren. Damals ahnte er nicht, dass er drei Jahre später seine Koffer würde packen müssen - nach mehr als zwei Jahrzehnten in Vietnam wurde er nach Thailand versetzt.
Stromrechnung über 500 Euro im Monat
"Ein Auslandsbüro 21 Jahre lang zu leiten, ist absolut unüblich; ich verstehe schon, dass man da irgendwann gefragt wird: Willst du nicht mal woanders hin?", sagt Braunbach. Aber in Bangkok wurde er nicht richtig heimisch.
"Dass es deutsche Senioren nach Thailand zieht, kann ich nicht verstehen. Klar, Urlaub fand ich dort auch immer toll, aber meinen Lebensabend möchte ich da nicht verbringen." Dafür sei ihm die Militärregierung zu unberechenbar, das Klima zu heiß, die Luft zu verschmutzt und die Preise allgemein zu hoch. "Eine Flasche Wein kostet mindestens 20 Euro. Und weil die Klimaanlage ständig lief, hatten wir jeden Monat eine Stromrechnung von mehr als 500 Euro."
Nach zwei Jahren in Bangkok hatte er genug – auch von der Arbeit im Konzern. "Ich hatte eine gute Zeit bei Schenker, aber man muss auch erkennen, wann Zeit ist für einen Programmwechsel", sagt er. Und so verließ er das Unternehmen nach 27 Jahren und zog mit seiner Frau und den beiden Söhnen nach Mittenwald.
Zum ersten Mal ohne Zimmermädchen
Das Haus hatten sie von Vietnam aus gekauft. Braunbach ist in Köln aufgewachsen, aber Mittenwald hatte ihm schon als Jugendlicher gefallen. Mit seiner russischstämmigen Frau und den zwei gemeinsamen Kindern war er immer wieder zum Skifahren dort gewesen. Die Urlaube hatten allen Spaß gemacht, aber die Idee, aus dem Feriendomizil den Hauptwohnsitz zu machen, habe "erstmal zu Diskussionen geführt", sagt er: "Vor allem meine Söhne weinen Bangkok und Saigon noch immer hinterher."
Die beiden sind 17 und 18 Jahre alt und zweisprachig mit Englisch und Deutsch aufgewachsen. In Vietnam und Thailand besuchten sie internationale Schulen, Unterrichtssprache war Englisch. Der Wechsel ins bayerische Schulsystem war für beide nicht leicht. Der Älteste macht seinen Schulabschluss nun in Österreich, sein Bruder besucht eine Montessori-Schule.
Braunbach ist trotzdem sicher, dass seine Söhne vom Umzug nach Bayern profitieren: "In Vietnam und Thailand hat fast jeder ein Zimmermädchen zu Hause, das kocht, putzt und aufräumt. Sie sind damit aufgewachsen, haben das für normal gehalten – ein Realitäts-Check tut da ganz gut, sonst wird das Leben später schwierig."

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Seine Frau und er haben sich in ihrer neuen Wahlheimat wunderbar eingelebt, sagt er. Selbst seine Liebe zum FC Köln werde in Mittenwald akzeptiert. "Man kann sich auch mit über 60 noch einen neuen Freundeskreis aufbauen, das geht alles. Es kommt nur auf die eigene Einstellung an."
Das sei auch sein Motto bei der Jobsuche gewesen: Als er hörte, dass ganz in seiner Nähe ein junges Unternehmen Hochseilgärten herstellt und international verkauft, schrieb er eine Initiativbewerbung und bot an, den Vertrieb in Asien zu übernehmen. Die Zusage kam prompt.
"Ich bin da in ein Team mit jungen, kreativen Leuten gekommen, das war sehr spannend", sagt Braunbach. Allein vom Alter her sei er nach zwei Jahren noch immer der Exot in der Firma Kristallturm, "aber ich wurde sehr nett aufgenommen und fühle mich wohl".
Vor allem in China und Japan seien Hochseilgärten derzeit sehr gefragt. Bevor die Coronakrise die Welt umkrempelte, flog er drei- bis viermal im Jahr nach Asien, um Klettermodule auf Messen zu präsentieren und Kunden über mögliche Anbauten zu beraten – und um alte Freunde zu besuchen.
Besonders freut er sich bei diesen Reisen auch aufs Essen, denn an die bayerische "Schnitzelkultur" könne er sich nicht gewöhnen, sagt er. Seit sie in Mittenwald leben, wird im Hause der Braunbachs deshalb regelmäßig Vietnamesisch gekocht.
Jedes Land habe seine Vor- und Nachteile, sagt Braunbach: "Es gibt kein 'besser', das Leben ist überall anders, aber man kann auch überall gut leben."