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Auswandern Wie gelingt der Neuanfang im Ausland?

Anfangs unterstützen Nachbarn und Kollegen, doch irgendwann ebbt die Hilfe ab. Hier erklärt der Kulturanthropologe Hansjörg Dilger, wie der Start im Ausland gelingen kann – und warum eine Rückkehr kein Scheitern sein muss.
Ein Interview von Kristin Haug
Im Flugzeug ab ins neue Leben (Symbolbild)

Im Flugzeug ab ins neue Leben (Symbolbild)

Foto: DuKai photographer / Getty Images

Viele Menschen träumen von einem Leben in der Ferne, aber nur wenige setzen diese Träume auch um. Was treibt sie an? Wie schaffen sie den Neustart in der Fremde? Davon handelt das Buch »Mittagspause auf dem Mekong«  der SPIEGEL-Redakteurinnen Kristin Haug und Verena Töpper. Sie haben Geschichten von Deutschen in 28 Ländern auf sechs Kontinenten gesammelt. Dieses Interview ist ein Auszug aus ihrem Buch, das im vergangenen Jahr erschienen ist.

SPIEGEL: Die ersten Wochen in einem fremden Land sind immer aufregend, die meisten Auswanderer sind wohl sicher erst einmal euphorisiert. Wann sickert bei ihnen durch, dass sie Fremde sind?

Dilger: Auswanderer aus Deutschland sind ja meist gut qualifiziert und wandern damit unter privilegierten Bedingungen aus. Wenn sie direkt eine Arbeit im Ausland beginnen, helfen in den ersten Wochen und Monaten oft Kollegen oder Nachbarn bei Alltags- oder Bürokratiefragen. Doch dann kann die Hilfe irgendwann nachlassen. Dieses erste Netzwerk, auf das sich Auswanderer verlassen haben, kann sich zurückziehen. Dann merken sie, dass sie noch nicht dazugehören und sich aktiv darum bemühen müssen, neue und beständige Kontakte aufzubauen.

SPIEGEL: Wie gelingt das?

Dilger: Am einfachsten geht das, indem Sie Kontakt zu Menschen aufnehmen, die in einer ähnlichen Situation sind, also auch ausgewandert. Dann besteht allerdings die Gefahr, dass Sie sich nur in ihrer eigenen Blase bewegen. Wollen Sie Kontakte außerhalb dieser Bubble aufbauen, müssen Sie die Sprache des Landes beherrschen. Denn wenn Sie zum Beispiel in Lateinamerika immer nur auf Englisch reden wollen, betonen Sie ihr eigenes Fremdsein. Um dauerhaft Anschluss zu finden, können Sie an lokalen Ereignissen teilnehmen oder sich in Kultur- oder Sportvereinen engagieren.

SPIEGEL: Aber manche Auswanderer lernen die Sprache, engagieren sich und kommen trotzdem nicht richtig an. Woran liegt das?

Dilger: Wenn Auswanderer etwa von Berlin in eine Kleinstadt im mittleren Westen der USA ziehen, können sie sich dort fremder fühlen als im Zentrum Kapstadts. Es kann sein, dass sie in stark konservativ geprägten Orten nicht zurechtkommen, dort keinen sozialen Anschluss finden. Das kann sie bedrücken, sie können das Gefühl haben, dauerhaft fremdzubleiben. Das kann auch psychisch und physisch belastend werden.

SPIEGEL: Was sollten die Menschen dann tun?

Dilger: Wenn Sie merken, dass der Ort, an dem Sie leben, nicht der richtige ist, gibt es die Möglichkeit weiterzuziehen. Das heißt ja nicht, gleich das Land zu verlassen, vielleicht reicht es schon, in die nächstgrößere Stadt zu wechseln.

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Kristin Haug, Verena Töpper

Mittagspause auf dem Mekong

Verlag: Penguin Verlag
Seitenzahl: 256
Für 14,00 € kaufen

Preisabfragezeitpunkt

21.03.2023 21.19 Uhr

Keine Gewähr

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SPIEGEL: Wovon hängt es ab, ob ein Neuanfang in einer anderen Stadt dann überhaupt noch gelingen kann?

Dilger: Hier spielen viele Aspekte, über das Berufliche und Soziale hinaus, eine Rolle. Ein Neuanfang kann gelingen, wenn man sich mit dem Ungewohnten generell arrangieren kann – etwa mit anderen Kleidungsnormen, damit, dass der Familienzusammenhalt oder die Religion in einem anderen Land vielleicht wichtiger sind als in Deutschland.

SPIEGEL: An welchem Punkt sollten sich Auswanderer überlegen, zurück nach Deutschland zu gehen?

Dilger: Wenn sich die Ausgewanderten so gar nicht mit den Gegebenheiten vor Ort anfreunden können, keinen Anschluss finden und unglücklich sind, werden sie vermutlich über eine Rückkehr nachdenken. Diese hängt aber nicht nur davon ab, wie sehr Auswanderer im neuen Land angekommen, sondern auch, wie die Bedingungen in der alten Heimat sind. Hat jemand seine familiären und sozialen Bindungen nach Deutschland gepflegt? Welche beruflichen Optionen gibt es nach der Rückkehr? Wie ist man versichert? Ausgewanderte können sich auch fremd fühlen, wenn sie in ihre frühere Heimat zurückkehren.

SPIEGEL: Wie sollten Auswanderer damit umgehen, wenn sie in der Fremde nicht glücklich geworden sind?

Dilger: Das ist sicher von der jeweiligen Persönlichkeit und davon abhängig, wie jemand seine Bindungen während der Zeit im Ausland gepflegt hat. Und auch davon, wie man das eigene Auswandern an das soziale und familiäre Umfeld vermittelt hat. Wenn man Freunden oder der Familie das Gefühl gegeben hat, das Leben in Deutschland sei schlecht, könnte das soziale Umfeld die Rückkehr als Scheitern wahrnehmen.

SPIEGEL: Das heißt, bevor man wegzieht, sollte man die alte Heimat nicht schlechtmachen?

Dilger: Genau, denn wenn man das nicht tut, wirkt es auch nicht automatisch so, als sei man im vermeintlich besseren Ausland gescheitert. Aber natürlich kann es trotzdem anhaltendes Unverständnis über die Auswanderung im sozialen und familiären Umfeld geben.

SPIEGEL: Wie schaffen es Auswanderer, dauerhaft Teil einer anderen Kultur zu werden?

Dilger: Wenn Auswanderer einen guten Job gefunden und einen gewissen sozialen Status haben, werden sie mit der kulturellen Fremdheit anders umgehen können. Sie werden selbstbewusster, offener, lernen leichter Menschen kennen, werden eher Teil einer anderen Kultur. Das Kulturelle hängt immer mit dem Sozialen zusammen. Doch Auswanderer werden wohl nie zu 100 Prozent Teil einer anderen Gesellschaft werden. Auch bleiben Zugehörigkeiten in der Regel über Grenzen hinweg in die ehemalige Heimat bestehen.

SPIEGEL: Werden Auswanderer im Alter eher in der neuen Heimat bleiben oder nach Deutschland zurückkehren wollen?

Dilger: Das hängt davon ab, wie gut sie im neuen Land angekommen sind, ob sie eine Familie gegründet haben und wie sie ansonsten gesellschaftlich verwurzelt sind. Im Alter, aber auch in Krisenzeiten können soziale Kontakte wegbrechen, die Belastbarkeit familiärer Bindungen und von Freundschaften wird auf die Probe gestellt. Das kann zur Überlegung führen, ob es besser ist, nach Deutschland zurückzukehren. Hier stellt sich für Auswanderer dann jedoch die Frage, welche Kontakte sie noch in der alten Heimat haben und welche bürokratischen und finanziellen Hürden es bei der Rückkehr nach Deutschland zu überwinden gilt.

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