
Arbeitgeber: Die größten Autozulieferer der Welt
Traumberuf Auto-Ingenieur Es muss nicht immer Mercedes sein
Gerade arbeitet Robert Schäfer an einem Wankstabilisator, für einen Autozulieferer in Bayern. Das hat nichts mit Alkohol am Steuer zu tun. Der Stabilisator verringert die Neigung der Fahrgastzelle, wenn man schnell durch eine Kurve fährt. Nach den Sommerferien könnte Schäfer einen ganz anderen Job haben, vielleicht etwas mit Turboladern oder mit Steuerelektronik, vielleicht in Wolfsburg oder im Rhein-Main-Gebiet.
Schäfer, 33, ist einer der modernen Tagelöhner, die heute unsere Autos konstruieren. Das Wort "Tagelöhner" muss man dabei gar nicht abschätzig verwenden: Diese Ingenieure sind oft hoch spezialisierte Fachleute, und sie verdienen gut, auch als Neulinge 40.000 bis 50.000 Euro im Jahr. Aber sie werden völlig frei und projektbezogen eingesetzt.
Schäfer ist selbstständig, hat 2011 mit zwei Kollegen das Ingenieurbüro QuerD im sachsen-anhaltinischen Schönebeck gegründet. Seine Arbeitskraft bietet er auf Spezialplattformen wie Solcom.de an. Meldet dort ein Entwicklungsleiter, sagen wir mal: von Volkswagen, dass er einen neuen Turbolader entwickeln will, hat er spätestens nach zwei Tagen die Profile aller passenden Kandidaten. "Und wenn er mich brauchen kann, fange ich eine Woche später mit der Arbeit an", sagt Schäfer.

Robert Schäfer
Foto: QuerDDas ist der Berufsalltag vieler Autokonstrukteure: So flexibel arbeiten schätzungsweise zehn Prozent, sei es als Selbstständige oder angestellt bei Entwicklungsdienstleistern. Meist sind es Projekte im Halbjahresrhythmus, wenn es gut läuft, mit Verlängerung oder Folgeauftrag. Schäfer arbeitet in seinem Projekt nun schon seit zwei Jahren, mit vier Werkverträgen hintereinander.
Der Autobau gilt als Herz der deutschen Industrie, rund hunderttausend Ingenieure arbeiten in der Branche. Und für viele ist nach dem Technikstudium ihr größter Traum, auf dem ersten Arbeitsvertrag den Daimler-Stern zu haben, die vier Ringe von Audi oder den Bayern-Propeller von BMW.
Drei große Trends
Doch die Art, wie in der Autobranche gearbeitet wird, verändert sich:
- Verstärkt arbeiten Autoentwickler in kleinteiligen Einzelprojekten - auch feste Mitarbeiter der Hersteller. Seltener als bisher betreut ein Ingenieur gleich mehrere Baugruppen eines Modells und die Nachfolgebaureihen. Stattdessen lösen immer neue Projektteams Einzelprobleme, über Markengrenzen hinweg, zusammen mit hochspezialisierten Freelancern. So ein Detailproblem kann die Modernisierung eines Getriebes sein, die Motoranpassung an neue Abgasnormen oder ein Tagfahrlicht für alle Modelle eines Herstellers.
- Die Entwicklungsarbeit wird internationaler - weil die Hersteller neue Märkte erschließen und vor Ort sein wollen, etwa in China oder in den USA. Und weil das nötige Wissen global verteilt ist, gerade bei Innovationen, die nicht zum klassischen Handwerkszeug von Maschinenbauern gehören. Martin Neuhold, Autoexperte der Personalberatung Kienbaum, sieht das als zentralen Trend: "Es ist schon jetzt völlig normal, dass deutsche Hersteller eine Bediensoftware in Indien entwickeln lassen und die Batterietechnik der Hybridmodelle in Japan."
- Zugleich wächst die Bedeutung der Zulieferer: Früher produzierten sie, was die Automarken konstruiert hatten; heute entwickeln sie auch. Marken wie Audi, Volkswagen oder Opel entwickeln nur noch 20 bis 30 Prozent aller Teile und Techniken im Auto selbst, schätzt Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg-Essen. Den Rest erledigen Firmen wie Bosch oder Continental.
Warum also nicht da einsteigen, wo die Autoteile entstehen? Robert Schäfer startete nach dem Maschinenbaustudium in Magdeburg-Stendal beim Turbolader-Spezialisten Voith: "Zunächst betreuten die meine Diplomarbeit, dann wurde ich gleich übernommen. Es war einfach eine gute Gelegenheit."

Absolventen-Ranking: Wo Ingenieure arbeiten wollen
Inzwischen hat er eine Reihe von Firmen aus der Branche kennengelernt und würde es "genauso wieder machen". Denn beim Zulieferer könne man sich besser in die Technik von Autos vertiefen: "Dort wird in vielen Fällen die eigentliche technische Arbeit erledigt."
Weitere Vorteile nennt Kienbaum-Mann Neuhold: "Dort ist der Bewerberandrang geringer. Und nicht selten das Einkommen besser." Der Job bei der großen Automarke dagegen ist für Kollegen attraktiver, die sich für Prozesse, Marketing oder Vertrieb interessieren, oder die Einzelprojekte zum großen Ganzen zusammenpuzzeln.
Auch Mittelständler gehen ins Ausland
Erfahrungen kann man dort ebenso gut sammeln, auch international. Nachdem die Autohersteller viele Entwicklungsstandorte im Ausland aufgebaut haben, folgen ihnen kleinere und mittlere Zulieferer, so Neuhold. "Die großen Zulieferer sind schon dort, nun bereiten sich Firmen mit weniger als 5000 Mitarbeitern auf den Schritt ins Ausland vor." Einige engagieren ihn für die Personalsuche; Bewerber mit Erfahrung in den Wachstumsmärkten in Asien und Nordamerika haben große Vorteile.
Warum hat sich Schäfer selbstständig gemacht? "Der Voith-Standort geriet in eine Krise, ich hatte Jobangebote in Süddeutschland, wollte aber nicht auf Dauer aus der Magdeburger Gegend weg." Ironie des Job-Schicksals, dass er nun seit zwei Jahren im Süden arbeitet. Aber: "Schon der nächste Auftrag kann mich woanders hinführen." Am Freelancer-Leben schätzt er vor allem die Vielfalt, trotz seiner Spezialisierung auf Ladersysteme. Der erste freie Auftrag war für ein Steuergerät für Zündkerzen, es folgte ein Softwareprojekt.

André Hölzgen
Foto: Vision R.Wer die Selbstständigkeit scheut, kann auch bei einem Engineering-Dienstleister anheuern. Die größten in Deutschland sind IAV mit 6300 Mitarbeitern und FEV mit 3300. Es geht auch kleiner: In Rüsselsheim hat André Hölzgen, 44, das Büro Vision R gegründet, zusammen mit drei Partnern. Eine gute Lage, außer Opel entwickeln dort auch Isuzu, Hyundai und Kia neue Modelle.
Für Zulieferer und Hersteller wie sie bearbeitet Hölzgen mit seinen derzeit 15 Fachleuten vielfältige Entwicklungsprojekte. Sein Lieblingsgebiet ist die Motorentechnik, aber die Aufträge führen ihn in alle Disziplinen. Decken seine Kollegen ein Gebiet nicht ab, beauftragt er externe Spezialisten: "Im Projektgespräch fragen wir nicht als erstes: Wo sehen Sie Ihre Stärken und Schwächen? Sondern eher: Mit welchem CAD-Tool haben Sie schon konstruiert? Oder: Nennen Sie mir einmal die typischen Abgaskomponenten eines Verbrennungsmotors."
Weil Dienstleister wie er außerhalb der Branche unbekannt sind, gelingt hier der Jobeinstieg leichter. So können Neulinge in andere Firmen und Fachbereiche reinschnuppern, allerdings für oft ein wenig niedrigere Gehälter.
Aber kann man jungen Ingenieuren wirklich noch die Autobranche empfehlen, wenn die Zulieferer zunehmend im Ausland entwickeln? Auto-Ökonom Dudenhöffer ist sicher: "Das internationale Wachstum der Branche geht mit Technologiethemen wie autonomem Fahren weiter, in Deutschland dürfte dieser Arbeitsmarkt immerhin stabil bleiben." Gerade bei Software-Ingenieuren wachse der Bedarf stark, sagt er.
Robert Schäfer kann nicht klagen, es läuft gut für den modernen Tagelöhner: "Seit ich selbstständig bin, habe ich keine Woche ohne Auftrag erlebt."

Matthias Kaufmann (Jahrgang 1974) ist KarriereSPIEGEL-Redakteur.