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Generation Bachelor Optimiert und abgeschmiert

Schneller, besser, effizienter: Der Turbo ist das Markenzeichen der Generation Bachelor. Das kann man beeindruckend finden - oder langweilig. Denn wenn alle brillieren, fällt keiner mehr auf. Etwas wirklich Besonderes sind nun Lebensläufe mit Brüchen.
Studium abgeschlossen: Wenn alle perfekt wirken wollen, sind die Lebensläufe glatt

Studium abgeschlossen: Wenn alle perfekt wirken wollen, sind die Lebensläufe glatt

Foto: Julian Stratenschulte/ picture alliance / dpa

Der Germanistikdozent ist benommen. Ein Eisenbahnzusammenstoß war das nicht, ein Clash der Generationen schon. Eine Novelle von Thomas Mann hatte der Dr. phil., 39, an die Wand geworfen, nun saß nur eine Handvoll Studenten vor ihm, sein Vortrag war nicht "klausurrelevant". Alle außer ihm im Seminar waren in den Achtzigern und Neunzigern geboren, erst wirkten sie schläfrig, dann zerfledderten sie ihm den Text. Smart und ohne Empathie belächelten sie die Tragik des Helden. Er hatte die Generation Bachelor kennengelernt und fragte sich später, wie die tickt.

Strategisch und effizient, mit perfekten Lebensläufen, so wird sie beschrieben. Buchautor Klaus Werle nennt sie "Perfektionierer, die wie kleine Unternehmer an ihren Karrieren feilen", der Jugendforscher Klaus Hurrelmann beobachtet "Ego-Strategen", die sogar ihr soziales Engagement auf Verwertbarkeit im Lebenslauf abklopfen. Vor allem gelten sie als pragmatisch. "Wie Unternehmensberater durchleuchten Studierende ihre Ausbildung", schreibt Werle.

Eine Oldenburger Pädagogikstudentin, 22, schlägt vor, diesen Eifer "Überbietungstendenz" zu nennen. Auslandserfahrungen, Praktika, Geschwindigkeit des Studiums - weil alle auf das stille Wettrüsten der anderen schielen, kommt die Leistungsspirale nie zur Ruhe. Willkommen im Land der "employability".

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Vorsicht, Studentenfalle: Lost in Perfection

Foto: Corbis

Unter Hochschullehrern unterhält man sich über den Mentalitätswandel. Einem Hamburger Dozenten erscheint die Generation "ein wenig infantil", "die wollen an die Hand genommen werden", sagt der Geisteswissenschaftler. Bei Interpretationen in seinem Fach verblüfft ihn, dass "tiefernste Dinge heute oft als komisch empfunden werden". Bei existentiellen Dingen setze gleich die ironische Distanz ein, die Fähigkeit zu eigenständigem, gar interdisziplinärem Denken gehe zurück, nach Neigungen werde kaum studiert. "Ist das klausurrelevant?", hören Dozenten oft.

Auch Hans-Werner Rückert beobachtet vermehrt "Tipp-bezogene Erwartungen" der Studenten. Der Berliner Hochschulpsychologe warnt: Wenn Autonomie und Reflexion, Diskussion und kritische Auseinandersetzung im straffen Curriculum verkümmern, leidet die persönliche Entwicklung. Doch ist nur das mit Bologna reformierte System Schuld?

Alle wollen ins Finale

Es ist auch ein Generationenphänomen. Die "Generation Golf", geboren in den Siebzigern, reifte im trügerischen Bewusstsein, dass, wer nicht zu blöd war, einen Job fand. Niemand wäre auf die Idee gekommen, schon für Nebenjobs eine Bewerbung zu tippen. Derweil verdüsterte sich der Arbeitsmarkt. Die Geburtenjahrgänge der Achtziger und Neunziger, die Bachelorgeneration, tickt anders: "Wir sind hammerhart zu uns", schreibt die Generationsautorin Nina Paue über "unsere kranke Castingshow": Alle wollen ins Finale, keiner will eine Option ungenutzt lassen.

Dem Psychologen Wilfried Schumann von der Uni Oldenburg begegnet all das in der Praxis: "Die eigene Karriere erscheint heute als Weg zum Glück, auf den man, mit großer Anstrengung, Einfluss nehmen kann." Hinter dem Leistungsstreben rumort die Angst. Im Konstanzer Studierendensurvey 2007 schätzten 65 Prozent der Studenten ihre Aufstiegschancen pessimistisch ein, obwohl die "Millenials" oder die "Generation Y" real bessere Ein- und Aufstiegschancen als die "Generation Golf" hat.

Gute Ausbildung, schrumpfende Geburtenrate, Fachkräftemangel - bei den umworbenen Kandidaten ist nur eines in Gefahr: ihre Einzigartigkeit, vielleicht auch ihr Mitgefühl. Denn wenn alle Power-Point-Kompetenz, Zusatzqualifikationen wie das Praktikum im Top-Konzern und glatte Lebensläufe mit Fremdsprachen haben, sticht keiner heraus. Die Perfektion spült nach Ansicht von Buchautor Klaus Werle uniformierte Bewerber auf den Markt; oft konnten sie Menschenkenntnis angesichts einer Niederlage oder den Mut zu einem ungeplanten Umweg im Leben noch gar nicht entwickeln.

Warum vertiefen, wenn man neu starten kann?

Feedback und Anleitung suchen die Bachelors auch im Job. In der Personalabteilung eines internationalen Konzerns aus Süddeutschland möchte man nichts Negatives über den Bachelor sagen. Ihre Besonderheiten habe die Generation schon: "Sehr fokussiert, pragmatisch und nüchtern im Herangehen an Beruf und Karriere" seien sie und eben "sehr, sehr anspruchsvoll, aufs Image bedacht". "Die haben wirklich viel gemacht", fügt der Personaler anerkennend hinzu.

Andere Personalverantwortliche äußern sich im aktuellen Hochschul-Ranking der "Wirtschaftswoche", einer Befragung von 500 Personalchefs, abschätzig über den Bachelor. Sie beklagten neben Mainstream-Wissen auch fehlende praktische Erfahrung und Reife. Denn im Unternehmen angekommen geht es nicht um den nächsten Karriereschritt, sondern darum, im Team zu bestehen und selbständig kreative Lösungen zu finden. Die Vernetzung von Theorie und Praxis ruckelt arg; Unternehmen glauben, eine Neigung zur Fluktuation beim Bachelor zu erkennen, der sich angeblich ungern vertieft, dafür lieber neue Herausforderungen sucht.

Und da sind schließlich die neuen Eltern. Die 16. Shell-Jugendstudie ergab: Investitionen in die Bildung werden als sicherster Erfolgsfaktor für die Zukunft gesehen. Es sind die Eltern, die bis ins Erwachsenenalter Praktika finanzieren, das Zimmer zu Hause freihalten und Geld aufs Konto schieben, um den Nachwuchs auf die Erfolgschiene zu hieven. Keine Generation hat sich so gut mit den Eltern verstanden, Karrierewege werden als Familiengroßereignisse begleitet.

Eine Abnabelung kann sich so aber schlecht entwickeln; am Grunde rumort immer die subtile Angst, die Eltern nicht zu enttäuschen. Studenten wie der Marburger Absolvent Marcel Wicker, 23, beschreiben gerade diese so verständnisvoll offen gehaltenen Multioptionen als Druck. "Egal, was du machst, wir unterstützen dich, es ist okay" - mancher Student entwickelt darüber unbemerkt eine Neigung, Anerkennung zu suchen und kaum noch für sich selbst zu studieren.

Sehnsucht nach dem Unperfekten

Wo sind die individuellen, die lässigen Lebenswege? Buchautor Klaus Werle vermisst Kreativität und Risikofreude. In den perfekten Biografien mangele es an Originalität, die heraussteche. Alles richtig gemacht und gescheitert? Weil der Einzelne ständig seine Schwächen ausbügelt, könne er seine Stärken nicht finden: "Wenn es stimmt, dass Denken in komplexen Zusammenhängen die Schlüsselqualifikation des 21. Jahrhunderts ist", schreibt Werle , dann sei die Ausrichtung an allgemein glücksverheißenden Karriereidealen "der falsche Weg".

Sogar stromlinienförmige Personalverantwortliche schwärmen neuerdings von Bewerbern, die aus dem Rahmen fallen: Wenn alle die Ratgeber von Hesse/Schrader lesen, überraschen selten die Antworten. Eine Sehnsucht nach dem Unähnlichen wird zur Antwort auf die Perfektion.

Ausgerechnet von der Uni kommt spätes Lob: Freundlich und pflegeleicht sei die Generation, "angenehm im Umgang", ohne Bissigkeit gegenüber Autoritäten oder Institutionen, wie etwa die berüchtigten 68er. Die Castingmentalität offenbare auch gute Seiten: "It's Showtime", sagt ein Mainzer Hochschuldozent und meint anerkennend, dass die Studenten einen "Hang zur Bühne" mitbrächten; sie könnten präsentieren und sich verkaufen. Duckten sich frühere Generationen bei Referaten weg, so sei der perfekte Auftritt heute selbstverständlich.

Das hat auch mit dem Web 2.0 und seinem Daten-Exhibitionismus zu tun. Studenten betreiben"Karrieresurfen", das Aufrüsten der Kommilitonen animiert zu weiteren Anstrengungen. Manchmal wirkt es bei dieser merkwürdig vernünftigen Generation, als arbeiteten perfekte Wesen ohne Fleisch und Blut an einem fiktionalen Lebenslauf.

KarriereSPIEGEL-Autorin Stefanie Maeck (Jahrgang 1975) ist Absolventin der Zeitenspiegel Reportageschule und arbeitet als freie Journalistin in Hamburg. Sie studierte Germanistik, Philosophie und Romanistik und promovierte in Literaturwissenschaft.

Was über 22-jährige Alles-richtig-Macher ohne Lebenserfahrung geschrieben wurde, kommentiert ein Münchner Personaler Mitte dreißig so: "Der Bachelor muss nicht der Endpunkt einer Ausbildung bleiben, Erfahrungen lassen sich auch später noch machen." Eigentlich eine bombige Nachricht. Die Generation hat schließlich alles: tolle Noten, tolle Vita. Jetzt muss sie nur noch leben. Und ein bisschen entspannen.

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