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Bekenntnisse eines Morgenmuffels Langschläfer aller Länder, erhebt euch!

Sie gelten als träge Taugenichtse - Langschläfer haben einen denkbar schlechten Ruf. Zu Unrecht, findet die Journalistin und Buchautorin Bettina Hennig. Sie hat die Diktatur der Frühaufsteher satt und fordert Arbeitszeiten, die auch Morgenmuffel zur Hochform auflaufen lassen.
Bürosport Morgengähnen: Wer hat an der Uhr gedreht?

Bürosport Morgengähnen: Wer hat an der Uhr gedreht?

Foto: Corbis

Ich weiß, was der Postbote von mir denkt, wenn er samstags um 11 Uhr sieht, dass ich verdunkelt habe wie meine Großmutter anno 1943. Ich weiß auch, was die emsige Hausfrau von nebenan denkt, wenn sie um diese Zeit sich wieder einmal genötigt sieht, das Paket, das der Postbote bei mir abgeben will, statt meiner entgegenzunehmen, während sie schon geputzt, gewaschen, gespült und gebügelt hat.

Und wissen Sie was? Es ist mir egal. Denn diese frühen Vögel können mich mal!

Ich bin ein netter Mensch. Ich grüße meine Nachbarn, überlasse älteren Herrschaften im Bus meinen Sitzplatz und wische sogar alle zwei Wochen die Treppe im Hausflur. Man könnte meinen, das reicht. Aber weit gefehlt. Seit meiner Kindheit werde ich in die gleiche Reihe gestellt mit Sozialschmarotzern und anderen vermeintlich Kriminellen, weil ich eines nicht mache - früh aufstehen. "Na, auch schon wach?" ist dabei eine der harmlosesten Bemerkungen, die mir allmorgendlich entgegenschlagen, wenn ich es mal wieder mit Ach und Krach geschafft habe, pünktlich um 10 Uhr bei der Arbeit zu sein.

Zwang zum ungesunden Rhythmus

Ich gelte als charakterschwach und undiszipliniert. Dabei bin ich ein hochaktiver Mensch, der oft bis spät in die Nacht arbeitet. Nach meinem regulären Job setze ich mich nicht vor den Fernseher, sondern an den Schreibtisch. Nur: Das sieht keiner.

Nun könnte man sagen: Typisch - schließt von sich auf andere! Soll einfach mal früh zu Bett gehen, die Gute. Ein bisschen mehr Selbstbeherrschung, und dann ist alles paletti.

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Tipps für Langschläfer: Wie sag ich's meinem Chef?

Foto: A9999 Db Upi/ dpa/dpaweb

Aber so einfach ist es ja nun doch nicht: Denn der chronobiologische Typus ist angeboren. Langschläfer können nichts dafür, dass sie lange schlafen. Und Lerchen können auch nichts dafür, dass sie früh aufstehen. Es ist keine Leistung, sondern eine biologische Disposition.

Mehr als 65 Prozent der deutschen Bevölkerung tendieren zum Eulentum. Wobei lang schlafen bedeutet: länger in den Tag hineinschlafen. Denn auch Eulen brauchen in der Regel die normale Schlafmenge, bei den Deutschen knapp über sieben Stunden. Nach Angaben des Schlafforschers Jürgen Zulley geht der deutsche Bundesbürger um 23.15 Uhr ins Bett und steht um 6.23 Uhr auf - oft nicht, weil ihm das liegt und er es so will, sondern weil er muss. Denn Arbeitszeiten von 8 bis 16 Uhr, die üblichen Behördenöffnungszeiten, sind vielfach auch für jene eine Qual, die gemeinhin nicht als Langschläfer eingestuft werden: Selbst tendenzielle Lerchen werden in einen für sie falschen Rhythmus gezwungen.

Es ist kein individuelles, sondern ein gesellschaftliches Problem. Menschen, die gegen ihre innere Uhr zu leben gezwungen sind, werden dick, dumm, krank, kurzum: Sie leben gefährlich. Sie neigen dazu, mangelnde Energie mit hochkalorischen Lebensmitteln zu kompensieren. Sie leiden an Konzentrationsschwäche und tragen ein erhöhtes Risiko, etwa an Herz-Kreislauf-Beschwerden, Bluthochdruck, Arthrose und Diabetes zu erkranken. Sie sind auch anfälliger für Konsumgifte wie Alkohol und Nikotin und laufen zudem Gefahr, durch den sogenannten Sekundenschlaf häufiger Unfälle zu verursachen oder sich an Maschinen zu verletzen. Nach einer Studie der Krankenkasse DAK hat bereits mehr als ein Siebtel der Bevölkerung behandlungsbedürftige Schlafstörungen - Tendenz steigend.

Guten Morgen, Sachsen-Anhalt: "Wir stehen früher auf"

Flexible Arbeitszeiten könnten diesem Trend entgegenwirken. Wenn Betriebe sich an den individuellen und chronobiologischen Bedürfnissen ihres Personals orientieren, müssen sie zwar zunächst mehr organisatorische Vorarbeit leisten. Die aber zahlt sich aus: Die Krankenstände sind geringer, dafür Effizienz und Produktivität höher. Denn dann laufen viel fittere Mitarbeiter zur Hochform auf - und der Arbeitgeber bekommt von allen die beste Zeit, statt ihre Schaffenskraft permanent zu bremsen.

Dennoch ist das Klima für solche Reformen bisher nicht da. Im Gegenteil, noch immer will eine Minderheit der Mehrheit ihre Regeln aufzwängen. Noch immer heißt es: Morgenstund hat Gold im Mund.

Bestes Beispiel: das Land Sachsen-Anhalt. Während Hamburg erst um 7.13 Uhr in Schwung kommt, erhebt sich der Sachsen-Anhalter im Schnitt schon um 6.39 Uhr. "Wir stehen früher auf", schreibt sich das Bundesland in einer Imagekampagne auf die Flagge, flankiert von den Worten des langjährigen Ministerpräsidenten Wolfgang Böhmer: "Frühaufsteher sind leistungsbereit und wollen viel erreichen, sich bewegen und tüchtiger sein." Aber so viel Bewegung und Tüchtigkeit scheint das ehemalige Chemiedreieck zwischen Bitterfeld, Halle und Merseburg nicht zu bieten zu haben: Im Vergleich der 16 Bundesländer in Hinblick auf Wirtschaftkraft landete der Frühaufsteher-Primus nur auf dem vorletzten Platz. Da kann man doch gleich liegen bleiben.

Reformstau gibt es auch bei den Schulanfangszeiten. Dass sich mit der Pubertät der Takt der inneren Uhr selbst bei Lerchen-Teenagern hormonbedingt verlangsamt, ist in der Schlafforschung Basiswissen. Renommierte Chronobiologen wie Till Roenneberg, Mary Carsakadon oder Christoph Randler haben dazu zahlreiche Studien veröffentlicht. Doch mutige Vorstöße (etwa von Baden-Württembergs ehemaligem Ministerpräsidenten Günther Oettinger), den Schulanfang auf eine Stunde später zu verlegen, grätschte der Deutsche Philologenverband nieder. Dabei hätte selbst die Lehrerlobby Begründungen wie "Wir haben dann ein Schulbusproblem" wegen offensichtlicher Unhaltbarkeit mit "Sechs, setzen!" benoten müssen.

Und wer hat uns den Schlamassel eingebrockt?

Die Haltlosigkeit der Argumente legt nahe, dass Lehrer hier eher für eigene Interessen statt für die der Schüler kämpfen. Ganz einfach, weil sie vom bestehenden System profitieren: Lehrer sind typische Lerchen. Denn wer sonst - außer ausgemachte Masochisten - wird sich wohl freiwillig für einen Beruf entscheiden, der ihn zwingt, ab 8 Uhr morgens einer Meute aufgekratzter Schüler gegenüberzustehen, und das ein Leben lang?

Das Gleiche gilt für Politiker und Funktionäre: Wer außer einer Hardcore-Lerche schafft es, schon morgens um 6 Uhr dem Deutschlandfunk ein unfallfreies Interview zu, sagen wir, Bankenstrukturreformen zu geben? Ihr Einfühlungsvermögen in die Lage von Heranwachsenden ist entsprechend eingeschränkt. Negativbeispiel etwa ist Holger Schwaenecke, Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks. Er bemerkte bei seinem Amtsantritt 2010: "Viele Schulabgänger kommen morgens nicht aus dem Bett." Korrekt! Aber es ist nicht ihre Schuld - es sind die Hormone. Mit mangelnder Leistungsbereitschaft, wie Schwaenecke unterstellt, hat das nichts zu tun.

Ausgerechnet diejenigen also, die die Macht hätten, das System zu verändern, tun es nicht, weil sie selbst die Vorteile genießen. Dabei tickt die Welt längst nicht mehr wie zu Zeiten der industriellen Revolution. Ein späterer Schulanfang und Arbeitsmodelle, die sich an modernen Anforderungen orientieren, hätten vielfältige Vorteile: So eine Gesellschaft begünstigt nicht eine Minderheit von 15 Prozent (Lerchen!), sondern integriert alle Arbeits-, Familien- und Lebensformen. Und sie entschleunigt: In einer entzerrten Arbeitswelt gäbe es weniger Staus und keine Schlangen an den Kassenschaltern zu Stoßzeiten. Das Warten in der Kantine würde ebenso entfallen wie das Gehetze zur Kindertagesstätte.

Die Arbeitswelt wäre gesunder und produktiver. Und es hieße nicht mehr hämisch: "Na, auch schon wach?", sondern viel freundlicher: "Schön, dich zu sehen!"

Foto: Omid Najafi

Bettina Hennig hat fast 20 Jahre für verschiedene Boulevardzeitungen und Illustrierte gearbeitet. Derzeit promoviert sie über Klatschjournalismus und hat einen Roman ("Luise - Königin aus Liebe") verfasst. "Der frühe Vogel kann mich mal!", ein beherztes Plädoyer zur Ehrenrettung der Langschläfer, ist ihr erstes Sachbuch.

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