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Abrechnung eines Karrieristen "Bluffen gehört zum Geschäft"

Benedikt Herles zählte zur jungen Wirtschaftselite des Landes - bis er es nicht mehr aushielt. In der Business School komme man nur mit Bulimie-Lernen weiter, sagt er im Interview. Nach ganz oben schafften es nur feige Ja-Sager.
Ex-BWLer Herles: "Man kann und sollte nicht auf BWL-Schnösel vertrauen"

Ex-BWLer Herles: "Man kann und sollte nicht auf BWL-Schnösel vertrauen"

Foto: Christian O. Bruch/ DER SPIEGEL

Karriere ist alles, an vielen Eliteuniversitäten wird das den Studenten eingeimpft. Benedikt Herles, 29, studierte an der privaten Wirtschaftsuniversität WHU in Vallendar BWL, später VWL in München. Nach der Promotion arbeitete der Sohn des ZDF-Moderators Wolfgang Herles ("Das blaue Sofa") ein Jahr bei einer führenden Unternehmensberatung. Jetzt rechnet Benedikt Herles in seinem Buch "Die kaputte Elite"  mit den Turbokarrieristen ab.

KarriereSPIEGEL: Wie viele Nächte können Sie durcharbeiten?

Herles: Sogenannte Allnighter sind in der Branche tatsächlich durchaus üblich. Ich persönlich habe nie wirklich durchgearbeitet, aber oft nur sehr kurz geschlafen.

KarriereSPIEGEL: Ihre Schilderungen lesen sich so, als wäre Berater einer der sinnentleertesten Berufe überhaupt.

Herles: Ein reflektierter, nach Sinn suchender Beruf ist es nicht. Es geht darum, nachts um eins Folien jonglieren zu können. Als Einsteiger ist man ein menschlicher Taschenrechner, mehr nicht.

KarriereSPIEGEL: Was war Ihre schlimmste Erfahrung im elitären Kreis?

Herles: Es gab nicht dieses eine schreckliche Erlebnis, sondern viele kleine, bei denen ich dachte: So möchte ich nicht leben. An der Wirtschaftsuni habe ich mir ganz am Anfang eine Geschichte ausgedacht. Es ging um einen Goldman-Sachs-Angestellten, der nur jede zweite Nacht schlafen muss. Das hat die Runde gemacht. Die Geschichte kursierte, und Kommilitonen waren voller Ehrfurcht gegenüber dem erfundenen Banker. Das ist doch krank, oder?

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KarriereSPIEGEL: Sie sind nicht lange dabei. Wie können Sie jetzt schon ein Resümee ziehen?

Herles: Muss man Vorstandsvorsitzender sein, um mitzubekommen, dass an den Business Schools Unsinn gelehrt wird? Muss man Managing Director auf der Visitenkarte stehen haben, um zu merken, dass sich viele Unternehmen zu Tode analysieren? Im Gegenteil: Wer zu lange in der Mühle steckt, dem fällt nichts mehr auf.

KarriereSPIEGEL: Sie haben an der privaten WHU in Vallendar Betriebswirtschaft studiert. Hatten Sie dort ein wirkliches Studentenleben?

Herles: Nein, natürlich nicht. An der WHU gibt es kein Studentenleben. In der Pause wird "Wall Street Journal Europe" gelesen oder der nächste studentische Private Equity Club organisiert. In Vallendar rennen Studenten mit ihrem Laptop zwischen Vorlesung und Schreibtisch hin und her. Nur keine Zeit verlieren. Vor Klausuren wird kollektiv bis zum Morgengrauen gelernt. Im Prüfungssaal stinkt es dann nach Red Bull. Zur geistigen Freiheit wird da niemand erzogen. Für Reflexion ist kein Platz im vollgepackten Curriculum. In der spärlichen Freizeit wird gesoffen. Work hard, play hard.

KarriereSPIEGEL: Würden Sie Absolventen der WHU als akademisch gebildet bezeichnen?

Herles: Dort werden nur Ordner auswendig gelernt. Es ist ein reines Bulimie-Lernen: in sich reinfressen und in der Prüfung rauskotzen. Intellektuelle gibt es da nur trotz und nicht wegen der WHU. An den Wirtschaftsuniversitäten wird reines Schablonendenken vermittelt. Geisteswissenschaftliche Komponenten fehlen völlig.

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KarriereSPIEGEL: Sie haben dann bei einer bekannten Unternehmensberatung gearbeitet. Sie schreiben in Ihrem Buch, dass in der Branche Berater mit einem Praktikum bei Bertelsmann schon als Medienexperten verkauft werden. Wie viel Bluff gehört zum Beraterdasein?

Herles: Jede Menge. Das ist aber so gewollt. Man verkauft die Perspektive des Außenstehenden, will aber gleichzeitig Industrieexperte sein. Schwierig in einer Branche, in der die meisten Menschen unter 35 sind. Woher sollen die Industrieerfahrung haben? Aber die Geblufften lassen sich zu gerne bluffen. Denn durch die Berater können sie ihre eigenen Hände in Unschuld waschen.

KarriereSPIEGEL: Ihr größter Bluff?

Herles: Bluffen gehört zum Geschäft. Da sollte ich zum Beispiel Detail-Märkte in wenigen Stunden analysieren, von denen ich keine Ahnung hatte. Google ist mein bester Freund geworden.

KarriereSPIEGEL: Wie firm sind Sie im Umgang mit Powerpoint?

Herles: Extrem.

KarriereSPIEGEL: Wie viele Folien braucht man für eine Stunde Gespräch?

Herles: Bis zu hundert. Die wichtigste Regel: Es darf nichts zittern. Alles muss auf den Millimeter exakt formatiert sein. So mancher Manager schaut sich die im Jargon "Decks" genannten Präsentationen im Schnelldurchlauf an. Das muss astrein aussehen.

KarriereSPIEGEL: Wie viele Pfeifen sitzen bei den großen Unternehmensberatungen?

Herles: Wenn eine Pfeife jemand ist, der einen niedrigen IQ hat: null. Wenn eine Pfeife jemand ist, der nicht reflektiert ist in dem, was er macht: eine Menge. Es geht nur um mathematische Intelligenz. Das führt zu einer falschen Auswahl der Berater und auch der Manager. Unternehmerische Tugenden sind egal. Da denkt niemand quer.

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KarriereSPIEGEL: Ist es nicht naiv, wenn Konzerne erwarten, ein frisch diplomierter BWL-Schnösel könne ihnen wirklich weiterhelfen?

Herles: Natürlich. Man kann und sollte nicht auf die BWL-Schnösel vertrauen. Die Powerpoint-Akrobaten blenden, und die Manager wollen geblendet werden.

KarriereSPIEGEL: Was haben Sie verdient?

Herles: Eine Menge. Man hatte nur keine Zeit, es auszugeben. Montagmorgens um vier Uhr klingelte der Wecker, es ging zum Flughafen, und ich bin zum Kunden geflogen. Montagmittag fühlte ich mich bereits so, als wäre Freitagabend. Um 18 Uhr gab es immer noch neue Arbeitsaufträge, die einen bis spät an den Laptop fesselten. Donnerstagabends ging es dann nach Hause, freitags ins Büro. An den Wochenenden schliefen manche durch, andere feierten hart, um die Woche zu verarbeiten.

KarriereSPIEGEL: Warum wagen dennoch nur wenige den Absprung?

Herles: Richtig zufriedene Kollegen kannte ich nicht viele. Abends an der Hotelbar klagen nicht wenige über die Arbeitsbedingungen. Tagsüber sagen Berater aber zu allem ja und Amen. Sie sind feige und wollen das, was sie haben, nicht aufs Spiel setzen.

KarriereSPIEGEL: Welche Charaktere kommen ganz nach oben?

Herles: Leistung ist in diesem System die einzige Religion. Wer das Risiko scheut, überlebt am besten. Die Leute sind ängstlich und brutal ehrgeizig, Statussymbole sind ihnen wichtig. Und man muss technokratisch veranlagt sein, sonst langweilen einen die Analysen und scheinrationalen Prognosen.

KarriereSPIEGEL: Schlichte Typen also.

Herles: Auf jeden Fall keine Menschen, die ich in Führungsrollen in unserer Wirtschaft sehen wollte. Daraus kann nur eine Gesellschaft entstehen, in der ich nicht leben möchte.

KarriereSPIEGEL: Ein junger Bank-Praktikant aus Staufen ist in London ums Leben gekommen. Gibt Ihnen so etwas zu denken?

Herles: Ja, auch er war an der WHU. Ich kenne nicht die genauen Hintergründe. Aber wenn es noch eines Beweises bedurfte, dann haben wir ihn damit. Hier läuft etwas schief.

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