

Ein Fleck auf dem T-Shirt. Das geht gar nicht. Dabei ist es nicht mal ein richtiger Fleck, nur eine etwas blassere Stelle, die da auf Brusthöhe des Männermodels prangt. Der Laie muss schon sehr genau hinschauen, um den Fehler im Textil zu finden. Aber Jungdesignerin Annalena Skörl Maul findet das gerade gar nicht witzig.
Ihre Miene verfinstert sich. Krisengespräch mit der Stylistin. Bitte keine Kameras. Und jetzt? Das Problem wird vertagt, schon steht das nächste Model für die Anprobe parat. Hier und da muss etwas abgesteckt, umgenäht, angepasst werden. Dazwischen gibt die Designerin Interviews, essen wird sie später im Auto.
"Ich habe ungelogen die letzten zwei Monate jede Nacht nur vier bis sechs Stunden geschlafen. Ich merke, dass jetzt eine Grenze erreicht ist", sagt Skörl Maul. In einer Stunde wird sie wieder lachen und erzählen, dass das verfleckte Model einfach ein anderes Oberteil erhalten hat.
Mit ihrer blau-grauen Streetwear für Männer ist Annalena Skörl Maul aus Hamburg unter den fünf Besten von mehr als 300 Bewerbungen für den Nachwuchspreis bei der Fashion Week. Auf dem Berliner Laufsteg hat jede Designerin ein paar Minuten, um eine mehrteilige Kollektion vor Promi- und Fachpublikum zu präsentieren. Die Gewinnerin des Designer for Tomorrow Awards der Modefirma Peek & Cloppenburg bekommt ein fünfstelliges Preisgeld und, was fast noch wichtiger ist: im Januar eine eigene Modenschau finanziert.
Über Geld spricht man in der Branche ungern. Aber darum dreht sich alles - allein die Mondmiete für das Event am Brandenburger Tor, dazu die Ausgaben für Friseure, Stylisten, Assistenten, Models, Catering und natürlich die Kollektion an sich. Wer als Designer einen Namen hat und einen Sponsor im Rücken, lässt sich die paar Minuten Show eine Viertelmillion kosten. Alles vorfinanziert und mit der Hoffnung, damit tonangebende Modemagazine wie "Vogue" oder "Elle" zu überzeugen.
Die Gewinnerin darf "mal gucken kommen"
Die jungen Modemacherinnen, die gerade in einer Lagerhalle - stylish, aber wenig glamourös - in Berlin-Friedrichshain proben, würden sich freuen, wenn überhaupt jemand über sie schreibt. Es könnte das erste und letzte Mal sein, dass sie eine Modenschau dieser Größenordnung stemmen, denn Geld hat hier niemand. Sie haben ihre Ersparnisse zusammengekratzt, die Eltern angepumpt oder einen Kredit aufgenommen, um möglichst hochwertige Klamotten zu produzieren.
"Auch wenn ich nicht gewinnen sollte: Allein die vielen Tipps, die ich von Stella McCartney bekommen hab, machen die Sache lohnenswert", sagt Hannah Kuklinski aus Hagen. "Sie meinte, ich solle mich auf Strick konzentrieren. Das sei meine Stärke." McCartney, Tochter von Paul McCartney und millionenschwere Designikone, ist Schirmherrin des Projekts, sitzt mit in der Jury und hat sich jede Kollektion angeschaut. Die Gewinnerin darf sie in Paris besuchen und mal gucken kommen.
Die Jury achtet darauf, welche Kollektion eine klare Linie hat und Chancen auf dem Markt. Hannah Kuklinski geht die Sache experimentell an. Ihre Kollektion besteht aus bunten Jacken und Pullis aus grobmaschiger Wolle. Manche Teile haben Farbflecke eingearbeitet, die tatsächlich Bakterien und Schimmel imitieren sollen. Seltsam, aber ein Hingucker. Wie alle hier hat Kuklinski Mode studiert und träumt davon, mit ihrem eigenen Label den Durchbruch zu schaffen. Ob es reichen wird?
Für Alexandra Kiesel, 30, hat es gereicht. Sie hat den Preis 2011 gewonnen und bekam im Winter eine eigene Show finanziert, nun ist sie auch in dieser Saison wieder dabei. Peek & Cloppenburg hilft ihr noch etwas bei der PR, aber alles andere muss Kiesel allein stemmen.
"Ich bin keine Eintagsfliege"
"Geld ist immer noch das größte Problem", sagt die Leipzigerin, die inzwischen in Berlin ein kleines Atelier hat. Der Preis habe ihr "auf jeden Fall Türen geöffnet". Der damalige Schirmherr, Designer Marc Jacobs, ruft zwar nicht mehr an. Aber dafür hat sich das Goethe-Institut gemeldet und mit Alexandra eine Modenschau in St. Petersburg veranstaltet.
Außerdem hat Alexandra Kiesel eine halbe Stelle als Modedozentin bekommen, "normalerweise machen das ältere Designer mit mehr Erfahrung". Durch den Dozentenjob kann sich Kiesel finanzieren. Sie leistet sich inzwischen eine Assistentin, kauft aber manche Reißverschlüsse immer noch im Ein-Euro-Laden: "Die sind gar nicht schlecht."
Wie es mit ihrem Label weitergeht, will die Designerin auch davon abhängig machen, ob sie jetzt gute Vertriebspartner findet. Sie hat durchgerechnet, dass ihre Klamotten in 50 Läden verkauft werden müssen, damit es sich wirklich rentiert. Bisher sind es sechs. "Alle haben mich ermutigt, jetzt noch mal zu investieren und zu zeigen, dass ich keine Eintagsfliege bin."
Im Jahr vor ihr hat Parsival Cserer, 30, den Nachwuchspreis gewonnen - aber es mit der Selbständigkeit nicht geschafft. Nach dem schnellen Hype kam die Ernüchterung, heute arbeitet er als Angestellter in einer Strickfirma. Alexandra Kiesel hat mit Cserer noch ab und zu Kontakt. "Nicht jeder hat die Kraft, den Alleingang durchzuhalten", sagt sie. Denn nach dem Preis fängt die harte Arbeit erst richtig an.
KarriereSPIEGEL-Autorin Sarah J. Tschernigow ist freie Journalistin in Berlin.
SPIEGEL+-Zugang wird gerade auf einem anderen Gerät genutzt
SPIEGEL+ kann nur auf einem Gerät zur selben Zeit genutzt werden.
Klicken Sie auf den Button, spielen wir den Hinweis auf dem anderen Gerät aus und Sie können SPIEGEL+ weiter nutzen.
Kurz vorm Ziel: Fünf Bewerberinnen haben es ins Finale des Nachwuchspreises bei der Berlin Fashion Week geschafft. Schirmherrin des Designer for Tomorrow Awards ist Stella McCartney (3. von links). Jede Designerin hat ein paar Minuten, um eine mehrteilige Kollektion vor Promi- und Fachpublikum zu präsentieren. Die Gewinnerin bekommt ein fünfstelliges Preisgeld und, was fast noch wichtiger ist: im Januar eine eigene Modenschau finanziert.
Kritischer Blick: Designerin Stella McCartney ist der Promi in der Jury des Nachwuchs-Preises...
...und begutachtet Modelle und Entwürfe. Für die Teilnehmerinnen geht es um viel: Sie haben ihre Ersparnisse zusammengekratzt, die Eltern angepumpt oder einen Kredit aufgenommen, um möglichst hochwertige Klamotten zu produzieren. Nun hoffen sie auf den Durchbruch.
Nachwuchsdesignerin Hannah Kuklinski: Ihre Kollektion heißt "Wenn Hände müde Hörnchen sehen". Genauso verrückt wie der Name ist die Idee dahinter: Die Jungdesignerin wollte tatsächlich Bakterien und Schimmel modisch umsetzen.
Tragbar: Auf dem Bild präsentiert Hannah Kuklinski einen Pulli mit "Schimmelflecken". Sie arbeitet viel mit Strick, dabei ist aber auch eine Jacke aus Kork. Die Kollektion ist ihre Bachelor-Arbeit. "Auch wenn ich nicht gewinnen sollte, allein die vielen Tipps, die ich von Stella McCartney bekommen hab, machen die Sache lohnenswert", sagt Teilnehmerin Hannah Kuklinski aus Hagen.
Am Ziel: Designer Marc Jacos (Mitte) überreichte im Juli 2011 Alexandra Kiesel den Designer for Tomorrow Award. Mit ihrem Label Kiesel ist die gebürtige Leipzigerin, die inzwischen ein Atelier in Berlin hat, auch in diesem Jahr bei der Fashion Week dabei. Der Preis hat ihr Türen geöffnet, aber jetzt muss sie sich beweisen und allein zurechtkommen.
Probe aufs Exempel: Die Nachwuchsdesigner drapieren ihre Kollektion an den Models. Jetzt wird's interessant: Passt alles, sitzt alles? Manchmal ist der Busen dann doch zu klein oder der Rock zu lang. Bei der Anprobe werden Details geändert: neu abstecken oder Einlagen für den BH aussuchen.
Finstere Momente: Der Nachwuchs probiert sich aus. Es darf gern extravagant sein.
Die Location in Berlin-Friedrichshain: Stylish, aber ohne Glamour - Lehrjahre sind eben keine Herrenjahre. Die Nachwuchsdesigner proben in einer Art Lagerhalle, immerhin im Szenebezirk.
Leise Treter: Keine der Finalistinnen hat viel Geld. Wenn ein paar tausend Euro in die Hosen und Jacken fließen, wird manchmal am Schuhwerk gespart. Hier die Schuhe der Kollektion von Teilnehmerin Hannah Kuklinski aus Hagen.
Finalistin Annalena Skörl Maul aus Hamburg: Den Jersey-Pulli mit eingehäkelter Krawatte hat Star-Designerin StellaMcCartney sehr gelobt. Das Teil könne Verkaufsschlager werden, nur müsse Annalena eine günstigere Produktionsmöglichkeit finden. Jersey sei zu teuer.
Keine Masche: Diese Häkeltasche aus grobmaschiger, dunkelblauer Wolle ist noch nicht fertig. Die Zeit drängt, Annalena Skörl Maul wird wohl im Auto weiterhäkeln.
Mode für Männer: Annalena Skörl Maul hat eine Herrenkollektion entworfen. Aber welche Schuhe soll Model John tragen? Die Finalistin diskutiert mit einer Stylistin.
Interviewmarathon zwischen Kleiderständern: So viel Presse ist Annalena Skörl Maul nicht gewohnt. "Ich habe ungelogen die letzten zwei Monate jede Nacht nur vier bis sechs Stunden geschlafen. Ich merke, dass jetzt eine Grenze erreicht ist", sagt sie. Aber bald lacht sie wieder.
Plötzlich berühmt: Alexandra Kiesel gewann den Nachwuchspreis für ihre avantgardistisch geometrische Kollektion. Als sie auf den Laufsteg musste, wusste sie nicht recht, wie ihr geschieht.
Überrumpelt, aber glücklich: Alexandra Kiesel als Gewinnerin 2011, heute hat sie eine halbe Stelle als Modedozentin, kann sich eine Assistentin leisten und sagt trotzdem, dass "Geld immer noch das größte Problem ist". Manchmal kauft sie Reißverschlüsse weiter im Ein-Euro-Laden: "Die sind gar nicht schlecht."
Im Blitzlichtgewitter: Star-Designer Marc Jacobs überreichte Alexandra Kiesel den Preis. Der damalige Schirmherr ruft zwar nicht mehr an, aber dafür hat sich das Goethe-Institut gemeldet und mit Kiesel eine Modenschau in St. Petersburg veranstaltet.
Seit rund zwei Jahren ist Stefan Pollmann bei der Hamburger Agentur Modelwerk unter Vertrag. Während der Fashion Week in New York lief er unter anderem für den britischen Designer James Spurr.
Für viele Laufsteg-Jobs werden vor allem sehr zierliche Männer gebucht. Er selbst sei da manchmal schon zu breit, sagt Pollmann.
Viermal pro Woche geht Pollmann ins Fitnessstudio. Er isst kein Fast Food, trinkt keinen Alkohol, geht kaum auf Partys - und bezeichnet sich selbst als sehr ehrgeizig.
Diese Aufnahme entstand während der Fashion Week in Paris: Hier ist Pollmann in der Kollektion des Modelabels Viktor & Rolf zu sehen.
Seit gut zweieinhalb Jahren hat Pollmann eine Freundin, die beiden leben gemeinsam in Hamburg. Manchmal müsse er ihr erklären, dass ein Fotoshooting mit attraktiven Frauen so gar nichts mit Erotik zu tun hat
Für Joseph Abboud präsentierte Stefan auf der Fashion Week in New York die neuesten Entwürfe. Zu Schulzeiten hatte Pollmann überlegt, Fußballprofi zu werden. Dann kam das Modeln dazwischen.
Bis es zu einem Laufsteg-Auftritt wie hier in New York kommt, muss zuerst ein Casting beim Designer absolviert werden. Die nächste Runde ist dann das sogenannte Fitting, bei dem die Entwürfe der Kollektion an das Model angepasst werden. Erst wenn dabei alles gut läuft, wird das Model fest gebucht
Ewig wird er nicht als Model arbeiten, sagt Pollmann. Auch für männliche Models gebe es eine Art Verfallsdatum. Er will vielleicht studieren, was mit Ernährungs- und Sportwissenschaften.
Nicht mehr "fairliebt": Ein T-Shirt ohne Nachteile sollte es sein: umwelt- und sozialverträglich in der Herstellung, gut geschnitten und nicht zu teuer. Doch nach sechs Jahren schließen Wiebke Hövelmeyer und Mathias Ahrberg Label und Laden in Hamburg. "Die Strategie ist im chaotischen Tagesgeschäft total untergegangen", sagt Hövelmeyer. Für einen neuen Kredit waren beide nicht bereit, mit einer Abschiedsparty und einem Ausverkauf endet die Geschichte ihres Labels. mehr...
Heikle Freundschaftsdienste: Um das Budget möglichst geringzuhalten, haben Hövelmeyer und Ahrberg Freunde eingespannt - als Grafiker, Informatiker, Fotografen und Models. Ein Fehler, sagen sie heute: "Zum einen sind Dienstleistungen ohne echte Bezahlung unethisch, zum anderen darf man wichtige Dinge nicht an Leute delegieren, die zwar den Willen, aber nicht die Zeit haben, sich ausreichend darum zu kümmern."
Fairliebt in Bio-Baumwolle: Mit der größeren Nachfrage wurde aus dem Hobby schnell eine Vollzeitbeschäftigung. "Ich dachte, ich verschicke morgens ein paar T-Shirts, und den Rest des Tages habe ich frei", sagt Ahrberg. "Von wegen!" Die Stückzahlen wurden immer größer, Stände auf Textilmessen und Spezialaufträge häuften sich. Nebenbei arbeitete Hövelmeyer als Behindertenassistentin, Ahrberg studierte.
Wohnzimmeratmosphäre: Im schicken Hamburger Viertel Winterhude ist von Räumungsverkauf keine Spur. Hier hat gerade das Label Rooks&Rocks aufgemacht. Die fünf Freunde wollen "rooks" ansprechen - blutige Anfänger in Sachen Anzugtragen. Die Kunden wählen Schnitt, Knopfgrößen, Kragenweiten und Garnfarben selbst aus.
Aufhänger: "Klassische Maßschneider gibt es zwar zuhauf", sagt Mitgründer Rico Albert, "aber einer mit eigenem Stil und ohne verstaubtes Spießerimage? Das ist neu."
Coole Jungs: Die Gründer nennen ihre Kunden Fans. "Identifikation der Kunden mit dem Label ist das Nonplusultra", sagt Mitgründer Simon Schmidt.
Hereinspaziert: Das Geld für die Renovierung des Ladens, die Einrichtung und das erste Fotoshooting haben sich die fünf Gründer zusammengespart. "Ich bin stolz, dass wir das alles ohne Investor und Kredite geschafft haben", sagt Viktor Lis. "Wir haben zwar eine Zeitlang nur Nudeln mit Soße gegessen, aber das war es definitiv wert."
Kopflos: Minimales Risiko bei maximalem Einsatz, das ist das Motto von Rooks&Rocks. "Weil wir keine Konfektionsware führen, müssen wir keine hohen Stückzahlen bestellen und finanziell nicht in Vorleistung gehen", sagt Simon Schmidt. Außer ein paar Musterstücken lagern im Laden nur Stoffbücher, Accessoires und wenige Präsentationsstücke. Das Konzept scheint aufzugehen: Schon nach zwei Monaten trägt sich der Laden selbst.
Melden Sie sich an und diskutieren Sie mit
Anmelden