
Fashion Week: Fünf Jungdesignerinnen mit großen Träumen
Junge Modemacherinnen Reißverschlüsse vom Ein-Euro-Laden
Ein Fleck auf dem T-Shirt. Das geht gar nicht. Dabei ist es nicht mal ein richtiger Fleck, nur eine etwas blassere Stelle, die da auf Brusthöhe des Männermodels prangt. Der Laie muss schon sehr genau hinschauen, um den Fehler im Textil zu finden. Aber Jungdesignerin Annalena Skörl Maul findet das gerade gar nicht witzig.
Ihre Miene verfinstert sich. Krisengespräch mit der Stylistin. Bitte keine Kameras. Und jetzt? Das Problem wird vertagt, schon steht das nächste Model für die Anprobe parat. Hier und da muss etwas abgesteckt, umgenäht, angepasst werden. Dazwischen gibt die Designerin Interviews, essen wird sie später im Auto.
"Ich habe ungelogen die letzten zwei Monate jede Nacht nur vier bis sechs Stunden geschlafen. Ich merke, dass jetzt eine Grenze erreicht ist", sagt Skörl Maul. In einer Stunde wird sie wieder lachen und erzählen, dass das verfleckte Model einfach ein anderes Oberteil erhalten hat.

Model in Berlin: Stefan Pollmann und der Casting-Marathon
Mit ihrer blau-grauen Streetwear für Männer ist Annalena Skörl Maul aus Hamburg unter den fünf Besten von mehr als 300 Bewerbungen für den Nachwuchspreis bei der Fashion Week. Auf dem Berliner Laufsteg hat jede Designerin ein paar Minuten, um eine mehrteilige Kollektion vor Promi- und Fachpublikum zu präsentieren. Die Gewinnerin des Designer for Tomorrow Awards der Modefirma Peek & Cloppenburg bekommt ein fünfstelliges Preisgeld und, was fast noch wichtiger ist: im Januar eine eigene Modenschau finanziert.
Über Geld spricht man in der Branche ungern. Aber darum dreht sich alles - allein die Mondmiete für das Event am Brandenburger Tor, dazu die Ausgaben für Friseure, Stylisten, Assistenten, Models, Catering und natürlich die Kollektion an sich. Wer als Designer einen Namen hat und einen Sponsor im Rücken, lässt sich die paar Minuten Show eine Viertelmillion kosten. Alles vorfinanziert und mit der Hoffnung, damit tonangebende Modemagazine wie "Vogue" oder "Elle" zu überzeugen.
Die Gewinnerin darf "mal gucken kommen"
Die jungen Modemacherinnen, die gerade in einer Lagerhalle - stylish, aber wenig glamourös - in Berlin-Friedrichshain proben, würden sich freuen, wenn überhaupt jemand über sie schreibt. Es könnte das erste und letzte Mal sein, dass sie eine Modenschau dieser Größenordnung stemmen, denn Geld hat hier niemand. Sie haben ihre Ersparnisse zusammengekratzt, die Eltern angepumpt oder einen Kredit aufgenommen, um möglichst hochwertige Klamotten zu produzieren.
"Auch wenn ich nicht gewinnen sollte: Allein die vielen Tipps, die ich von Stella McCartney bekommen hab, machen die Sache lohnenswert", sagt Hannah Kuklinski aus Hagen. "Sie meinte, ich solle mich auf Strick konzentrieren. Das sei meine Stärke." McCartney, Tochter von Paul McCartney und millionenschwere Designikone, ist Schirmherrin des Projekts, sitzt mit in der Jury und hat sich jede Kollektion angeschaut. Die Gewinnerin darf sie in Paris besuchen und mal gucken kommen.
Die Jury achtet darauf, welche Kollektion eine klare Linie hat und Chancen auf dem Markt. Hannah Kuklinski geht die Sache experimentell an. Ihre Kollektion besteht aus bunten Jacken und Pullis aus grobmaschiger Wolle. Manche Teile haben Farbflecke eingearbeitet, die tatsächlich Bakterien und Schimmel imitieren sollen. Seltsam, aber ein Hingucker. Wie alle hier hat Kuklinski Mode studiert und träumt davon, mit ihrem eigenen Label den Durchbruch zu schaffen. Ob es reichen wird?

Junge Gründer: Anfang und Ende vom eigenen Modelabel
Für Alexandra Kiesel, 30, hat es gereicht. Sie hat den Preis 2011 gewonnen und bekam im Winter eine eigene Show finanziert, nun ist sie auch in dieser Saison wieder dabei. Peek & Cloppenburg hilft ihr noch etwas bei der PR, aber alles andere muss Kiesel allein stemmen.
"Ich bin keine Eintagsfliege"
"Geld ist immer noch das größte Problem", sagt die Leipzigerin, die inzwischen in Berlin ein kleines Atelier hat. Der Preis habe ihr "auf jeden Fall Türen geöffnet". Der damalige Schirmherr, Designer Marc Jacobs, ruft zwar nicht mehr an. Aber dafür hat sich das Goethe-Institut gemeldet und mit Alexandra eine Modenschau in St. Petersburg veranstaltet.
Außerdem hat Alexandra Kiesel eine halbe Stelle als Modedozentin bekommen, "normalerweise machen das ältere Designer mit mehr Erfahrung". Durch den Dozentenjob kann sich Kiesel finanzieren. Sie leistet sich inzwischen eine Assistentin, kauft aber manche Reißverschlüsse immer noch im Ein-Euro-Laden: "Die sind gar nicht schlecht."
Wie es mit ihrem Label weitergeht, will die Designerin auch davon abhängig machen, ob sie jetzt gute Vertriebspartner findet. Sie hat durchgerechnet, dass ihre Klamotten in 50 Läden verkauft werden müssen, damit es sich wirklich rentiert. Bisher sind es sechs. "Alle haben mich ermutigt, jetzt noch mal zu investieren und zu zeigen, dass ich keine Eintagsfliege bin."
Im Jahr vor ihr hat Parsival Cserer, 30, den Nachwuchspreis gewonnen - aber es mit der Selbständigkeit nicht geschafft. Nach dem schnellen Hype kam die Ernüchterung, heute arbeitet er als Angestellter in einer Strickfirma. Alexandra Kiesel hat mit Cserer noch ab und zu Kontakt. "Nicht jeder hat die Kraft, den Alleingang durchzuhalten", sagt sie. Denn nach dem Preis fängt die harte Arbeit erst richtig an.

KarriereSPIEGEL-Autorin Sarah J. Tschernigow ist freie Journalistin in Berlin.