Berufsprotokoll "Wir haben eine Käfighaltung für Kinder"

Kinder auf einem Spielplatz
Foto: Annie Otzen/ Getty Images"Immer, wenn ich einen meiner Spielplätze besuche, gehe ich auf Spurensuche: Liegt Dreck hinter den Hecken, weiß ich, dass die Kinder dort gespielt haben. Abgegriffene Spielgeräte, mutwillig Zerstörtes: alles Spuren, die ich deuten und aus denen ich lernen kann.
Ich versuche Städten immer klar zu machen, dass ein Spielplatz ein Prozess ist, kein Produkt. Er verändert sich zusammen mit den Kindern, die darauf spielen. Deshalb wäre es sinnvoll, wenn man einen Spielplatz nicht für die nächsten 50 Jahre plant, sondern immer wieder nachrüstet: Wird er nicht mehr genutzt, kann man daraus einen Treffpunkt für Senioren schaffen. Werden in einer Siedlung viele jüngere Kinder geboren, muss man sich auf sie fokussieren, spielen dort hauptsächlich ältere, kann man zum Beispiel ein Basketballfeld errichten.
Ich bezeichne mich selbst als Designer. Nachdem ich die Schule abgebrochen habe, habe ich eine Schlosserlehre begonnen, später Industriedesign studiert. Vier Jahre lang habe ich bei einem großen Technologiekonzern in der Designabteilung gearbeitet, bis ich gemerkt habe, dass ich dort falsch bin. Ich wollte neue Geräte entwickeln - und nicht Kühlschränke verschönern und sie für einen etwas teureren Preis verkaufen. Das war diese 68er-Zeit, in der wir die Welt verbessern wollten. Wo fangen wir denn an, haben wir uns gefragt. Als ich Vater wurde, war klar: bei den Kindern. Erst habe ich Kindermöbel und -spielgeräte entworfen, dann Spielgerätehersteller beraten - und irgendwann dann eigene Spielplätze entworfen.
Bis heute waren das ungefähr 300, an weit über 8000 habe ich als Berater mitgewirkt. Beauftragt wurde ich von Kommunen, Firmen und sozialen Einrichtungen aus aller Welt.
Ich würde sagen, dass mir eine Handvoll meiner Spielplätze besonders gut gelungen ist. Dort habe ich es geschafft, die unterschiedlichsten Stimmungen von verschiedenen Kindern an einem Ort einzufangen: Die gleiche Gruppe tobt mal herum, mal träumt sie, mal tauscht sie Geheimnisse aus, mal will sie sich zurückziehen. Ein guter Spielplatz muss all das ermöglichen können.
Viel Platz, wenig Rutschen
Bei der Arbeit mit und für Kinder sehen wir uns alle als Spezialisten, nur weil wir selbst mal Kinder waren. Viele Erwachsene glauben zum Beispiel: Kinder lieben alles, was bunt und grell ist. Das stimmt natürlich nicht. Grelles und Buntes hat einen hohen Aufforderungscharakter, klar, deshalb laufen Kinder auch auf das Grelle zu. Aber ob sie sich dort wohl fühlen oder bleiben möchten, ist eine andere Frage. Andere wichtige Erkenntnisse: Kinder brauchen viel Platz, nicht unbedingt Rutschen, Schaukeln oder Dekoration.
Ein Kind spielt mit allem und findet seine eigenen Regeln. Ich habe deshalb auch schon Spielplätze ohne Geräte entwickelt - mit Steinen, Höhlen, Wasser- und Sandbereichen. Es ist doch das Schönste, in einer Pfütze herumzuspringen! Wasserbereiche sind allerdings teuer, und man muss sie regelmäßig überprüfen, sonst werden sie schmuddelig. Man ist dementsprechend nicht so erfreut, wenn ich das vorschlage.
Soweit ich weiß, gibt es weltweit keinen Ausbildungsgang für Spielplatzdesigner. Einige Ausbildungsstätten entwerfen zwar für Kinder, allerdings fokussieren sie sich nicht auf Spielplätze. Für Friedhofsgestaltung gibt es Lehrstühle, für Straßenbegrünung auch - aber eben nicht für Spielgrün.
Spielplätze zählen zur Landschaftsplanung und werden in der Regel von Landschaftsarchitekten geplant. Das Problem: Viele orientieren sich nicht unbedingt an einer Benutzergruppe, sondern entwickeln etwas, was schön ist und womit man sich auch präsentieren kann. Für einen Spielplatz muss man Kindern allerdings zuhören, sich in sie hineinversetzen, vor Ort sein. Meiner Meinung nach müssten an einem Spielplatz sowohl Gestalter als auch Soziologen beteiligt sein.
Wo die Zäune sind
Jeder Spielplatz ist ein Experiment. Ich muss mir den Platz und das Umfeld vorher genau anschauen: Wohnen dort besonders wohlhabende Menschen oder sind es sozial schwache Gebiete, in denen Kinder eben auch rumlungern und beschäftigt werden müssen? Wir müssen Räume erleben, bevor wir sie planen: Wo scheint die Sonne, wo weht viel Wind, von welcher Bank ist der Ausblick besonders schön?
Ich habe immer versucht, Spielplätze so offen wie möglich zu gestalten. Mir ist allerdings auch bewusst: Wenn ich einen Spielplatz in einer Stadt suche, dann schaue ich, wo die Zäune sind. Wir haben eine Käfighaltung für Kinder, das muss man ganz deutlich sagen. Unsere Städte sind für Autos ausgerichtet, nicht für Kinder: Breite Straßen, schmale Bürgersteige, eingezäunte Grünflächen. Einem Auto steht ungefähr eine Fläche von zwölf Quadratmetern zu, einem Menschen im Einzugsgebiet eines Spielplatzes 1,5 Quadratmeter - so stand es zumindest immer in einer älteren Spielplatznorm. Ich fordere daher schon lange: Ein Kind braucht mindestens so viel Platz wie ein Auto. Wir müssen anders denken, mehr Räume schaffen."