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Betriebsbedingte Kündigung Wie sammelt man Sozialpunkte?

Für Unternehmen liegen die Hürden bei betriebsbedingten Kündigungen hoch. Denn Chefs sind nicht frei in der Entscheidung, wen sie feuern. Die Sozialauswahl schützt jene, die eine Entlassung sozial am härtesten treffen würde.
Von Sabine Hockling und Jochen Leffers
Gekündigt: Viele Arbeitgeber-Entscheidungen sind anfechtbar

Gekündigt: Viele Arbeitgeber-Entscheidungen sind anfechtbar

Foto: Corbis

Wie er ein Unternehmen organisiert, ob er es umgestaltet, Betriebsteile schließt oder verkauft, das steht einem Arbeitgeber grundsätzlich frei. Rücksicht nehmen muss er jedoch auf das Kündigungsschutzgesetz , das willkürliche und sozial nicht gerechtfertigte Entlassungen verhindert.

Eine betriebsbedingte Kündigung ist die häufigste Art der Entlassung, vor personen- oder verhaltensbedingten Kündigungen. Ein Arbeitgeber muss klar nachvollziehbare Gründe vorlegen. Dass er aus Kostengründen Arbeitsplätze abbauen will, reicht als Kündigungsgrund nicht aus. Er muss konkret beweisen, dass inner- oder außerbetriebliche Umstände ihn dazu zwingen. Eine betriebsbedingte Kündigung rechtfertigen können zum Beispiel eine vernünftige Rationalisierungsmaßnahme, ein Auftragsmangel oder Umsatzrückgang, wenn das Unternehmen nachvollziehbar erklären kann, wie sich das dauerhaft auf die Arbeitsplätze auswirkt.

Vor einer betriebsbedingten Kündigung müssen Arbeitgeber alle milderen Mittel ausschöpfen und vor allem ernsthaft prüfen, ob sie Mitarbeiter an einem anderen Platz einsetzen können, sei es im Rahmen einer Versetzung oder notfalls durch eine Änderungskündigung.

Wonach wird bei der Sozialauswahl entschieden?

Bei Kündigung mehrerer Mitarbeiter verlangt das Kündigungsschutzgesetz, dass stets eine Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten vorzunehmen ist. Damit sind Chefs nicht mehr frei in der Entscheidung, wen sie feuern. Sie müssen bei denen anfangen, die es nicht so hart trifft. Nach drei Kriterien wird bei der Sozialauswahl entschieden:

  • das Lebensalter

  • die Dauer der Betriebszugehörigkeit

  • Unterhaltsverpflichtungen

Bei der Auswahlentscheidung können die Arbeitgeber ein Punktesystem bilden. Im Prinzip sind die drei Kriterien gleichrangig, die Gewichtung ist im Gesetz nicht klar geregelt. Das gibt Arbeitgebern einen gewissen Beurteilungsspielraum - was immer wieder zu gerichtlichen Auseinandersetzungen führt. Strittig ist dann zum Beispiel, ob ein älterer, schon seit Jahrzehnten bei einer Firma beschäftigter Mitarbeiter schutzbedürftiger ist als eine alleinerziehende Mutter mit drei Kindern. Darüber entscheiden die Gerichte im Einzelfall. Und Arbeitgeber stehen vor der Aufgabe, ihre Auswahl plausibel zu begründen

Besteht bei einem Mitarbeiter zum Beispiel aufgrund einer Behinderung ein Sonderkündigungsschutz, muss der Arbeitgeber auch dies beachten; der Gesetzgeber stellt hier zusätzliche Hürden auf.

Der Betriebsrat, sofern es einen im Unternehmen gibt, muss in die Entscheidung einbezogen werden. Das heißt: Arbeitgeber müssen mit dem Betriebsrat vorab über die beabsichtigte Kündigung sprechen. Passiert bei der Sozialauswahl ein Fehler und wird der Betriebsrat deshalb falsch informiert, ist die Kündigung bereits aus diesem Grund unwirksam.

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Foto: Corbis

Um unter allen Mitarbeitern, die bereits länger als sechs Monate beschäftigt sind, die richtigen auszuwählen, müssen Arbeitgeber zunächst alle Arbeitnehmer auf derselben Hierarchiestufe berücksichtigen (etwa alle Kraftfahrer, alle Friseurmeister oder alle Kassierer). Orientieren können sie sich dabei nicht nur an der Stellenbeschreibung im Arbeitsvertrag, sondern auch an der tariflichen Eingruppierung sowie den Aufgaben- und Tätigkeitsbereichen.

Im Alltag kennen Unternehmen allerlei Tricks, um die von ihnen gewünschte Auswahl zu erreichen. Sie befördern zum Beispiel vor einer Entlassungswelle gezielt Mitarbeiter, um sie der Sozialauswahl zu entziehen - oder auch, um sie leichter entlassen zu können: Dann steht ein frisch ernannter Abteilungsleiter plötzlich höher in der Firmenhierarchie, hat dort weniger Sozialpunkte als andere und somit den "Schutz der Herde" verloren.

Die Sozialauswahl gilt auch bei Insolvenz eines Unternehmens, allerdings nach erleichterten und beschleunigten Regeln. Auch in Kleinbetrieben mit höchstens zehn Mitarbeitern hat der Schutzmechanismus Lücken. Dort gilt das Kündigungsschutzgesetz nicht für Arbeitnehmer, die ab 2004 eingestellt wurden. Allerdings müssen auch Kleinbetriebe bei Kündigungen "ein Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme" walten lassen, wie das Bundesarbeitsgericht schon 2001 urteilte (Aktenzeichen 2 AZR 15/00 ).

Wichtige Urteile und ihre Folgen

Ein Unternehmen kündigte einer Führungskraft betriebsbedingt. Der Mann - 53, verheiratet, kinderlos - sah in der Sozialauswahl einen Fehler und reichte Kündigungsschutzklage ein. Denn er stand in Konkurrenz zu einem 35 Jahre alten Arbeitnehmer, der genauso lange im Unternehmen tätig war, ebenfalls verheiratet, aber unterhaltspflichtig für zwei Kinder.

Das Landesarbeitsgericht Köln entschied, die Kündigung sei unwirksam. Weil der jüngere Mitarbeiter nach Ansicht der Richter bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt hatte, waren die Unterhaltspflichten für die Kinder nicht bedeutender als das Alter (Urteil vom 18. Februar 2011, Aktenzeichen 4 Sa 1122/10 ).

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Ebenfalls in den Job zurückklagen konnte sich ein 42-jähriger Familienvater, der für eine Firma im Rheinland Software vertrieb und eine Änderungskündigung erhielt. Nach seiner Auffassung wog die Unterhaltspflicht für seine Frau und zwei kleine Kinder schwerer als die Schutzbedürftigkeit einer Kollegin, die ein Jahr älter und drei Jahre länger im Betrieb war, aber keine Familie zu versorgen hatte. So sah es nach zweijährigem Rechtsstreit auch das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 29. Januar 2015, Aktenzeichen 2 AZR 164/14 ).

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Die Fälle zeigen, dass Mitarbeiter bei betriebsbedingter Kündigung grundsätzlich aktiv werden und sie gerichtlich überprüfen lassen sollten. Denn für den Arbeitgeber lauern hier viele Gefahren: Können die betriebsbedingten Gründe konkret bewiesen werden? Erfolgte die Sozialauswahl ordnungsgemäß? Oder besteht für gekündigte Mitarbeiter die Möglichkeit, an anderer Stelle im Unternehmen weiterbeschäftigt zu werden? Stellt das Gericht Fehler fest, ist die Kündigung unwirksam und der Mitarbeiter weiter zu beschäftigen.

Selbst wenn Mitarbeiter zwischenzeitlich eine neue Stelle gefunden haben, sollten sie dennoch auf eine gerechte und korrekte Sozialauswahl pochen. Denn statt auf Weiterbeschäftigung können sie sich dann mit dem Unternehmen auf eine finanzielle Abfindung einigen.

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