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Bewerbermarkt: Wie Unternehmen Talente umgarnen

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Fachkräfte Bewerbersuche im Kindergarten

Eine codierte Pizza, ein fertiger Arbeitsvertrag für einen Unbekannten: Die Menschenfischer in den Konzernen werden immer findiger, um begehrte Fachkräfte anzuheuern. Doch in diesem Kampf um die Talente wird es stets schwerer, überhaupt noch wahrgenommen zu werden.

Eine kurze E-Mail war es, die dafür sorgte, dass Tobias Quelle-Korting, 32, sein Leben neu sortierte. Lange war er der Heimat treu geblieben, hatte in seiner Geburtsstadt Konstanz Betriebswirtschaft studiert und anschließend bei Schiesser im benachbarten Radolfzell als Vorstandsassistent gearbeitet, bevor er für den Wäscheprimus einen Online-Vertrieb aufbaute.

Im Sommer 2009 schrieb ihn ein Personaler der Hamburger Otto-Gruppe im Karrierenetzwerk Xing an: Es gebe da eine interessante Position, ob man nicht mal sprechen wolle. "Die meisten Anfragen dieser Art ignoriere ich, aber diese war exakt auf mein Profil zugeschnitten", sagt Quelle-Korting. Ein Videointerview und zwei Gespräche mit der Personalabteilung und seinem heutigen Chef später heuerte er in Hamburg an: Als Abteilungsleiter E-Commerce für Damen- und Herrenoberbekleidung.

Noch vor wenigen Jahren galt die Methode, mit der Quelle-Korting abgeworben wurde, unter Personalern als Tabu: Direktansprache von Firma zu Firma, ohne wenigstens einem Alibi-Headhunter dazwischen, das war igitt. Mittlerweile zählt das sogenannte Active Sourcing zu den schärfsten Waffen der Unternehmen im Kampf um die Talente.

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"Jede vierte Vakanz geben wir in die aktive Suche", sagt Arne Herbst, Recruitment-Leiter bei Otto. Der Versandriese spricht nicht nur immer häufiger die Kundschaft via Internet statt mit dem Papierkatalog an, er hat auch gleich die Personalbeschaffung ins Virtuelle erweitert: Mit Stellenausschreibungen in Blogs und bei Twitter oder peniblen Erfolgsmessungen verschiedener Jobportale tut sich Otto im Krieg um die besten Kandidaten hervor.

Zwei Millionen Arbeitskräfte werden Deutschland 2020 fehlen

Personal wird für die Wirtschaft mehr und mehr zur kritischen Größe. Zwei Millionen Arbeitskräfte werden 2020 in Deutschland fehlen, prophezeit McKinsey. Ein Image als guter Arbeitgeber, wie es etwa das Berliner Beratungsunternehmen Trendence abfragt (siehe Ranking), ist damit nicht mehr "nice to have", sondern direkt umsatzrelevant. Gerade Mittelständlern, hat der Wirtschaftsprüfer Ernst & Young ausgerechnet, entgehen jetzt schon 30 Milliarden Euro jährlich, weil gute Leute fehlen.

Doch um in Ranking und Bewerbermarkt attraktiv zu sein, reicht es nicht, mit mehr Geld, Sabbaticals und exotischeren Auslandsjobs aufzutrumpfen. "Selbst für bekannte Konzerne ist es entscheidend, dass sich potentielle Kandidaten überhaupt für sie interessieren", sagt Markus Frosch, Partner der Personalberatung Promerit.

Aus dem beschaulichen Recruiter-Alltag, in dem man einst eine Print-Anzeige schaltete und dann abwartete ("post and pray") ist ein Schlachtfeld geworden, auf dem die Unternehmen mit Tricks und neuen Methoden um Aufmerksamkeit buhlen. "Ein Recruiter muss heute denken wie ein Vertriebler", sagt Klaus Töpfer, Geschäftsführer des Recruiting-Dienstleisters Access KellyOCG. "Er muss als Botschafter seine Jobs und seine Firma regelrecht anpreisen."

  • Die Werbeagentur Scholz & Friends etwa stellte aus Tomatensoße einen QR-Code auf einem Teigfladen her und ließ die "Pizza Digitale" gezielt an Mitarbeiter von Wettbewerbern liefern, um sie fürs eigene Online-Geschäft zu begeistern.
  • Konzerne wie Bayer oder Daimler bauen eigene Job- und Laufbahnprofile in webbasierte Browserspiele ("Fliplife") ein und nennen das Ganze "Recrutainment".
  • Die Metro Group schickt Nachwuchsmanager in die Antarktis, um "einen Beitrag zum Employer Branding" zu leisten.
  • Badarmaturenhersteller Grohe verlegte sogar die Zentrale aus der Pampa nach Düsseldorf, um qualifiziertere Bewerber zu bekommen.
  • Ganz so weit wollte die Sick AG nicht gehen. Der Hersteller von Sensorik und optischen Geräten organisierte aber Sightseeing-Programme, um den Ehepartnern der Umworbenen die zauberhafte, nicht ganz so urbane Firmenlage im Schwarzwalddorf Waldkirch schmackhaft zu machen.
  • Die amerikanische Bank First Merit verschickte ohne Vorwarnung Arbeitsverträge an die Topleister der Konkurrenz. Riefen die überraschten Kandidaten an, um das "Missverständnis" aufzuklären, wurde flugs ein Kennenlerngespräch terminiert. So bekommt die Bank nicht nur gute Leute, sondern schädigt auch das Geschäft der Wettbewerber - weshalb das Manöver unter Personalern als "hire to hurt" bekannt wurde.

Derart rau sind die Sitten hierzulande noch nicht. "Wir stecken in einer Übergangsphase, die Unternehmen probieren die neuen Möglichkeiten aus", sagt Gero Hesse, für Personalthemen zuständiger Geschäftsführer in der Medienfabrik Gütersloh. Als Wundermittel gelten die sozialen Medien: Laut der Studie "Recruiting Trends 2012" nutzen sie bereits mehr als jedes zweite der tausend größten deutschen Unternehmen für Imageaufbau und Personalsuche.

"Ein Patentrezept hat noch keiner gefunden"

Schon ist eine neue Kunstgattung entstanden: das Recruiting-Video, von denen einige bereits Kultstatus genießen. Etwa das von Axel Springer , in dem ein Rotzlöffel mit Smartphone und Berlin-Mitte-Frisur dem Vorstand (inklusive Mathias Döpfner) mal eben "das Internet" erklärt. Oder ein Ikea-Filmchen , das Mitarbeiter für Sydney suchte - getarnt als Montageanleitung für den Bausatz "Cäreer". Andere dagegen geraten eher peinlich.

Bislang resultieren in Deutschland zwar weniger als 3 Prozent aller Einstellungen aus Social-Media-Aktivitäten, und auch "Recruiting Trends"-Co-Autor Sven Laumer räumt ein: "Die Aufregung ist riesig, aber ein Patentrezept hat noch keiner gefunden." Dennoch ist schon eine richtige kleine Industrie aus Agenturen und Dienstleistern entstanden, die für ihre Auftraggeber etwa Fan-Wachstum, Interaktionsraten oder Google-Sichtbarkeit von Karriereseiten analysieren - und Optimierung anbieten. Wer als Unternehmen auf sich hält, für den sind eine aussagekräftige Präsenz auf Facebook, YouTube, Twitter, LinkedIn und Xing sowie übersichtliche und attraktive eigene Karriereseiten Pflicht.

Gefahr von falschen Versprechungen

Im Ringen um Aufmerksamkeit ist Authentizität ein Schlüsselfaktor. Nicht nur, weil sich Kandidaten auf Bewertungsseiten wie Kununu  oder Jobvoting  und in sozialen Netzwerken über Firmen schlaumachen können. "Die heutigen Absolventen sind so gut informiert wie keine Generation vor ihnen. Falsche Versprechungen verschlechtern das Image der Unternehmen drastisch", sagt Trendence-Geschäftsführer Holger Koch.

Vor allem aber: In den Personalabteilungen sitzt der Euro nicht mehr locker. Wurde früher rasch ein Headhunter beauftragt, wird heute erst selbst gesucht. Recruiting muss effizienter werden, die "Time to Hire" möglichst kurz.

Die Deutsche Telekom, ebenfalls preisgekrönter Recruiting-Innovator, hat dafür eine virtuelle Schnitzeljagd ins Netz gestellt. In "Wissen verändert alles" lässt sich die Zentrale erkunden, Erklärungen realer Mitarbeiter über ihre Jobs inklusive. Fast 90.000 Menschen haben schon mitgespielt.

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Cindy Russmann, 19, bekam kurz nach dem Abitur den Link zum Spiel von einer Cousine geschickt: "Ich war überrascht, wie offen sich die Firma präsentierte - und ich mochte das Interaktive und Spielerische." So sehr, dass sie jetzt ein Praktikum im Unternehmen macht und sich für das duale Studium des Konzerns beworben hat, Studienfach Industrie- und Dienstleistungsmanagement.

"Auf Anzeigen reagiert heute kaum noch jemand", erklärt Telekom-Personaler Marc-Stefan Brodbeck den spielerischen Erfolg. "Gerade die Young Professionals wollen keine Jobs suchen, sondern gefunden und angesprochen werden."

Deshalb setzen die Bonner zusätzlich auf Programme wie die Web-Ambassadors, wo Telekom-Experten in Fachforen diskutieren und nebenbei ein Jobangebot fallen lassen, oder auf eine Abteilung, die die anspruchsvolle Gründerszene umgarnen soll.

Recruiter-Zugang bei Xing und LinkedIn als machtvolles Werkzeug

Das mächtigste Werkzeug für zielgenaues Recruiting in sozialen Netzwerken haben die Netzwerke selbst entwickelt. Sowohl Xing als auch LinkedIn bieten Unternehmen professionelle, individuell zugeschnittene "Recruiter-Zugänge" an. "Damit können die Firmen viel fokussierter vorgehen und die Suche immer weiter herunterbrechen bis auf die Ebene einzelner Kandidaten", sagt LinkedIn-Europa-Chef Ariel Eckstein.

Ab 6500 Euro pro Jahr kostet der LinkedIn-Recruiter-Zugang, einer der ersten Abnehmer in Deutschland war die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit, die damit Mitarbeiter für Einsätze in Krisengebieten aufstöberte. Mittlerweile hat das Business-Netzwerk hierzulande rund hundert Großkunden, manche kaufen gleich mehrere Dutzend "Recruiter-Seats". Schon jetzt machen die Hiring Solutions mehr als die Hälfte des LinkedIn-Umsatzes von gut 520 Millionen Euro weltweit aus, weit vor Mitgliedergebühren (rund 20 Prozent) und Marketinglösungen (rund 30 Prozent).

Maschinenbauer kooperieren mit Kindergärten

Am effizientesten sind Werbemethoden, die auf bestehenden Kontakten basieren: etwa bis zu fünfstellige Boni für Mitarbeiter, die Freunde oder Bekannte in die Firma locken. Oder die möglichst frühe Bindung relevanter Zielgruppen. Der Maschinenbauer SMS Group kooperiert gar schon mit Kindergärten, um die ganz Kleinen für den Ingenieurberuf zu begeistern. Bei den meisten Unternehmen nimmt das Talent-Relationship-Management allerdings erst mit der Bindung von Praktikanten, Diplomanden und Doktoranden richtig Fahrt auf.

Auch Sebastian Weinl, 26, kam so zu seinem neuen Job. Schon während des Studiums hatte er Praktika bei Ernst & Young und PricewaterhouseCoopers (PwC) gemacht: "Ich wollte immer bei einem der Big Four im Steuerrecht arbeiten." Über das PwC-Programm "Keep in Touch", eine Art Internetplattform im Facebook-Stil, erhielt er danach Newsletter, Einladungen zu Workshops - und die Anregung, sich für ein weiteres Praktikum in Shanghai zu bewerben.

Das gab den Ausschlag: "Ich war beeindruckt, wie viel Zeit und Ressourcen PwC in mich investierte." Heute arbeitet Weinl in der Steuerberatung der M&A-Abteilung. Marius Möller, der PwC-Personalvorstand, sieht sein Credo bestätigt: "Social Media ist wichtig, damit Studierende uns als Arbeitgeber wahrnehmen. Entscheidend aber sind das Inhaltliche und der Umgang miteinander." Wer da nicht überzeugt, kann seine Filmchen und Apps gleich wieder einpacken.

Klaus Werle (Jahrgang 1973) ist Redakteur beim manager magazin. Dort erschien dieser Artikel zuerst.

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