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Bewerbung mit über 50 Alter Manager sucht Job. So hat's geklappt

Drei Monate, dann habe ich einen neuen Job, dachte ein Top-Manager und unterschrieb den Aufhebungsvertrag. Er hatte sich noch nie so geirrt. Protokoll einer verzweifelten Jobsuche - mit glücklichem Ausgang.
Von Silvia Dahlkamp

Geschäftsführer, erfolgreich, erfahren, ehrgeizig, sucht …

Als Martin Maler, 50 (Name geändert), die Annonce aufgab, glaubte er noch an den Satz: Gute Leute werden immer gesucht. Klar. Er hatte immer zu den Guten gehört.

Deshalb unterschrieb er auch den Aufhebungsvertrag, als seine Firma ins Schlingern geriet. Er ist Vertriebler, hatte alles genau kalkuliert: Kurzurlaub, Bewerbungen schreiben, Headhunter einschalten. Höchstens drei Monate, dachte er, dann geht es in einem neuen Job weiter - ein Treppchen höher auf der Karriereleiter. Er hatte sich noch nie so geirrt.

Zehn Monate und 50 Absagen später kommt der Brief von der Bundesagentur für Arbeit: In zwei Monaten läuft das Arbeitslosengeld aus. Bedeutet: Martin Maler muss vom Ersparten leben. Fonds auflösen, Sparverträge, Lebensversicherungen. Ist das Geld weg, droht Hartz IV. Spätestens dann wird er die Raten fürs Haus nicht mehr zahlen können.

Gerade noch Geschäftsführer - 40 Mitarbeiter, neun Millionen Euro Umsatz, 60-Stunden-Woche. Bald Kunde im Jobcenter - Nummer ziehen, in einem stickigen Flur in der Schlange stehen. "Mit fähig oder unfähig hat das nichts zu tun", sagt die Münchener Karriereberaterin Petra Cockrell. Martin Maler arbeitet in der Verlagsbranche, und die leidet unter der Digitalisierung. "Da nutzt Erfahrung nichts, da wird das Netzwerk löchrig. Jeder bringt sich selbst in Sicherheit."

Zur Autorin

Petra Cockrell  ist selbstständige Jobprofilerin mit den Schwerpunkten Bewerbung, Karriereentwicklung und Mitarbeitergewinnung. Sie arbeitete viele Jahre in Führungspositionen internationaler Unternehmen.

Cockrell hat Malers steinigen Weg zum neuen Job protokolliert:

1. Juli: 9 Uhr. Das Telefon klingelt, Herr Maler ist dran. Resolute Stimme. Er ist sehr offen. Ich denke: Das ist kein Typ Hilflos. Dann erzählt er seine Geschichte: all die Absagen, die Anrufe bei Geschäftsfreunden. Einige lassen sich verleugnen. Am Ende der Satz: "Egal was ich tue, mich will keiner mehr." Er hat von einem Geschäftsführerjob gehört. Diesmal könnte es passen. Wir vereinbaren einen Termin.

3. Juli: Herr Maler kommt zu mir ins Büro. Das erste persönliche Gespräch. Keine Zeit für viele Worte. Die Bewerbung muss raus. Blick aufs Anschreiben: zu viele Floskeln. Blick auf den Lebenslauf: zu kurz. Fünf Spiegelstriche sind viel zu wenig für ein ganzes Leben. Da muss Fleisch drauf - Berufsstationen, Erfolge und Erfahrungen, Mitarbeit in Verbänden, Referenzen.

4. Juli: Die Bewerbung ist eingetütet: vier Seiten Lebenslauf, ein überarbeitetes Anschreiben. Attribute wie "kommunikativ, teamfähig, engagiert" gestrichen, stattdessen gibt es jetzt eine Story als "roten Faden". Eine bange Hoffnung steht im Raum. Bitte nicht schon wieder eine Abfuhr. Ich frage vorsichtig: "Kennen Sie vielleicht jemanden, der jemanden kennt, der die Stelle besetzt?" Kopfschütteln: "Nein."

9. Juli: Lichtblick. Ein Geschäftsführer eines Lieferanten will vermitteln.

14. Juli: Tiefschlag. Der Kontaktmann hat niemanden erreicht. Ich ahne, es ist aussichtslos. Solche Positionen werden zu 75 Prozent unter der Hand vergeben, fast immer auf Empfehlung. Der verdeckte Arbeitsmarkt funktioniert informell, diskret. Wir entwickeln eine Frustvermeidungsstrategie: Herr Maler bewirbt sich weniger auf inserierte Stellen, da gibt es zu viel Konkurrenz. Stattdessen frischt er die Kontakte mit Ex-Kollegen, Geschäftsfreunden, Kunden auf. Wir setzen auf Mundpropaganda: Vielleicht hört jemand etwas? Das kann auch die Friseurin sein. Ein Freund erzählt von einer Stelle in Nordrhein-Westfalen.

20. Juli: Absage aus München. Strich drunter, vergessen, nach vorne blicken. Herr Maler hofft auf NRW. Ein Headhunter meldet sich. Hoffentlich keiner von denen, die Managerdaten sammeln und wie bitter Bier verkaufen.

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Foto: Corbis

27. Juli: Absage aus NRW. Wir stecken im Sommerloch fest. Die Hartz-IV-Uhr tickt. Eine Softwarefirma sucht einen Verlagsexperten. Verabredung zu einem unverbindlichen Gespräch.

14. August: Wieder nichts. "Was ist mit Selbstständigkeit?" Herr Maler sprüht vor Ideen: Er will Nachfolger für Familienbetriebe suchen. Wir rechnen das Geschäftskonzept durch. Es scheitert am Startkapital. Eine Lebensversicherung ist schon aufgelöst.

9. September: Martin Maler sitzt vor mir, die Hände vor dem Gesicht, seine Füße wippen nervös. Er ist blass, hat wenig geschlafen. Das Finanzamt will 10.000 Euro Nachzahlung. Der Steuerberater hatte den Abfindungsfreibetrag falsch berechnet. Mein Klient muss die zweite Lebensversicherung kündigen.

30. September: Endlich ein Erfolg. Auf der Messe in Frankfurt am Main hat eine große Firma Interesse signalisiert. Der Deal: Herr Maler schreibt ein Kostenoptimierungskonzept, sein Kontaktmann wird es an den Geschäftsführer weiterleiten. Die Idee: So bringen die beiden den Namen von Maler ins Gespräch. Mein Klient ist aufgedreht: "Endlich der Durchbruch. Die Gespräche waren gut, absolut auf einer Wellenlänge."

18. Oktober: Schweigen: keine Post, kein Telefonat. Herr Maler hat tagelang an dem Business Case gearbeitet und es an seinen Frankfurter Kontaktmann geschickt. Doch der meldet sich nicht mehr. Die Vorzimmerdame vertröstet. E-Mail: keine Antwort. Maler ist verzweifelt, flucht: "Ausbeuter." Übernächtigt sitzt er vor mir, fragt: "Sagen Sie ehrlich, bin ich naiv, brauche ich einen Psychiater?" Ich denke: Wir brauchen ein Wunder.

3. November: Zeitungen abbestellt, Versicherungen gekündigt, an Urlaub ist schon lange nicht mehr zu denken. Herr Maler kann kaum noch die Raten für sein Haus bezahlen. Er arbeitet jetzt nachts als Aushilfe in einem Logistikcenter.

9. Januar: Die Ereignisse überschlagen sich. Gleich drei Jobangebote: eine bei seiner Aushilfsfirma, im Vertrieb. Eine bei der Firma in München, die im Juli eine Absage geschickt hat. Eine in Frankurt, die kam über einen Freund.

10. Januar: Wir wägen ab. 1. Die Stelle bei der Aushilfsfirma ist okay, aber schlecht bezahlt. Vorteil: Sie liegt am Wohnort. 2. Die Firma in München hat schon mehrmals einen Geschäftsführer geschasst - riskant. 3. Die Frankfurter Stelle ist ein Mittelständler, sichere Auftragslage. Nachteil: 400 Kilometer entfernt, Wochenendbeziehung.

Heute: Herr Maler hat sich für Frankfurt entschieden, ist noch in der Probezeit. Einfach ist es nicht. Neulich ist ein großer Auftrag weggebrochen. Er arbeitet zwölf Stunden am Tag. Aber er sagt: Es macht Spaß. Er hofft, dass er in einem Jahr Frau und Sohn nachholen kann.

Fazit von Karriereberaterin Cockrell: Erfahrene Manager sollten sich nicht nur auf Annoncen bewerben. Da gibt es zu viele Mitbewerber. Wenn das Netzwerk bröckelt, muss man sich auf verbliebene treue Geschäftsfreunde und Kunden konzentrieren. Mundpropaganda ist wichtig: Vielleicht hört ja irgendwann irgendjemand irgendetwas. Das gilt auch für Verwandte, Freunde, Bekannte. "Manche Klienten erfahren beim Friseur von einer freien Stelle", sagt Cockrell. Wichtig: Die Nerven behalten, auch wenn die Jobsuche länger als ein Jahr dauert.

Das Protokoll schrieb KarriereSPIEGEL-Autorin Silvia Dahlkamp (Jahrgang 1967). Sie arbeitet in einer Hamburger Redaktion und außerdem als freie Journalistin.

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