Karriere eines Blinden Vom Stuhlflechter zum Bundesrichter

Hans-Eugen Schulze, 89, ist seit frühester Kindheit blind
Foto: Uli Deck/ dpaMit 17 schien seine Karriere am Ende: Hans-Eugen Schulze hatte seine Ausbildung an der Blindenschule Soest absolviert und sollte von nun an für den Rest seines Lebens Stühle oder Matten flechten, telefonieren oder stenografieren - typischer Werdegang eines Blinden, der in den zwanziger Jahren geboren wurde. Doch damit gab sich Schulze nicht zufrieden. 24 Jahre später wurde er Richter am höchsten deutschen Zivilgericht, dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Er war dort der erste blinde Richter.
"Ich war glücklich, irgendwie demütig und dankbar. Aber ich habe hart dafür gekämpft", sagt Schulze. Inzwischen ist er 89 Jahre alt - und an seinem neunzigsten Geburtstag, dem 10. April, wird Schulze mit dem Bundesverdienstkreuz erster Klasse ausgezeichnet.
Bei seinem ersten Kontakt mit der Justiz war er noch das kleinste Rädchen. Die Richter am Landgericht Dortmund diktierten ihm Strafurteile, er brachte sie zu Papier: "Dann hab ich mir eingebildet, ich müsste das auch können, wenn ich studiert hätte."
Er schmiss den Job, holte sein Abitur nach, schrieb sich in Marburg für Jura ein. Er kämpfte sich durchs Studium, tippte jede Vorlesung auf seiner Stenografiermaschine mit und arbeitete sie zu Hause aus. Sein Ehrgeiz lohnte sich, beide Examina bestand er mit der Note 1 - eine außergewöhnliche Leistung. Schulze promovierte und wurde Richter am Landgericht Bochum.
Ein Grundstück, mit Fäden gespannt
Im Gerichtsalltag stand ihm eine Vorleserin zur Seite, die ihm die Akten auf Kassetten sprach. In einem Prozess berichtete eine Frau davon, wie sie in einem Schwimmbad betatscht worden sei und ahmte die Handbewegungen nach. "Fassen Sie mich mal so an, wie der sie angefasst hat", sagte der blinde Richter - und konnte sich so einen lebendigen Eindruck machen. Bei der Verhandlung um einen Nachbarschaftsstreit fertigte er sich seine eigene Skizze der Grundstücke an, indem er zwischen Nagelköpfen Fäden spannte.
"Ich habe gar keinen Grund zu bedauern, dass ich nicht sehen kann. Für mich hat es seinen guten Sinn gehabt", sagt Schulze. Er ist seit frühester Kindheit blind, kann nicht einmal Schatten erkennen.
Mit seiner Frau gründete er 1997 eine Stiftung für blinde und sehbehinderte Mädchen und Frauen in Afrika und Asien, noch heute ist er unter anderem bei der Christoffel Blindenmission aktiv. "Ich habe mein Leben bestmöglich gelebt", sagt er. "Das ist alles gut so."