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Denksport beim Bewerbungsgespräch Der Kopfnuss-Test

Wie schwer ist Manhattan? Wie viele Smarties passen in einen Smart? Erklären Sie einem Blinden die Farbe Lila. Ob Bewerber kreativ und logisch denken, testen manche Unternehmen mit Denksportaufgaben. Im Web kursieren Listen der kniffligsten Tests. Doch wer die Lösung vorher weiß, riskiert eine Schlappe.
Foto: Corbis

Eine Frage aus seinem Vorstellungsgespräch kann Christoph Nünke, 31, bis heute nicht vergessen: Warum muss ein voll beladener Güterzug erst ein Stück rückwärts rollen, bevor er losfährt? Nünke wusste es nicht. Woher auch? Er hatte Wirtschaftsingenieurwissenschaften studiert, sich mit Güterzügen zuletzt als kleiner Junge beschäftigt. Und er wollte nicht bei der Bahn anheuern, sondern bei der Unternehmensberatung Capgemini.

Nach einer Schrecksekunde fing Nünke an, einen Zug zu kritzeln, jedes Kästchen ein Waggon. Und er begann zu reden. Von flexiblen Teilen, von einer Anfangslast, die reduziert werden müsste. Irgendwann beendete der Interviewer das Gespräch. Ohne Feedback, aber mit Zusage. Nünke bekam den Job.

Zu Hause recherchierte er die Lösung. Das Rückwärtsfahren bewirkt, dass die Kupplungen zwischen den Waggons durchhängen. Wenn die Lok anfährt, setzt sie einen Waggon nach dem anderen in Bewegung und nicht alle auf einmal. So wird die zu ziehende Gesamtmasse langsam erhöht - und es wird leichter, die hinteren Waggons in Schwung zu bringen.

Eine korrekte Antwort ist halb so wichtig

Fragen wie diese heißen Brainteaser, frei übersetzt: Hirnkitzler. Es sind Denksportaufgaben, mit denen Personaler testen können, wie analytisch, kreativ oder logisch ein Bewerber denken kann - und wie er auf scheinbar unlösbare Aufgaben reagiert. "Die richtige Antwort auf die Frage zu finden, ist dabei gar nicht das Zentrale", sagt Felix Grade, Leiter der Personalabteilung bei Capgemini Consulting. "Der Weg ist das Ziel: Wie geht der Bewerber an eine überraschende Aufgabenstellung heran? Das wollen wir sehen." Berater würden von ihren Kunden immer wieder mit unerwarteten Fragestellungen überrascht, deshalb ergebe der Einsatz von kniffligen Denksportaufgaben bei der Bewerberauswahl durchaus Sinn.

"Brainteaser sind im Consulting schon seit Jahren verbreitet, die Bewerber erwarten sie schon im Vorstellungsgespräch", sagt Christina de Bakker, Leiterin von Personalmarketing und Recruiting bei der Unternehmensberatung Deloitte. Das Lösen von Brainteasern könne man trainieren - und viele Bewerber seien auch entsprechend vorbereitet.

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Brainteaser-Quiz: Haben Sie das Zeug zum Consultant?

Foto: Mark Lennihan/ AP

Einer, der ihnen dabei hilft, ist Stefan Menden. Er hat das Buch "Brainteaser im Bewerbungsgespräch" herausgegeben, mit Lösungen für 140 Kopfnüsse. Die Beispiele, alle aus der Praxis, haben Bewerber auf der von Menden gegründeten Karriereplattform squeaker.net  gepostet.

"Zu vielen Brainteasern gibt es lange Diskussionen über die Lösungswege, die Leute sind begeistert dabei. So kam mir die Idee mit dem Buch", sagt Menden. Für die erste Ausgabe 2003 knobelte er zusammen mit zwei Volkswirtschaftlern ein Jahr lang an den Lösungen. Mittlerweile rätselt er an neuen Aufgaben für die fünfte Auflage.

Unternehmensberatungen, aber auch Investmentbanken, Logistikfirmen oder kleinere Start-ups sorgen ständig für neuen Rätsel-Nachschub. "Man kann beobachten, wie Brainteaser in neue Branchen durchsickern", so Menden. "Sie tauchen in allen Firmen auf, in denen jetzt ehemalige Consultants arbeiten."

Ranking der kuriosen Fragen

Traditionell überlassen Unternehmensberatungen die Bewerberauswahl nicht allein den Personalern, auch Berater sind beteiligt und haben freie Hand, welche Fragen sie stellen. "Wir haben keinen Katalog mit Brainteasern oder irgendwelche Vorgaben dazu", sagt Deloitte-Recruitingchefin de Bakker. "Die Berater, die Kandidaten prüfen, haben durch ihre jahrelange Erfahrung meist zwei, drei Brainteaser in petto, die sie an geeigneter Stelle fragen können."

Jede Woche wird mindestens eine neue Denkaufgabe aus einem Bewerbungsgespräch auf squeaker.net gepostet. Die User berichten von Brainteasern bei Roland Berger, AT Kearney, Boston Consulting Group, Bain & Company oder Rothschild. Stefan Menden schätzt, dass in der Berater- und Investmentbranche in jedem zehnten Interview Brainteaser vorkommen. Die Berichte der Bewerber decken sich allerdings nicht immer mit der Version der Personaler.

In den USA kürt die Karriereplattform Glassdoor jedes Jahr die 25 kuriosesten Fragen aus Bewerbungsgesprächen. Der erste Platz  ging 2011 an Google: "Wie viele Menschen nutzen in San Francisco an einem Freitagmittag um halb drei Facebook?" Auch der Vorjahressieger , ein Beispiel von Goldman Sachs, soll laut "Wall Street Journal"  eine beliebte Frage an Google-Bewerber sein: "Stellen Sie sich vor, Sie wären auf die Größe eines Bleistiftes geschrumpft und würden in einen Mixer geworfen. Wie kommen Sie da raus?"

"Mit dem Neid kommen die urbanen Mythen"

Die beiden ehemaligen Google-Personaler Gayle McDowell und Collin Winter bezweifeln, dass es solche Fragen jemals in Interviews gab. Brainteaser seien bei Google verboten, schreibt McDowell in ihrem Blog : "Wenn ein Interviewer einem Kandidaten trotz des Verbots einen Brainteaser stellen würde, würde die Auswahlkommission sein Urteil vermutlich nicht anerkennen und ihm sagen, er solle nicht solch verrückte Fragen stellen."

Wer von Brainteasern bei Google berichte, wisse nicht, wovon er rede oder lüge absichtlich , um Bücher zu verkaufen oder Klicks zu generieren, schreibt Winter. "Früher kursierten diese Gerüchte über Microsoft-Interviews", sagt McDowell. "So ist es bei jeder angesagten, neuen Firma: Mit dem Neid kommen die urbanen Mythen."

Auch von Google Deutschland heißt es: "Sogenannte Brainteaser werden von uns in der Regel nicht gestellt." Dennoch kursieren im Internet zahlreiche Berichte deutscher Google-Bewerber: Sie sollten in ihrem Vorstellungsgespräch einem Blinden die Farbe Lila erklären. Oder ausrechnen, wie viele Tennisbälle in einen Düsenjet passen. Oder schätzen, wie schwer Manhattan ist.

Test mit der wässrigen Gurke

Die Unternehmensberatung McKinsey wirbt in Mendens Brainteaser-Buch mit einer ganzseitigen Anzeige, setzt aber "grundsätzlich keine Brainteaser ein". Der Mehrwert dieser Aufgaben lasse sich nicht erschließen, sagt Recruiting-Director Thomas Fritz: "Logisches Denken und Problemlösungsstärke lassen sich sehr gut anhand von Fallbeispielen aus der realen Praxis ermitteln. Dafür müssen wir nicht versuchen, den Bewerber aus dem Konzept zu bringen oder auf eine falsche Fährte zu locken."

Auch Carsten Baumgärtner, Partner und verantwortlich für das Recruiting bei der Boston Consulting Group, sagt, dass Brainteaser im Bewerbungsgespräch "kaum eine Rolle spielen". Wie Kandidaten mit komplexen Problemstellungen umgehen, könne man besser mit praxisorientierten Fallstudien prüfen.

Stefan Menden hat da andere Erfahrungen gemacht. Er wurde in einem Vorstellungsgespräch bei einer Strategieberatung mit folgender Frage konfrontiert:

Eine Gurke wiegt 1200 Gramm, ihr Wassergehalt beträgt 99 Prozent. Wie viel wiegt die Gurke, wenn der Wassergehalt auf 98 Prozent sinkt?

600 Gramm, sagte Menden. Er kannte die richtige Antwort schon. Punkten konnte er damit trotzdem nicht: "Man hat mir angesehen, dass ich das auswendig wusste." Menden kassierte prompt eine Absage - "aber nicht nur wegen des Brainteasers". Kein Bewerber scheitert allein an der Logikaufgabe, da sind sich die Recruiter einig.

Drei Möglichkeiten, die Aufgabe zu vergeigen

Wer einen Brainteaser schon kennt, sollte um einen neuen bitten - oder gut schauspielern können. Still vor sich hin denken und dann ohne Erklärung die richtige Antwort geben, sei eine von drei Möglichkeiten, einen Brainteaser zu vergeigen, sagt Capgemini-Personaler Grade. Die anderen beiden sind: gar nichts sagen. Oder fragen, was das denn bitteschön mit der Arbeit zu tun habe.

"Es ist nur eine Methode von vielen, letztlich ist das Gesamtergebnis entscheidend", so Grade. "Allerdings muss man sagen, dass die meisten, die bei den Brainteasern versagen, auch bei anderen Aufgaben Probleme haben."

Die Buchautoren Anne Jacoby und Florian Vollmers ("Das Jobinterviewknackerbuch") raten: "Wenn Ihnen das Unternehmen, die Personaler und die Fachleute eigentlich sympathisch sind, dann lassen Sie nicht beleidigt Ihr Rollo runter, sondern spielen Sie mit." Denn das wirke auf jeden Fall "kompetenter als eine Flucht durch die Hintertür". Eine schlichte Weigerung, Aufgaben wie "Wie viele Smarties passen in einen Smart?" zu lösen, werde leicht als mangelnde Bereitschaft ausgelegt, sich im Job anzustrengen und auch in schwierigen Verhandlungen einen kühlen Kopf zu bewahren.

Christoph Nünke ist mittlerweile zum Senior Consultant aufgestiegen und führt selbst Bewerbungsgespräche. Eine seiner liebsten Aufgaben: Er stellt ein quadratisches Glas mit Wasser auf den Tisch und fragt, ob es halb voll oder halb leer ist. Wer sofort antwortet, hat verloren. Die Frage zielt nämlich nicht auf die persönliche Lebensphilosophie, sondern lässt sich ganz pragmatisch lösen: Man kippt das Glas um 45 Grad. Läuft Wasser über den Rand, war das Glas mehr als halb voll.

Foto: Jeannette Corbeau

Autorin Verena Töpper (Jahrgang 1982) ist KarriereSPIEGEL-Redakteurin.

Foto: Beatrice Blank
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