Brexit Wenn der Traum von der EU-Karriere platzt

Campus vom College of Europe in Brügge
Foto: Kim Alexander Zickenheiner/ dpaAm College of Europe im belgischen Brügge oder polnischen Warschau kann sich nicht einfach jeder einschreiben. Pro Jahr meistern nur knapp 500 hoch qualifizierte Bewerber die rigorosen Aufnahmetests, und viele haben ein klares Ziel vor Augen: eine Karriere bei den Institutionen der Europäischen Union (EU). Doch für britische Studenten ist dieser Traum mit Großbritanniens Nein zur EU erst einmal ausgeträumt.
"Man kann wohl sagen, dass der Brexit meine Karriere aus der Spur gestoßen hat", sagt Benjamin Thom, 26, der ursprünglich aus dem englischen Halifax stammt. Er hat bereits in Spanien, Schweden, Frankreich und Tschechien studiert. Danach kam er an die europäische Kaderschmiede in Brügge und hat hier gerade seinen Abschluss gemacht.
"Das Wappen auf meinem Pass bedeutet jetzt wahrscheinlich, dass ich niemals ein EU-Beamter werden kann." Denn: Wer EU-Beamter werden will, muss EU-Bürger sein.

Benjamin Thom
Foto: Kim Alexander Zickenheiner/ dpaThom glaubt fest an die Idee der Union, und so wie viele seiner Mitstudenten hat er schon mehrere Uniabschlüsse und reichlich Arbeitserfahrung gesammelt. Thom befand sich damit auf der Zielgeraden zu einem Spitzenposten in der EU - bis der Brexit kam, das Votum der Briten für den Austieg aus der EU. "Es hat mich sicherlich traurig gestimmt, aber ich weiß nicht, ob ich geschockt war. Wir wussten alle, wie knapp es sein würde."
Karriere in Europa trotz Nein zur EU?
Bisher haben sich jedes Jahr 20 bis 25 britische Studenten am College of Europe eingeschrieben. Rund 340 Studenten gibt es am Standort Brügge insgesamt, rund 120 in Warschau. Die größten Gruppen stellen derzeit Franzosen, Italiener, Spanier, Polen und Deutsche.
Die Studenten sprechen normalerweise drei oder vier Sprachen, studieren ein Jahr lang europäische Beziehungen, Politik, Diplomatie, Verwaltung, Wirtschaft oder Recht und bekommen nach einem erfolgreichen Abschluss den Master-Titel. Die Absolventenliste strotzt vor Botschaftern, Ministern, hohen Beamten, Managern.
Ob sich die Zahl der britischen Studenten an dem College hält, sei schwer einzuschätzen, sagt der deutsche Rektor Jörg Monar - aber eher unwahrscheinlich. Aus seinem Büro kann er auf den kleinen Campus in Brügge blicken, wo moderne Glasfronten historische Ziegelsteinbauten verkleiden. "Außer Frage steht: Wir haben weiterhin großes Interesse daran, britische Studenten aufzunehmen", betont Monar. Aber: Wollen die ihre Karriere nach dem Nein zur EU noch auf Europa gründen?

Jörg Monar, Rektor vom College of Europe in Brügge
Foto: Kim Alexander Zickenheiner/ dpaDie Brexit-Entscheidung passt nicht in die Vision eines geeinten Europas, die auch Thom zu dem Studium bewogen hatte. "Ich hatte gehofft, einen Unterschied im täglichen Leben der Europäer zu machen, indem ich ein Beamter der EU-Institutionen werde", sagt er. Nun musste er umschwenken. Er hat seine Karriere bei einer großen Agentur für Öffentlichkeitsarbeit gestartet. Auch hier kann er sich mit europäischen Themen beschäftigen, wenn auch nicht als Beamter.
"Oh, scheiße"
Kritisch für das College: Die Stipendien der britischen Regierung für vielversprechende junge Beamte fallen wahrscheinlich weg. Interessenten müssen die Studienkosten selbst stemmen oder sich anderweitig um Unterstützung bemühen. Die Kosten für das einjährige Programm betragen derzeit 24.000 Euro, inklusive Unterbringung. Rund 70 Prozent der Studenten profitieren von einem Stipendium.
Der Brexit wird auch inhaltlich zum Thema werden: in Vorlesungen, geplanten Konferenzen und Diskussionen. In den Augen von Thom ist das auch dringend notwendig. "Ich hoffe, dass das College anfängt, sich gründlicher mit Euroskeptikern auseinanderzusetzen", sagt er. Bisher sei das Misstrauen teils als britisches Phänomen abgetan und weitgehend ignoriert worden.
Ignorieren können es die britischen Studenten nicht mehr. "Wir hatten den Eindruck, dass uns die anderen Bürger im Stich gelassen haben", sagt ein Absolvent, der anonym bleiben möchte. Auch er selbst habe unbedingt für die EU-Kommission arbeiten wollen. Dann wachte er am Morgen nach dem Brexit-Votum zu einem Dutzend Handynachrichten mit einer einzigen Aussage auf: "Oh, scheiße." "Ich hatte einige schlaflose Nächte", gesteht er. Nun arbeitet er weiter in einem nationalen Ministerium.
Verschiebung der Motivation
Rektor Monar rät seinen britischen Studenten dringend davon ab, jetzt noch in den Dienst der EU einzutreten. "Wenn der Brexit dann rechtskräftig wird, wäre die Karriere, bevor sie richtig begonnen hat, schon vorbei." Trotzdem sei das Studium für Briten aber nicht nutzlos geworden, findet er. Monar spricht von einer Verschiebung der Motivation: Für den privaten Sektor stünden die Briten genauso gut da wie andere.
Auch in den Ministerien in London werde es weiter Bedarf für Europaexperten geben, gerade im Moment. "Wenn sie sich für eine nationale Karriere interessieren, ist das vielleicht nicht der schlechteste Zeitpunkt", sagt Monar.
Offiziell ist der Austritt noch nicht in die Wege geleitet. "Viele von uns hoffen, dass wir einfach komplett in der EU bleiben", sagt der Absolvent mit einem traurigen Lächeln. Dass es dazu wohl kaum kommen wird, weiß er selbst. Auch Rektor Monar will seinen Studenten keine falschen Hoffnungen machen. "Ich halte es für fast ausgeschlossen, dass die Entscheidung revidiert werden kann."
Ein weiterer Brite dagegen freut sich, dass er nicht nur einen britischen, sondern auch einen französischen Pass hat. Seinen Namen möchte er nicht sagen, nur so viel: Zwar mache er sich Sorgen um die Relevanz seines Abschlusses, sollte es aber nicht gerade zum Frexit kommen, stehen ihm die Türen der EU-Büros weiter offen.