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Wegweisendes Urteil des Bundesarbeitsgerichts Urlaub verjährt nur, wenn der Arbeitgeber auch darauf hinweist

Freie Tage verfallen nur noch, wenn Beschäftigte vorher darauf aufmerksam gemacht wurden. Das hat das Bundesarbeitsgericht in Erfurt entschieden. Das Urteil könnte Massenklagen zur Folge haben.
Urlaubstage mit der Familie, die kann man sich nun auf Jahre zurückholen (Symbolbild)

Urlaubstage mit der Familie, die kann man sich nun auf Jahre zurückholen (Symbolbild)

Foto: Westend61 / Getty Images

101 Urlaubstage hatte eine Steuerfachangestellte aus Nordrhein-Westfalen wegen hoher Arbeitsbelastung über mehrere Jahre angesammelt. Ihr Arbeitgeber meint, sie seien verfallen und verjährt. Dagegen klagte die Frau – und bekam vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt nun recht (Aktenzeichen: 9 AZR 266/20 ).

»Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts stärkt zweifelsohne die Rechte von Beschäftigten.«

Arbeitsrechtler Michael Fuhlrott

»Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts stärkt zweifelsohne die Rechte von Beschäftigten«, sagte der Hamburger Arbeitsrechtler Michael Fuhlrott dem SPIEGEL.

Urlaubstage von vor 10 oder 15 Jahren könnten wieder geltend gemacht werden

Nach dem Urteil des BAG verjährt Urlaub nur noch, wenn Arbeitgeber ihre Beschäftigten zuvor auch darauf hingewiesen haben, dass ihnen Urlaub zusteht, der verfallen könnte. Bleibt der Hinweis des Arbeitgebers aus, können auch Ansprüche aus früheren Jahren geltend gemacht werden. Auf die dreijährige Verjährungsfrist nach nationalem Recht können sich Arbeitgeber fortan ebenso wenig berufen, wie auf den Verfall des Urlaubs nach 15 Monaten. Gerade der Aspekt, dass nun auch Urlaubsansprüche von vor 5, 10 oder 15 Jahren geltend gemacht werden könnten, könnte für im Arbeitsrecht äußerst seltene Massenklagen sorgen. »Es ist nicht ausgeschlossen, dass Beschäftigte nach der Entscheidung nunmehr ihren vormaligen Arbeitgeber auf Abgeltung des nicht beanspruchten Urlaubs der Vorjahre in Anspruch nehmen. Ob für diesen Abgeltungsanspruch aber das Gleiche wie für Urlaubsansprüche gilt, ist der gerichtlichen Pressemitteilung nicht zu entnehmen und bleibt damit offen«, sagt Arbeitsrechtler Fuhlrott.

In ihrer Entscheidung beschäftigen sich die höchsten deutschen Arbeitsrichter gleich mit mehreren Aspekten zum Thema Urlaub: In dem Fall der Steuerfachangestellten mit der langen Liste nicht genommener Urlaubstage ging es um die Verjährungsfrist – sie liegt in Deutschland bisher bei drei Jahren. In einem anderen Fall – ebenfalls aus Nordrhein-Westfalen – urteilten die Richter über die Klage einer Krankenhausangestellten, die lange selbst krank war und in diesem Jahr nur einen Teil ihres Urlaubs nehmen konnte.

Nationales Urlaubsrecht wird zunehmend vom Europarecht geprägt

»Das Urteil des BAG ist einerseits spektakulär und kann erhebliche Auswirkungen haben. Andererseits kommt es nicht überraschend, denn es setzt mit seinem Urteil zwingende Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs um«, so Arbeitsrechtler Fuhlrott.

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Das Bundesarbeitsgericht hat die beiden Fälle aus NRW vor seiner anstehenden Entscheidung bereits dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vorgelegt. Er sollte prüfen, ob europäisches Recht eine Verjährung des Urlaubsanspruchs gestatte, »wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht durch entsprechende Aufforderung und Hinweise tatsächlich in die Lage versetzt habe, seinen Urlaubsanspruch auszuüben«. Die Entscheidung war eindeutig: Nein, sagte der Gerichtshof im September. Urlaub könne nicht verjähren oder bei langer Krankheit verfallen, wenn Arbeitgeber ihren Pflichten nicht nachgekommen seien, so der EuGH. Das BAG schloss sich nun in beiden Fällen der Unionsrechtsprechung an.

flg/dpa
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