Traumatisierte Soldaten Der Weichei-Verdacht

Soldat mit Vier-Stunden-Tag: Maik hat Probleme, wieder im Leben anzukommen
Foto: Markus HuthDas blonde Mädchen, das nach einem Kopfschuss in Maiks* Armen starb, war im Kindergartenalter, so wie seine Tochter heute. Der Mittdreißiger sitzt in seiner Küche, irgendwo in der deutschen Provinz. Draußen scheint die Sonne, von der Kühlschranktür lacht der kleine Maulwurf, den seine Tochter gezeichnet hat. Maiks Körper ist im Alarmzustand. Mit schnellen Blicken prüft er seine Umgebung, sein Puls rast, nervöses Schlucken unterbricht seine Worte. Maik ist Bundeswehrsoldat. Endlich wieder, sagt er.
Im Juli vergangenen Jahres bekam er den Brief, für den er so lange gekämpft hat: Er ist wieder eingestellt, im "Wehrdienstverhältnis der besonderen Art".
Eigentlich kann die Armee Maik nicht gebrauchen. 2009 war der Zeitsoldat regulär ausgeschieden. Doch er leidet nach Auslandseinsätzen im Kosovo an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Täglich muss er zur Therapie, ist permanent gereizt, kann jeden Moment ausflippen. Eigentlich wollte Maik Erzieher werden. Aber das Versorgungsamt schrieb, dass er dafür psychisch nicht in der Lage ist. "Das hieß: Bundeswehr oder Hartz IV", sagt der Familienvater.
"Eigentlich deutete alles auf einen Hilfseinsatz"
Das Kosovo und Somalia waren für die Bundeswehr die ersten Kampfeinsätze, mit ihnen kam eine Welle von PTBS-Fällen. "Wir dachten damals nicht, dass wir kämpfen müssen", sagt Maik. "Alles deutete auf einen Hilfseinsatz." Die Bundeswehr zählte 1143 PTBS-Erkrankte im vergangenen Jahr, wie im Vorjahr offiziell 194 Neuerkrankungen.
Mit Afghanistan schnellten die Zahlen in die Höhe. Im vergangenen Jahr ging dann ein Soldat medienwirksam an die Öffentlichkeit: "Soldatenglück: Mein Leben nach dem Überleben", heißt das Buch von Robert Sedlatzek-Müller. Der Diensthundeführer und Fallschirmjäger hatte im März 2002 in Afghanistan eine Sprengstoffexplosion überlebt, kam inmitten der Körperteile seiner Kameraden wieder zu sich. Fünf ISAF-Soldaten starben.
Sedlatzek-Müller setzte sich über viele Jahre gemeinsam mit der Selbsthilfeorganisation "Bund Deutscher Veteranen" dafür ein, dass der Bundestag das "Einsatz-Weiterverwendungsgesetz" reformiert - mit Erfolg. Seit Ende 2011 haben alle ab 1992 körperlich und seelisch verwundeten Soldaten Anspruch auf eine Weiterbeschäftigung bei der Bundeswehr, wenn ihnen der Truppenarzt eine sogenannte Wehrdienstbeschädigung attestiert.
Der Reform verdankt Maik seine Wiedereinstellung. Wie alle "Einsatzgeschädigten" bekommt er den vollen Sold bei reduzierter Arbeitszeit, kann sich heimatnah stationieren lassen und hat eine gesicherte Gesundheitsversorgung mit Psychotherapie. Hinter Maik liegen 14 Jahre Ungewissheit, sieben Jahre Therapie, davon drei Jahre stationär - nach alledem wollte er endlich eine Versorgung, bei der er nicht alle zwei Jahre wieder erklären muss, dass er noch krank ist. "Und das", sagt er, "bekomme ich nur als Berufssoldat."
Kaum dienstfähig, aber Berufssoldat
Trotzdem belastet ihn sein Berufsalltag. Jede Information müsse er sich mühselig beschaffen, sagt er. Wer ist für ihn zuständig? Was steht ihm zu? Ist er überhaupt dienstfähig? "An meinem Standort hat darauf niemand Antworten."
Wenn Ärzte und Sachbearbeiter versetzt werden, muss er den Neuen alles von vorne erklären. Dabei kann er sich nur schwer konzentrieren und leidet an Depressionen. Behördengänge, Fristen und Amtsbriefe sind ihm deshalb ein Graus. Dass der PTBS-Beauftragte der Bundeswehr ein Brigadegeneral ist, macht es vielen Betroffenen schwer, über ihre Krankheit zu reden.

Minenräumer auf den Falklands: Der Krieg des Mister Madzokere
Die Situation ist vertrackt: Berufssoldaten können bei der Bundeswehr eigentlich nur die besten werden. Im Falle von PTBS-Patienten ist es genau umgekehrt: Die Armee muss die schwersten Versorgungsfälle bis zum Ende ihres Berufslebens übernehmen. Das sorgt für Spannungen. Viele Kameraden finden es unfair, dass jemand wie Maik Berufssoldat werden darf, während es für Gesunde nicht ausreichend Stellen gibt, sagt ein Kompanie-Chef hinter vorgehaltener Hand.
Niemand kennt Maiks Problem - nicht mal der Vorgesetzte
Äußerlich erscheint Maik unversehrt, ein sportlicher, großer Mann. Als er im vergangenen Juli seinen Posten antritt, weiß niemand an seinem neuen Arbeitsplatz von der Krankheit. Hinter seinem Rücken nennen ihn Kameraden faul, weil er nicht länger als vier Stunden am Tag arbeiten kann.
Maiks Chef hat von der Kommandantur nur ein vages Schreiben über den Neuen erhalten, er will den ehemaligen Infanteristen zunächst in einer Ausbildungskompanie einsetzen. "Ich musste ihm erst erklären, dass Schießen und Gefechtssituationen für mich keine gute Idee sind." Als er endlich eine Bürostelle bekommt, hat er lange keinen Computer. Warum, weiß er nicht. Aber ohne Computer ist ein Verwaltungsjob sinnlos.
Maik ist nun ein Krieger, der den Dienst an der Waffe verweigert. Es wäre dasselbe Sturmgewehr G36, mit dem er vor 14 Jahren bei Prizren ein Auto durchlöcherte. Es waren die ersten tödlichen Schüsse eines deutschen Soldaten im Kampfeinsatz nach dem Zweiten Weltkrieg. Zwei mit Kalaschnikows bewaffnete Serben starben. "Sie fuhren auf einen Platz mit Frauen und Kindern zu, reagierten nicht auf meine Warnrufe, dann wurden wir angegriffen." Er habe Zivilisten und Kameraden beschützt, sagt Maik. Dennoch, er hat zwei Menschen das Leben genommen: "Vielleicht waren die zwei wie ich Väter."
Autofahren entspannt, stundenlang
Wenn sein Therapeut in den Sitzungen den Zeigefinger von links nach rechts bewegt, müssen Maiks Augen minutenlang folgen, sodass sein Geist an den Kriegsschauplatz zurückkehren kann. Dann ist er wieder auf dem heißen staubigen Platz in Prizren, fühlt die Todesangst, schaut durch sein Zielfernrohr und drückt ab.
Laut Bundeswehr beträgt die Erfolgsquote der Behandlung von PTBS-Symptomen 80 Prozent, aber: "seelische Narben können zurückbleiben." Auch nach 14 Jahren und unzähligen Therapiestunden spürt Maik die Symptome. Ein Geräusch, ein Geruch oder ein Bild genügt. Dann bekommt er Todesangst, Atemnot und Schweißausbrüche. Maik meidet Orte mit vielen Menschen. Allein Autofahren entspannt ihn. Manchmal fährt er stundenlang in der Gegend herum, ohne dass seine Frau weiß, wo er steckt.
"Die Betroffenen versuchen das Trauma zu verdrängen. Ohne Therapie besteht die Gefahr, dass sie in ständiger Bedrohung leben", sagt Oberstarzt Helge Höllmer. Er leitet die Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie am Bundeswehrkrankenhaus in Hamburg. Das könne bis zur Suizidgefahr gehen. Ob jener Soldat, der sich Anfang Juni im Feldlager von Masar-i-Scharif in Afghanistan das Leben nahm, an PTBS litt, ist noch ungeklärt.
"Halten sie mich für einen Verpisser?"
Weichei, Simulant, Verpisser sind die Stigmata, die traumatisierte Soldaten fürchten, sagt Höllmer. PTBS-Kranke hätten Hemmungen sich jemandem anzuvertrauen. Eine psychische Krankheit in der Personalakte kann eine Soldaten-Laufbahn ruinieren. Deswegen gehen Mediziner davon aus, dass die Fallzahl tatsächlich höher liegt. Tausende Soldaten werden nicht gezählt, die aus dem Dienst ausgeschieden sind.
Der Umgang mit Kameraden mit der "unsichtbaren Verwundung", wie es auf einer Bundeswehr-Webseite heißt, ist schwierig. Ein "Psychosoziales Netzwerk" aus Ärzten, Truppenpsychologen, Sozialarbeitern und Militärseelsorgern helfe schnell und anonym.
Die Ärzte sollen aber auch dem Arbeitgeber Bundeswehr helfen. Manchmal hätten sie versucht, das Trauma auf die Kindheit statt auf Kriegserlebnisse zurückzuführen, sagt Andreas Timmermann-Levanas von der Deutschen Kriegsopferfürsorge. "So ist die Bundeswehr fein raus." Es folgte ein jahrelanger, zermürbender Kampf zwischen Soldat und Dienstherr. Zumindest das soll sich nun ändern. Weil immer mehr Soldaten mit Traumata aus Auslandseinsätzen zurückkehren, will die Bundeswehr nun vor deren Entsendung spezielle Tests durchführen, um psychologische Vorerkrankungen auszuschließen.
Maik begleitete im Kosovo holländische Pathologen, die Massengräber mit Hunderten toter Albaner aushoben. Kinder, Frauen, Alte. In seine Erinnerung hat sich das kleine Mädchen mit dem Kopfschuss eingebrannt. Ein Ehepaar aus dem Kosovo brachte sie zu seinem Checkpoint, er hob sie vorsichtig von der Rückbank, um sie dem Sanitäter zu geben. Da wich das Leben aus ihr.
Maik starrt auf den lachenden kleinen Maulwurf an seinem Kühlschrank. Es tue ihm leid, sagt er plötzlich, dass er manchmal seine kleine Tochter anschreit, wenn er ausrastet.
*Name von der Redaktion geändert.