Burn-out Von der Chefetage in die Psychiatrie - und zurück

Depressionen: Viele Arbeitnehmer verheimlichen psychische Probleme
Foto: CorbisEs ist ruhig geworden rund um das Thema Burn-out, aber eben nur in den Medien. Da draußen lassen sich weiterhin Woche für Woche Hunderte Menschen in psychiatrische, psychotherapeutische und psychosomatische Kliniken einweisen, denen eine längere, extreme Belastungssituation auf der Arbeit zum Verhängnis geworden ist. Sie sind depressiv geworden, haben irrationale Ängste, oder sie sind suchtkrank. Oder sie leiden unter einer Kombination aus all dem.
Sie haben viel gearbeitet - so viel, dass sie davon krank geworden sind. Eben ausgebrannt. Burn-out.
Hört sich doch fast ein bisschen heldenhaft an. Komisch, dass man trotzdem kaum jemanden kennt, der betroffen ist, der vielleicht sogar mal in einer psychiatrischen Klinik war - und der das nicht verheimlicht. Liegt es daran, dass psychische Erkrankungen eben nicht einfach durch viel Arbeit entstehen, sondern meist auf Unverarbeitetes aus der Vergangenheit aufsetzen?
"Dass gerade Sie als Manager sich mit einer Angststörung outen - das ist natürlich besonders mutig!" Das habe ich nicht nur einmal gehört; eigentlich ist das die übliche Dosis Respekt, die ich erhalte und die mich immer wieder ehrlich freut - und verwundert. "Gerade Sie als Manager!" Was bedeutet das wohl?
Viele meiner Freunde haben mich bereits damals, in dem für mich verhängnisvollen Winter, als ich mich aus freien Stücken in eine psychiatrische Klinik begeben habe, für "mutig" gehalten. Dabei konnte von Mut keine Rede sein, ganz im Gegenteil. Es war nichts anderes als Verzweiflung - abgründige, tiefe Verzweiflung. Aber als dieser Schritt einmal getan war, habe ich tatsächlich keinen Moment mit dem Gedanken gespielt, irgendwas anderes als die Wahrheit zu erzählen. Ich habe damals mit meinen Kollegen verabredet, dass wir keine Märchen erfinden, sondern sagen, was ist. Irgendetwas anderes als völlige Transparenz kam nicht infrage.
Einiges spricht dafür, die Krankheit zu verheimlichen
Später, ein Jahr danach, als ich längst wieder zurück im Job war und meine Erinnerungen aufschrieb, war dann erst recht klar: Ich schreibe genau das, was ich gedacht und gefühlt habe. Und wieder fand ich mich alles andere als heldenhaft. Ich fand immer noch, dass ich ein passabler Manager bin, einer mit Geschichte. Mit einer Geschichte des Scheiterns.
Es hat keinen Sinn, so zu tun, als würden alle Menschen immer zu 100 Prozent funktionieren, auch keine Manager - gerade dadurch entstehen ja Angststörungen. Nun kann man einwenden, dass ich in meiner materiellen Situation als Manager eines börsennotierten Unternehmens leicht das Risiko eines solchen Outings eingehen konnte. Und dazu sage ich: Ja, das stimmt. Ich weiß nicht, ob ich als Pflegekraft oder Supermarktkassiererin (allesamt Berufe mit mindestens ebensolchem Potenzial für stressinduzierte Krankheiten) genauso gehandelt hätte. Aber ich bin ja nun mal keine Supermarktkassiererin.

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Burn-out ist keine Managerkrankheit, es ist nicht mal eine Krankheit, es ist ein Syndrom. Die Krankheit ist - je nachdem - eine Angststörung, es sind Depressionen, oder es ist eine Abhängigkeit. Das klingt natürlich viel weniger respektabel als Burn-out, und deshalb will man diesen Stempel nicht auf sich sehen. Es spricht ja auch tatsächlich einiges dafür, es zu verheimlichen, dass man einmal wegen solcher oder ähnlicher Krankheiten in Behandlung war:
1. Mein Vorgesetzter könnte mich als Führungskraft für "angeschlagen" halten und mich ersetzen wollen. Aber: Wenn mein Vorgesetzter mich loswerden wollte, dann würde er nicht auf meinen Burn-out warten. Er schätzt mich, und er wird abwarten, wie sich die Dinge entwickeln.
2. Mögliche Konkurrenten könnten die Situation nutzen, um an meinem Stuhl zu sägen. Aber: Würde ich deshalb einen Herzinfarkt oder eine Krebserkrankung unbehandelt lassen? Warum dann eine ernste psychische Krise?
3. Meine Mitarbeiter und mein sonstiges (macht-)soziales Umfeld könnten sich während meiner Abwesenheit verändern. Aber: Die meisten Organisationen sind viel träger, als sie sich selbst sehen. So schnell ändern sich Menschen nicht und Organisationen schon gar nicht.
Man muss keine Plakate aufhängen, man muss keine Bücher über seine Erlebnisse in einer Psychoklinik schreiben. Man muss auch nicht alle Mitmenschen über seine Gemütslage auf dem Laufenden halten. Aber eine Krankheit ist eine Krankheit und kann behandelt werden. Angststörungen und Depressionen sind sehr gut therapierbar - vorausgesetzt, der Patient ist einsichtig und arbeitet aktiv mit. Das geht aber nicht, solange er sich versteckt, denn dann hat er mit dem Verstecken zu tun und gerät immer weiter ins Abseits.
Schnelles Handeln verspricht schnelle Hilfe
Ich kenne Kollegen und Freunde, deren Ehefrauen nichts davon wissen, dass ihre Männer an Depressionen leiden. Fast jeder von uns kennt solche Leute, man weiß es nur eben oftmals nicht. Wenn sie gefragt werden, wieso sie nicht wenigstens mit ihrem engsten Umfeld reden und sich professionelle Unterstützung suchen, sieht man in leere Gesichter. Für einen Herzinfarkt kann man nichts, für psychische Krankheiten ist man selbst verantwortlich: Solche oder ähnliche Ansichten gibt es zuhauf. Immer noch. Dabei hat der, der sich ungesund ernährt und keinen Sport treibt, mehr für seinen Herzinfarkt getan als ich damals für meine Angststörung - ganz sicher.
Probleme erkennen, schonungslos offenlegen, genau analysieren und verstehen; eine Lösung konzipieren und darauf achten, dass sie umgesetzt wird. Klingt das nicht nach Management-Kompetenz? Das haben wir doch gelernt, das ist genau das, was wir Tag für Tag machen. Dabei wollen wir mutig sein und die Dinge anpacken - nur bei der eigenen Gesundheit lassen wir das lieber sein. Wir verstecken uns oder versuchen, Probleme auszusitzen. Dabei ist es völlig klar, dass schnelles Handeln schnelle Hilfe verspricht.
Natürlich will man anfangs nicht wahrhaben, dass man krank ist, und vielleicht ist es auch schwer zu erkennen, dass eine psychische Ursache dafür verantwortlich ist. Das ist normal und menschlich. Spätestens wenn die Diagnose steht, muss es aber an die Therapie gehen. Je offener man mit der Situation umgeht, desto weniger Berührungsängsten wird man begegnen. Und desto schneller kann eine Therapie greifen.
Es ist einiges passiert in den letzten Jahren. Burn-out und die entsprechenden psychischen Erkrankungen sind - auch dank der Beschäftigung in den Medien - heute schon viel weniger tabu als noch vor zehn Jahren. Aber wir sind noch nicht da, wo eine moderne und offene Gesellschaft eigentlich hinmuss: vollständig zu akzeptieren, dass solche Erkrankungen nun mal passieren - einfach so. Dass sie normal sind. Dann wird es auch wieder ruhig werden rund um das Thema Burn-out - aber eben deshalb, weil es niemanden mehr aufregt.

Rüdiger Striemer war bis Ende Juni Vorstandsmitglied der adesso AG und leitet jetzt die Auslandsgesellschaften des Unternehmens in Österreich, der Schweiz und der Türkei sowie den Bereich Lottery. Seine Erfahrungen mit der eigenen psychischen Erkrankung hat er in dem Buch "Raus! Mein Weg von der Chefetage in die Psychiatrie und zurück", erschienen im Berlin Verlag, beschrieben.