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Psychische Erkrankungen im Job "Sagen Sie Ihrem Chef nicht die Wahrheit"

Wer im Laufe seines Berufslebens psychisch erkrankt, steht vor zwei Fragen: Woran liegt's? Und wie sage ich es meinem Chef? Ein Experte erklärt, wie er sich verhalten würde.
Die Psyche leidet vor allem, wenn sie unter Stress steht. Das sagt Peter Falkai, Direktor der Klinik für Psychiatrie an der Uni München

Die Psyche leidet vor allem, wenn sie unter Stress steht. Das sagt Peter Falkai, Direktor der Klinik für Psychiatrie an der Uni München

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Uwe Umstätter/ Westend61 / Getty Images

Nein, stopp - jetzt wird alles zu viel. Die Chefin hat noch eine Frage, doch im Kopf dreht sich schon alles, im Magen wird es flau, vielleicht kommen gleich Tränen. So können sich Stress und Unzufriedenheit im Job bemerkbar machen. So können Momente aussehen, in denen entschieden werden muss: Kann ich so noch weiterarbeiten?

In den Jahren 2007 bis 2017 hat sich die Zahl der Krankentage wegen psychischer Probleme mehr als verdoppelt. Laut Bundesarbeitsministerium waren es 2007 noch 48 Millionen Fehltage wegen psychischer Erkrankungen pro Jahr, 2017 waren es 107 Millionen pro Jahr.

Im Jahr 2018 registrierte die DAK-Krankenkasse hingegen erstmals seit 2006 einen Rückgang. Die Zahl der Tage, an denen ihre erwerbstätigen Versicherten wegen psychischer Erkrankungen fehlten, ist um 5,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesunken, teilte die Krankenkasse mit.

Wann macht Arbeit krank? Und wie sollten betroffene Arbeitnehmer im Team damit umgehen? Peter Falkai, Direktor der Klinik für Psychiatrie an der Uni München, beschäftigt sich in einer eigens dafür eingerichteten Arbeitsgruppe schon länger mit diesen Fragen.

Zur Person

Peter Falkai, Jahrgang 1961. Klinische und wissenschaftliche Ausbildung an der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf. Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte im Bereich Schizophrenie, Untersuchungen zur Genexpression bei humanem post-mortem Gewebe sowie Identifikation von Kandidatenmolekülen/-pathways der Pathophysiologie schizophrener Psychosen.

SPIEGEL ONLINE: Herr Falkai, Zahlen des Bundesarbeitsministeriums zeigen, dass heute viel mehr Arbeitnehmer wegen psychischer Erkrankungen im Job ausfallen als noch vor zwölf Jahren. Woran liegt das?

Peter Falkai: Die Psyche leidet vor allem, wenn sie unter Stress steht. Für den gibt es Gründe, die es früher womöglich noch nicht so häufig gab: Tablets und Smartphones. Einerseits führen die zu einer Überforderung. Immer mehr Arbeitnehmer bekommen Dienstgeräte, das ist zwar nett, bedeutet aber auch, dass sie ständig erreichbar sein müssen. Viele merken gar nicht, wie oft sie in ihr Handy versinken, um noch mal eben was zu checken: die E-Mails, die Push-Nachricht aus der Gruppe mit den Kollegen. Privates und Berufliches vermischt sich auf demselben Screen.

Dass unser Arbeiten immer digitaler wird, kann andererseits auch unterfordern. Manche stehen nur noch an Maschinen, drücken einen Knopf. Dann bewachen sie, wie das Teil vor ihnen die Arbeit erledigt. Das ist langweilig. Langeweile kann stressen. Und Stress sorgt wiederum für psychische Erkrankungen.

SPIEGEL ONLINE: Früher war alles besser, ohne die Digitalisierung sowieso - das klingt etwas abgedroschen.

Falkai: Natürlich sind Smartphones und andere intelligente Maschinen nicht allein daran schuld, dass es einigen Berufstätigen nicht gut geht. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele auch einfach aus einer Unzufriedenheit heraus krank werden. Die kann verschiedene Ursachen haben: Die Arbeit gibt einem nicht das, was man sich von ihr erhofft, man versteht sich mit Kollegen nicht, wird vielleicht gemobbt, fühlt sich vom Vorgesetzten ungerecht behandelt oder zu schlecht bezahlt.

SPIEGEL ONLINE: Was passiert mit Menschen, die im Job lange unzufrieden sind?

Falkai: Das schlechte Gefühl sucht sich ein Ventil. Wem es lange nicht gut geht, der bekommt Depressionen, Angst- oder Schlafstörungen. Andere fühlen sich zuerst körperlich nicht gut, bekommen Rücken- oder Kopfschmerzen, und die seelischen Tiefs kommen dann später. Das kann sich bis zum Burn-out hochschaukeln.

SPIEGEL ONLINE: Wie kann ich verhindern, dass es so weit kommt?

Falkai: Stellen Sie sich am Sonntagabend einmal die folgenden Fragen: Finden Sie die Vorstellung gut, dass Sie morgen wieder losmüssen? Ist Ihre Batterie nach den freien Tagen wieder aufgeladen? Können Sie die Aufgaben der kommenden Woche bewerkstelligen? Wer eine oder mehrere Fragen verneint, sollte etwas tun.

SPIEGEL ONLINE: Zum Chef gehen und ihm sagen, was mich belastet?

Falkai: Nein.

SPIEGEL ONLINE: Einfach weiterarbeiten?

Falkai: Das auch nicht. Aber es geht Ihre Chefin oder Ihren Chef ja nichts an, wie es in Ihnen aussieht. Sagen Sie ihr oder ihm einfach, dass Sie sich nicht gut fühlen, vielleicht einen Infekt haben, und mal zum Hausarzt müssen. Dahin gehen Sie dann auch, und dort besprechen Sie das weitere Vorgehen, lassen sich abchecken. Womöglich überweist der Arzt Sie, und Sie können sich in psychiatrische Behandlung begeben.

SPIEGEL ONLINE: Wenn ich dann aber stationär aufgenommen werde oder eine Kur mache, dann muss ich meiner Chefin oder meinem Chef das doch sagen.

Falkai: Das müssen Sie nicht. Angenommen, Sie haben eine Depression: Dann könnten Sie sowohl Ihrem Vorgesetzten als auch Ihren Kollegen erzählen, dass Sie eine Bronchitis haben. Die dauert mindestens zwei Wochen - und selbst wenn man wieder einsatzfähig ist, fühlt man sich häufig noch etwas erschöpft. Ähnlich kann eine depressive Episode verlaufen. Ihr Erscheinungsbild im Büro wäre dasselbe, ob Bronchitis oder Depression, und niemand würde etwas merken.

SPIEGEL ONLINE: Sie empfehlen also zu lügen?

Falkai: Ja. Ich rate Ihnen dringend davon ab, im Arbeitsumfeld zu sagen, dass Sie psychisch erkrankt sind. Die Erlebnisse meiner Patienten zeigen, dass es noch immer viele Chefs und auch Kollegen gibt, die Ihnen die Erkrankung zum Nachteil machen würden. Es passiert sehr häufig, dass Menschen, die einmal eine psychische Erkrankung hatten, für immer stigmatisiert sind. Chefs denken: "Oje, die oder den befördere ich lieber erst mal nicht!" Kollegen denken: "Puh, der oder die ist aber wirklich nicht belastbar!" Dabei ist das völliger Quatsch: Die meisten psychischen Erkrankungen sind episodisch und gehen wieder weg, wie eine Grippe. Ihr Vorgesetzter und Ihre Kollegen sind allerdings Laien, die diese Vorurteile womöglich glauben. Wollen Sie das zu spüren bekommen?

SPIEGEL ONLINE: Nein. Allerdings ist zu befürchten, dass sich Stigmata nie ändern, wenn wir uns nicht aktiv darum kümmern, sie aus dem Weg zu räumen. Es gibt mittlerweile einige Betroffene, die sich öffentlich dafür einsetzen, zur eigenen psychischen Erkrankung zu stehen, um Vorurteile abzubauen.

Falkai: Es ist ja auch richtig, das zu fordern. Und es ist schön, wenn man ein so vertrauensvolles Verhältnis zur Chefin oder zum Chef hat, dass man über seine Empfindungen offen sprechen kann. Zur Realität gehört aber auch, dass viele Unternehmen eben noch nicht so weit sind, als dass man mit seinen psychischen Problemen dort ganz locker umgehen könnte. Solange Sie nicht wissen, wie er reagieren wird: Sagen Sie Ihrem Chef nicht die Wahrheit.

SPIEGEL ONLINE: Angenommen, ich bin eine nette Chefin. Meine Angestellte sagt mir, dass sie psychisch erkrankt ist oder war - und kommt nach einigen Wochen zurück. Wie nehme ich sie im besten Fall wieder auf?

Falkai: Sie stellen viele Fragen und hören gut zu: "Wie geht es Ihnen? Mit welchem Gefühl sind Sie heute Morgen gekommen? Wollen Sie eigentlich weiterhin hundert Prozent arbeiten? Muss ich künftig etwas beachten?" Die Informationen behandeln Sie so vertraulich wie es eben geht. Verraten Sie anderen Kollegen nichts. Und wenn Sie wirklich fair sind, sagen Sie auch Ihrem Vorgesetzten nichts, sondern geben der Angestellten eine Chance, sich in Ruhe wieder einzugliedern.

SPIEGEL ONLINE: Wie reagieren Sie eigentlich, wenn einer Ihrer Angestellten Ihnen anvertraut, dass er psychisch erkrankt ist?

Falkai: Das habe ich schon mehrmals erlebt. Und die Angestellten hatten jedes Mal Glück, denn sie erwischten mich in einem guten Moment. Ich habe gesagt: "Am besten, wir nehmen uns mal kurz Zeit, gehen raus oder trinken einen Tee, und dann erzählen Sie mal."

SPIEGEL ONLINE: Und was, wenn man Sie in einem schlechten Moment erwischt?

Falkai: Es kann immer passieren, dass es gerade überhaupt nicht passt. Wenn ich schlechte Laune habe, wenig Personal, wenig Luft. Dann bin ich in einem solchen Moment vielleicht unfreundlich, entschuldige mich aber später auch. Ich bin in einer Führungsposition, da muss ich mein Verhalten reflektieren können. Am Ende bin ich auch nur ein Mensch.

Mit Material von dpa
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