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Job & Karriere

Carpe noctem Lichtscheue Gestalten

Damit morgens die Zeitung im Briefkasten liegt und auf dem Markt frisches Obst angeboten wird, müssen andere nachts schuften. Sechs Nachtarbeiter, von der Schiffsköchin bis zum Schlaflaboranten, erzählen vom regelmäßigen Kampf mit dem Schlaf - und warum sie es dennoch besser haben als die Kollegen von der Tagschicht.
Von Anne Haeming, Mercedes Lauenstein und Anja Tiedge
Wachmann im Schichtdienst: Nachtschaffende betonen die Vorteile

Wachmann im Schichtdienst: Nachtschaffende betonen die Vorteile

Foto: Corbis

Es gibt Jobs, die kommen mit einem eigenen Krankheitsbild: Wer unregelmäßig nachts arbeitet, den erwischt irgendwann das Schichtarbeitersyndrom. Mal tags eingeteilt, mal spät, mal nachts, alles im wöchentlichen Wechsel - da bleibt der Schlaf auf der Strecke. Wenn draußen das Leben tobt, müssen die Nachtjobber so tun, als wäre es Zeit, ins Bett zu gehen.

Kein Wunder, dass sie bei all dem zusätzlichen Stress mehr Lohn bekommen, 25 Prozent des Zuschlags sind steuerfrei, nach Feiertagen auch mal mehr. Oder es gibt bezahlte Freizeit zum Ausgleich.

Doch die Anspannung bei Nacht, selbst wenn der Dienst regelmäßig verläuft, nimmt viele Nachtschufter auf Dauer mit. Die Zeiten liegen oft sogar für ausgeprägte Eulen zu spät. Sozialkontakte brechen weg, Lebenspartner vermissen das gemeinsame Einschlafen.

In Deutschland müssen drei Millionen Menschen dauernd oder zumindest regelmäßig nachts ihr Geld verdienen. KarriereSPIEGEL befragte einige von ihnen nach ihren Erfahrungen, Gefühlen und Wünschen. Vom Kistenpacker in der Großmarkthalle bis zum Schlafforscher, vom Flughafenreiniger bis zur Astronomin.

Nachtarbeit hat auch Vorzüge, ist nicht immer Belastung

Mit einem überraschenden Ergebnis: Oft fühlen die Nachtarbeiter sich wohl mit ihrem Job oder haben sich eingerichtet. Sie sehen die Vorteile: den höheren Lohn, die Ruhe bei der nächtlichen Arbeit oder auch, dass sie immer für ihre Kinder da sein können, wenn die nachmittags aus der Schule kommen. Manchen kommt das späte Arbeiten, so es denn einen regelmäßigen Rhythmus gibt, entgegen. Andere machen das Beste aus einer Situation, die sie vielleicht nicht so leicht ändern können: Als ungelernter Arbeiter 1700 Euro netto, das muss man woanders erstmal finden.

Viele, die Probleme mit der Nachtschicht haben, wollen nicht öffentlich darüber sprechen. Eine Polizistin, die KarriereSPIEGEL fragte, tut es anonym - weil es so viele Kolleginnen in der gleichen Lage gibt, dass sie nichts befürchten muss. Anfragen bei Gewerkschaften ergaben immer das gleiche Bild: Ja, natürlich sind Fälle von massiven Problemen mit der Nachtarbeit bekannt. Aber die Betroffenen fürchten Repressionen, wenn sie in den Medien auftauchen.

Trotzdem haben die Schiffsköchin und die Busfahrerin, der Zeitungsdrucker und der Rettungsfahrer und all die anderen Spannendes zu berichten: Von einer fremden Welt, in der es nur elektrisches Licht gibt. Von großer Verantwortung, wenn man der einzige ist, der die Stellung hält. Und von ihren Tricks, mit denen sie leichter die Nacht zum Tage machen.

Die Bordköchin: "Hunde-Schicht auf dem Meer - es bedeutet, dass man ein harter Knochen ist"

Küchenchefin Deris: "Es ist Teil des Deals, auch diese Schichten zu übernehmen"

Küchenchefin Deris: "Es ist Teil des Deals, auch diese Schichten zu übernehmen"

Foto: privat

Harriet Deris, 33, drei Jahre lang Küchenchefin auf einer Jacht, seit April Leiterin einer Kochschule

"Wer auf dem Schiff die Nachtschicht antritt, hat einen Becher Schwarztee in der Hand. Alte Seemannsregel. Ich hatte immer die sogenannte 'Hunde-Schicht'. Die, in der man weder Sonnenuntergang noch Sonnenaufgang mitbekommt, von drei bis fünf Uhr morgens. Man sieht nicht die Schönheit der See, sondern nur Schwarz in Schwarz. Und man selbst ist auf einer 33-Meter langen Nussschale mittendrin, alleine in der Naturgewalt, während alle anderen schlafen.

Ich war die Küchenchefin an Bord der Jacht: Abends musste ich fürs Abendessen sorgen, morgens fürs Frühstück. Die schlimme "dog shift" war einfach die einzige, die ich übernehmen konnte. Und wenn wir von Mexiko nach Florida fuhren, hatte ich die eben drei Wochen lang jede Nacht. Ehrlich: Ich war auch immer stolz darauf, ausgerechnet diese Schicht zu bekommen. Es bedeutet, dass man ein harter Knochen ist.

Je härter es nachts war, desto mehr hat es mir Spaß gemacht. Oft in alle meine Klamotten gehüllt, drüber einen Friesennerz, saß ich dann oben auf der Flybridge, im Wind, in der Gischt, über mir die Sterne. Es war so dunkel, so frisch. Und herrlich einsam.

Musik auf volle Pulle, der Wind schluckt alles

Das war wie ein Aufatmen - auf einem Schiff ist man sonst schließlich nie allein. Übrigens waren die Nachtschichten auch die einzige Möglichkeit, mal so richtig laut Musik zu hören, ohne jemanden zu nerven. Der Wind schluckt alles.

Bis ich die erste Nachtschicht übernehmen durfte, musste ich erst wochenlang in Schulungen büffeln, wie das Navigationssystem funktioniert, wie ich den Radarschirm lese, worauf ich bei meinem Rundgang durch den Maschinenraum achten muss.

Ein Schiff ist ein eigenes kleines Universum. Jeder ist für jeden mitverantwortlich. Zu wissen, dass ich auf diese schlafenden Menschen aufpassen muss, ist auch ein schönes Gefühl. Es ist Teil des Deals, diese Schichten zu übernehmen. Nachtzuschlag gibt es nicht.

Nur ein einziges Mal geriet ich in eine brenzlige Situation. Ich sah auf dem Radar einen Riesentanker auf uns zukommen. Fehlalarm: Es war zum Glück nur eine dicke Wolke."

hae

Der Obst-Verlader: "Ich hasse meine Arbeit"

Warenpacker Güven: "Mein Schlafbedürfnis habe ich mir beinahe abtrainiert"

Warenpacker Güven: "Mein Schlafbedürfnis habe ich mir beinahe abtrainiert"

Foto: Mercedes Lauenstein

Ugur Güven, 28, Warenpacker in den Münchner Großmarkthallen

"Ich hasse meine Arbeit. Ich würde behaupten, dass die ganze Großmarkthalle ihre Arbeit hasst. Die Arbeit beginnt um drei Uhr morgens, jeden Tag, fünf Mal die Woche. Ich wohne in Augsburg und muss deshalb schon um zwei Uhr aufstehen um mit dem Zug nach München zu pendeln. Zum Glück habe ich zwei, drei Freunde, die auch im Großmarkt arbeiten. So können wir immerhin gemeinsam hin- und herfahren.

Dann geht's los: Ware aus den Lastern laden, in der Halle aufbauen. Und je nach dem, wie viel Obst und Gemüse der Kunde schließlich einkauft, packe ich die Ware dann wieder auf die Euro-Paletten, fahre sie mit dem Gabelstapler zu seinem Sprinter und schleppe alles hinein. Bis Mittags.

Ich laufe und laufe und ich schleppe und schleppe. Wie ein Blöder. Mit dem Intellekt hat das nichts zu tun, es ist reine Körperarbeit. Ein Freund von mir arbeitet bereits seit zehn Jahren hier, ich erst seit sechs Monaten.

Ich habe keinen Schulabschluss, weil ich in der Schule immer zu viel Mist gebaut habe. Eine Ausbildung habe ich auch nicht. Als ich vor einiger Zeit einen neuen Job suchte, bot mir mein Freund diesen an. Mir blieb nichts anderes übrig als zuzugreifen, es war ein Notfall. Ich hatte keine Lust auf Arbeitslosigkeit, denn ich arbeite gern. Hier verdiene ich 1700 Euro netto, das passt.

Mein Lebensrhythmus ist ungesund, nahezu zerstörerisch

Was soll ich sagen? Man macht es sich so angenehm, wie es eben geht. Die Gemeinschaft in den Großmarkthallen macht die Arbeit einfacher. Wir albern viel herum. Trotzdem ist es jeden Tag dieselbe Scheiße.

Mein Schlafbedürfnis habe ich mir mittlerweile beinahe abtrainiert. Ich will einfach nicht darauf verzichten, abends auszugehen, ich brauche die sozialen Kontakte. Mittags, nach der Arbeit kann ich aber auch nicht lange schlafen. Ich springe meistens nur schnell unter die Dusche und gehe dann wieder raus, um den Tag zu genießen. Besonders wenn das Wetter gut ist, kann ich gar nicht anders. Ich versuche mit Müh' und Not auf ungefähr fünf Stunden Schlaf am Tag zu kommen, damit ich nicht kaputt gehe. Oft sind es nur drei.

Mein Leben hat sich sehr verändert durch diesen Job. Ich bin meistens zu faul, nach der Arbeit noch richtig wichtige Dinge zu erledigen. Ich kriege es einfach nicht mehr hin. Ich bin antriebslos geworden. Meine Familie und meine Freunde finden es nicht gut, dass ich diesen Job mache. Die Beziehung zu meiner Freundin leidet massiv. Mein Lebensrhythmus ist ungesund, nahezu zerstörerisch. Die Natur will nicht, dass man nachts arbeitet. Ich habe Augenringe und sehe fertig aus."

mlau

Die Busfahrerin: "Die Kollegen von der Tagschicht beneide ich nicht"

Busfahrerin Kuklok: "Ich weiß von Kollegen, die schlecht schlafen, aber mir geht es gut"

Busfahrerin Kuklok: "Ich weiß von Kollegen, die schlecht schlafen, aber mir geht es gut"

Foto: Anja Tiedge

Sonja Kuklok, 46, Busfahrerin in Hamburg

"Ich arbeite ausschließlich nachts, weil das für mich nur Vorteile hat. In meiner Familie fehle ich nachts am wenigsten. Meistens komme ich morgens zwischen vier und sechs Uhr nach Hause und schlafe bis 13 Uhr. Mein Mann kümmert sich am Morgen um unsere beiden Töchter und macht sie für die Schule startklar. Wenn sie mittags nach Hause kommen, bin ich wieder wach, kann mit ihnen Hausaufgaben machen und mich mit ihnen beschäftigen.

Für mich ist das ideal. Bis vor sechs Jahren bin ich tagsüber gefahren. Damals habe ich meine Töchter kaum gesehen. Das wollte ich ändern. Dafür setzt man ja keine Kinder in die Welt. Heute arbeite ich sechs Nächte hintereinander, dann habe ich drei Tage frei.

Ich finde es viel angenehmer, nachts Bus zu fahren. Da ist es nicht so hektisch auf den Straßen wie tagsüber. Wenn ich morgens den Bus auf dem Betriebshof abstelle, beneide ich die Kollegen nicht, die in den Berufsverkehr rausmüssen.

Den Notruf-Knopf habe ich noch nie gebraucht

Angst, dass mir nachts was passieren könnte, habe ich nicht. Klar fahren oft Betrunkene mit, aber die wollen auch nur nach Hause. Problematischer sind Jugendliche in Gruppen. Einer von denen hat sich mal vor mir aufgebäumt, geschrien und mit der Faust auf die Kasse gehauen, als er mir seinen Fahrschein zeigen sollte. Da erschrickt man sich. Er hat sich aber doch noch besonnen, vielleicht auch, weil ich eine Frau bin.

Wenn es wirklich mal brenzlig werden sollte, habe ich einen Notruf-Knopf. Den habe ich aber zum Glück noch nie gebraucht. Es gibt auch Kameras und Mikrofone. Alles in allem fühle ich mich recht sicher.

Wenn ich morgens nach Hause komme, lege ich mich hin und schlafe sofort ein. Nur nach den drei freien Tagen bin ich manchmal bei der Arbeit etwas müde, aber das sind andere nach dem Wochenende ja auch. Ich weiß von ein paar Kollegen, dass sie schlecht schlafen oder gesundheitliche Probleme haben, aber mir geht es gut. Wer weiß, vielleicht ändert sich das in den nächsten Jahren; ich bin jetzt 46. Im Moment möchte ich aber mit niemandem tauschen."

ati

Der Schlafforscher: "Man sollte ein Drittel seines Lebens schlafen"

Schlafforscher Pilz: "Ich bin eine Eule"

Schlafforscher Pilz: "Ich bin eine Eule"

Foto: privat

Carsten Pilz, 40, Studienassistent im Schlaflabor der Berliner Charité

"Anderen beim Schlafen zuzuschauen wirkt langweilig. Aber ich schaue mit beruflichem Interesse, ich finde das spannend: zu beobachten, ob jemand ungewöhnliche Bewegungen macht, weil er schlafwandelt. Oder auf den Monitoren anhand der Hirnströme zu verfolgen, ob einer träumt oder tief schläft.

Mir persönlich kommt Nachtarbeit entgegen. Ich bin eher eine Eule, nachts bin ich produktiver - ganz früher Frühdienst ist für mich der Horror. Angefangen hat alles während meines Medizinstudiums: Dieser Nebenjob war ideal, ich konnte nachts arbeiten, tagsüber studieren, und wegen der Nachtzuschläge war er auch lukrativer als andere.

Mittlerweile arbeite ich hier fest, bin mitverantwortlich für die Studien hier im Schlaflabor. Ich weiß inzwischen, was ich tun muss, um gut durch die elf Stunden von 20 Uhr bis 7 Uhr zu kommen. Am besten ist, vorher richtig gut auszuschlafen oder sich noch einmal hinzulegen. Was immer hilft, ist, helles Licht anzuschalten, es sich bloß nicht gemütlich zu machen, sich öfter einmal hinzustellen. Und Kaffee ist im Krankenhaus sowieso ein probates Wachhaltemittel. In der Pause gibt es belegte Brote; bloß nichts Warmes essen, das belastet und man wird müde.

Wir haben auch Patienten mit dem sogenannten Schichtarbeitersyndrom. Das ist eine Krankheit; diese Menschen sind massiv schlafgestört. Wer im Dreischichtsystem arbeitet, kann oft nicht richtig ein- oder durchschlafen. Sie sind anfälliger für Herz- und Kreislauferkrankungen. Im schlimmsten Fall müssen sie ihren Beruf wechseln.

Weil ich das weiß, versuche ich, vorzubeugen. Wenn ich morgens von der Arbeit nach Hause komme, brauche ich zwei Stunden, um runterzukommen. Ich schaue dann meist fern, Hauptsache, ich muss mich nicht geistig betätigen. Und dann lasse ich im Schlafzimmer die Jalousie herunter, das muss sein, für die Schlafhygiene: Ich simuliere Nacht, damit mein Körper sich leichter darauf einstellen kann. Es heißt schließlich, man sollte etwa ein Drittel seines Lebens schlafen, um gesund zu bleiben."

hae

Der Rettungssanitäter: "Andere Paare sehen sich überhaupt nicht"

Rettungssanitäter Framberger: "Sieben Tage die Woche komplett Nachtdienst gemacht"

Rettungssanitäter Framberger: "Sieben Tage die Woche komplett Nachtdienst gemacht"

Foto: Mercedes Lauenstein

Christian Framberger, 43, Rettungssanitäter beim Roten Kreuz in München

"Ich habe eine Zwitterfunktion - einige Tage und Nächte bin ich im Fahrdienst unterwegs und andere im Bürodienst. Wir haben Blockdienst, das heißt: Sechs Tage am Stück, zwei früh, zwei spät, zwei Nacht. Und dann drei Tage frei. Das macht so sechs, sieben Nachtdienste im Monat.

Hört sich komisch an, aber: Man gewöhnt sich daran, dass man sich an diesen Rhythmus nicht gewöhnen kann. Es gibt einfach keine Konstante, an die man sich halten könnte. Wir haben zur Not einen Ruheraum hier, wo man sich mal für eine halbe Stunde hinlegen kann, wenn es dringend ist.

Mit zunehmendem Alter wird der Beruf schwieriger, denn man merkt plötzlich, dass der Körper nicht mehr ganz mitmachen will. Gerade wenn ich im Fahrdienst bin und die ganze Nacht pausenlos Einsätze gefahren werden, dann kommt um zwei, halb drei so ein toter Punkt, wo ich ein bisschen schlapp mache. Das war früher ganz anders.

Meiner jetzigen Freundin passt es natürlich gar nicht, dass ich Schichtdienst arbeite. Was aber auch daran liegt, dass sie nachts nicht gern allein ist. Letztlich glaube ich, dass gerade sie als Selbstständige durch meine wechselhaften Arbeitszeiten viel mehr von mir hat. Heute zum Beispiel hatte ich ja den ganzen Tag Zeit für sie, und auch im Frühdienst bin ich ja meistens schon um zwei Uhr nachmittags wieder zu Hause. Und im Spätdienst habe ich den ganzen Vormittag frei, da können wir richtig schön zusammen frühstücken.

Sieben Tage die Woche Nachtdienst, das ist hart

Von daher: Ist doch besser, als jeden Tag von acht Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags in einem Büro zu hocken, oder? Andere Paare sehen sich überhaupt nicht, die geben sich bloß die Klinke in die Hand - der eine kommt, wenn der andere geht. Da haben wir es ziemlich gut.

Ich glaube schon, dass jeder, der in diesem Beruf arbeitet, sich gut mit seinen Nachtschichten abfinden kann. Wer sich dafür entscheidet, als Rettungssanitäter zu arbeiten, der hat eine stark ausgeprägte soziale Ader und will bedingungslos helfen. Verdienen tut man ja nun wirklich nicht gut. Es geht bloß um die gute Tat.

Viele geraten auf Umwegen hierher, die haben dann vorher etwas ganz anderes gearbeitet. Ich allerdings kenne nichts anderes, ich war schon als Jugendlicher beim Roten Kreuz. Es gab sogar Zeiten, da habe ich sieben Tage die Woche komplett Nachtdienst gemacht. Über Wochenenden und über Feiertage. Aber das ist schon hart. Vor allem im Winter, wenn man wochenlang kaum Tageslicht zu Augen bekommt. Das ist nicht gesund, das kann man nicht für immer machen.

So wie es jetzt ist, ist es schon besser. Meinem Alter, meiner Beziehung und auch meiner zwölfjährigen Tochter aus erster Ehe zuliebe. Die Arbeitspläne werden über das ganze Jahr gelegt, da steht jeder einzelne Dienst schon fest. Da klappt es nicht immer, dass ich die Feiertagsdienste noch drehen kann. Aber meine Tochter kennt das eigentlich gar nicht anders, die ist damit ja aufgewachsen, dass der Papa auch zu den unmöglichsten Zeiten arbeitet."

mlau

Der Zeitungsdrucker: "Jede Nacht ist ein Lottospiel"

Produktionssteuerer Schulze: "Diese Adrenalinstöße brauche ich"

Produktionssteuerer Schulze: "Diese Adrenalinstöße brauche ich"

Foto: Anne Haeming

Helmut Schulze, 63, Leiter der nächtlichen Zeitungsproduktion beim "Südkurier" in Konstanz

"Heute wusste ich schon seit Schichtbeginn, dass sich unser Zeitplan nach hinten verschieben wird: Gerade läuft noch ein Champions League-Spiel, den Bericht darüber will die Redaktion noch in der morgigen Ausgabe haben, deshalb ist der Andruck erst um 23 Uhr - eine Stunde später als sonst.

Wir produzieren hier nachts 17 Ausgaben, die werden bis in den Schwarzwald geliefert. Jede Nacht ist wie ein Lottospiel: Wenn eine Papierbahn reißt, muss das natürlich erst wieder in Ordnung gebracht werden, das dauert schon einmal eine Stunde. Diese Adrenalinstöße brauche ich. Offiziell endet meine Schicht um 2 Uhr, aber ich habe meiner Frau morgens auch schon Brötchen mitgebracht. Und die druckfrische, warme Zeitung sowieso.

Seit 41 Jahren arbeite ich hier in der Druckerei im Schichtbetrieb - meine Freunde kennen es gar nicht anders, planen um die Nachtschichten herum. Mittlerweile leite ich die Produktion. Von 1973 bis 1980 war ich Maschinensetzer, damals hatte ich drei Schichten, im Wochenrhythmus; von 6 bis 14 Uhr, von 14 bis 22 Uhr und von 22 bis 6 Uhr morgens.

Ewige Mahnung: Pscht, der Papa schläft

Das war die härteste Phase: Wenn ich morgens nach Hause kam, tobte überall das pralle Leben - und ich sollte schlafen. Am besten waren diese langen Nachtschichten noch im Sommer: Da sind wir alle nach der Arbeit morgens zum See gefahren und haben eine Runde gebadet.

Für meine Familie war das auch anstrengend, dauernd musste meine Frau zu den Jungs sagen: Pscht, der Papa schläft.

Unterm Strich zählen für mich aber die Vorteile. Anders als andere Väter hatte ich mehr Zeit für meine Familie, ich war schließlich da, wenn die Kinder aus der Schule kamen. Und man darf den Nachtzuschlag nicht vergessen, da kamen gut ein Drittel Gehalt steuerfrei dazu.

Um das körperlich durchzuhalten, habe ich zum Ausgleich immer viel Sport gemacht. Und seit neuestem versuche ich auch, mich nachts gesünder zu ernähren, habe belegte Brote dabei, Äpfel, Karotten. Ich habe mir vorgenommen: Eine ganze Tafel Schokolade ist Tabu. Auch wenn ich im Stress bin."

hae

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