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Vorstellungsgespräch Bewerber reden jetzt mit dem Computer

Erste Firmen experimentieren mit Software, die anhand von Wortwahl und Stimmlage erkennen soll, ob Bewerber motiviert oder belastbar sind. Karriereberater Matthias Martens über die Fallstricke von Sprachproben.
Allein mit Einsen und Nullen

Allein mit Einsen und Nullen

Foto: © Kacper Pempel / Reuters/ REUTERS

Stellen Sie sich vor, Sie bewerben sich auf eine Stellenausschreibung und anstatt zu einem persönlichen Vorstellungsgespräch zu fahren, telefonieren Sie 15 Minuten mit einem Computer. Er stellt Ihnen Fragen, analysiert Ihre Wortwahl, Satzstruktur und Stimme mithilfe komplexer Algorithmen - und entscheidet dann, ob Sie in die nächste Auswahlrunde kommen.

Was utopisch klingt, ist schon Realität. Ein Unternehmen aus Aachen hat zusammen mit Psychologen und Informatikern eine solche Software entwickelt. Bewerber beantworten am Telefon 15 Minuten lang Fragen des Computers, zum Beispiel nach ihren Hobbys, einem typischen Sonntag, besonders schönen Erlebnissen oder Sorgen der vergangenen Wochen.

Daraus, wie viele Verben oder Adjektive sie benutzen, wie schnell oder laut sie sprechen und wie oft sie stocken, schließt die Software auf Eigenschaften wie Neugier, Risikofreude, Motivation oder Belastbarkeit. Während Wissenschaftler noch über die Genauigkeit der Analyseverfahren streiten, testen einige Großunternehmen die Technologie bereits.

Als Bewerber geraten Sie in ein Dilemma, wenn Sie um eine Sprachprobe gebeten werden. Lehnen Sie diese ab, müssen Sie befürchten, dass Ihre Bewerbung still und heimlich aussortiert wird. Was also tun?

Wenn es Ihren Werten grundsätzlich widerspricht, von einem Computer vermessen zu werden, sollten Sie Ihre Bewerbung zurückziehen. Der Rekrutierungsprozess sagt einiges über die Unternehmenskultur aus, und Sie werden damit früher oder später in Konflikt kommen. Ersparen Sie sich das.

Aber auch wenn Sie innovativen Techniken gegenüber aufgeschlossen sind, sollten Sie vorsichtig sein. Einige Forscher arbeiten bereits daran, feinste Auffälligkeiten der Stimmfarbe und Sprachmelodie für die Burn-out-Früherkennung zu nutzen. In den Händen eines fachkundigen Arztes wäre das für die Diagnostik ein Meilenstein. Doch wehe, solche Informationen geraten in unbefugte Hände.

Die Software öffnet einen Zugang zur Ihrer Gefühlslage und Persönlichkeit, den kaum ein Personalchef im normalen Vorstellungsgespräch erlangen würde. Lassen Sie sich deshalb genau darüber aufklären, welche Informationen analysiert werden und wie Sie darüber ein Feedback erhalten. In jedem Fall ist es ratsam, der dauerhaften Speicherung der Daten zu widersprechen.

Keinesfalls sollten Sie sich unter Druck einem solchen Verfahren beugen. Unterschwellige Ängste und hohe Anspannung verzerren wahrscheinlich ohnehin das Analyseergebnis zu Ihrem Nachteil. Machen Sie sich klar, dass es für Sie auch immer andere Optionen gibt als diesen einen Arbeitgeber. Und am Ende entscheidet die Akzeptanz bei den Bewerbern, ob sich derartige Verfahren am Markt durchsetzen - oder die Personalarbeit auch zukünftig von Menschen gemacht wird.

Zum Autor

Matthias Martens, Jahrgang 1964, war zehn Jahre Personalleiter im Otto-Konzern, bevor er sich 2006 für die Selbstständigkeit entschied. Heute begleitet der Inhaber einer Outplacementberatung  als Berater und Coach vor allem Menschen in der Lebensmitte, die sich beruflich neu orientieren wollen oder müssen. Alle Kolumnen von Matthias Martens  Mail an den Coach 

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