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Co-Working für Dienstleister Die Halle der Friseure

Gemeinschaftsräume zum Arbeiten finden Laptoparbeiter fast überall. In Hannover können auch Friseurinnen, Therapeuten und Sporttrainer sich stunden- oder tageweise in einem Co-Working-Space einmieten. Klappt das?
Halle für Haarkünstler: Der Salon ist auch als Veranstaltungsort beliebt

Halle für Haarkünstler: Der Salon ist auch als Veranstaltungsort beliebt

Foto: Maren Hoffmann / DER SPIEGEL

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Üppige Sofas aus türkisem Samt. Ein überlebensgroßes Pfauenbild. Leise wabernde Musik, Kaffeeduft, frischer Kuchen an der Empfangstheke. Im Foyer des »Bäm!« in Hannover ist alles auf Wellness ausgelegt. Die Kunden sollen sich wohlfühlen. Und Kunden sind alle, die hierherkommen – auch die, die hier arbeiten: das Bäm! ist ein Co-Working-Space, in den man sich stunden- oder tageweise einmieten kann, sieben Tage in der Woche von 8 bis 22 Uhr. Das Besondere: Hier steht nicht Schreibtisch an Schreibtisch, sondern Dienstleister teilen sich den Platz – Friseurinnen, Masseure, Kosmetikexpertinnen, Sporttrainer, Therapeutinnen.

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Das Konzept ist in Deutschland neu. Zwar können selbstständige Friseure sich auch in Friseursalons einen Stuhl mieten, aber das geht oft nur längerfristig. Im Bäm! gibt's den auch stundenweise und ganz spontan. Außerdem gibt es Dienstleistungen für die Dienstleister: Wäscheservice für Handtücher und Auflagen, Duschen für die Kunden. Ein Shop im Eingangsbereich verkauft Haarfarbe und andere Kosmetikprodukte, das kleine Café bietet außer Kuchen auch Snacks, Focaccia und Kokos-Gemüsecurry an. Der Kaffee (Marke: »Starker Tobak«) kommt aus einer eigenen Rösterei der Familie Tabel, die den Co-Working-Space betreibt. Die rund 3000 Mitarbeiter starke Tabel Gruppe leistet sich das Bäm! als kleines Experiment neben dem Hauptgeschäft, in dem sie den Schwerpunkt auf Zeitarbeit und Personalberatung, Industriereinigung und Outsourcing legt.

»Die Idee kam mir, als ich mal an einem Friseursalon vorbeigefahren bin«, erzählt Rüdiger Tabel. »Der war leer, keine Kunden in Sicht – und die Ressourcen lagen einfach brach. Da habe ich gedacht: Warum nicht so etwas größer denken und Arbeitsplätze vermieten? Für junge Selbstständige ist es vielleicht gar nicht schlecht, das eigene Geschäft langsam und ohne Risiko aufbauen zu können. Am Anfang ist es ja meist erst einmal unwirtschaftlich, einen eigenen Laden zu betreiben.«

An diesem Dienstag ist im Bäm! wenig los. Hinten im Friseursalon, der mit seiner hohen Decke und 19 Plätzen eher eine Frisierhalle ist, ist eine einzige Haarkünstlerin tätig. Auch die Sporträume sind noch leer, nur einige Kosmetik- und Therapiekabinen mit Behandlungsliegen sind belegt. Storemanagerin Silke Tabel, die Schwester von Rüdiger Tabel, hat Zeit für einen Kaffee. Die Schmerztherapeutin nutzt das Co-Working-Angebot auch selbst, um ihre eigenen Patienten zu behandeln.

»Ich habe vor einiger Zeit am Bodensee gelebt. Und bin andauernd zwischen verschiedenen Orten gependelt«, erzählt sie. »Meinen Beruf hatte ich quasi im Gepäck und habe meine Patientinnen oft bei Hausbesuchen behandelt, weil es nicht anders ging. Das hat den Gedanken mit ins Rollen gebracht: Als Schmerztherapeutin brauche ich eigentlich nur eine Behandlungsliege, einen abgeschlossenen Raum und ein oder zwei Geräte. Es wäre ideal gewesen, wenn ich mich einfach vor Ort in einer geeigneten Räumlichkeit hätte einmieten können, statt jeden Klienten einzeln zu besuchen.« Ihr Hauptwohnsitz ist Bayreuth, aber mindestens alle zwei Wochen kommt sie nach Hannover.

Shop im Bäm!: Dienstleistung für die Dienstleister

Shop im Bäm!: Dienstleistung für die Dienstleister

Foto: Maren Hoffmann / DER SPIEGEL

750 Quadratmeter in Innenstadtlage an der Lister Meile hat der Co-Working-Space: Drei größere Sporträume, sechs Kosmetikkabinen und den Großraum-Frisiersalon. Auch einige ungewöhnliche Dienstleister mieten sich hier regelmäßig ein: »Abnehmen im Liegen« etwa, ein Lizenzgeschäft, das verspricht, mit Strom, Ultraschall und Wärme Fettzellen den Garaus zu machen; oder eine »zertifizierte Spezialistin«, die »natürliche Lösungswege der Haarwuchsaktivierung« anbietet.

»Die Suche nach geeigneten Räumen in Hannover hat bestimmt zwei Jahre gedauert«, erinnert sich Silke Tabel. »2019 waren wir dann endlich so weit – und dann kam die Pandemie. Wir haben im Sommer 2020 trotzdem eröffnet, mitten in der Coronazeit.« Das Projekt sei ein komplett neuer Ansatz. »Für Büroberufe gibt es ja schon seit über 30 Jahren Co-Working-Spaces. Für Dienstleister nicht. Wir haben das von Anfang an auch als offenen Lernprozess verstanden. Meine Aufgabe in der Anfangszeit war, zu recherchieren, was die einzelnen Berufe brauchen. Welche Dienstleistungen bieten Kosmetikerinnen an? Was brauchen die an Apparaten? Was wollen Friseurinnen zusätzlich zu den Geräten haben, die jede selbst mitbringt? Zum Teil sind das dann nur Kleinigkeiten, die aber wichtig sind: Kosmetikerinnen etwa brauchen eine Klingenbox, um ihre Skalpelle für die Fußpflege sicher und hygienisch aufbewahren zu können.«

In wechselnden Rollen vor Ort: Die gelernte Friseurin, Visagistin und Stylistin Jasmin Behal mietet sich im Bäm! immer mal wieder einen Friseurstuhl oder eine Kosmetikkabine

In wechselnden Rollen vor Ort: Die gelernte Friseurin, Visagistin und Stylistin Jasmin Behal mietet sich im Bäm! immer mal wieder einen Friseurstuhl oder eine Kosmetikkabine

Foto: Maren Hoffmann / DER SPIEGEL

Die Unverbindlichkeit ist ein zentraler Aspekt des Geschäftsmodells. »Was auch immer passieren kann in einem Leben – man kommt einfach wieder raus und kann auch einfach mehr oder weniger arbeiten, wie es halt gerade passt. Manche probieren sich hier aus, um herauszufinden, ob die Selbstständigkeit etwas für sie ist. Aber es gibt auch etliche, die das Bäm! als zweites Standbein nutzen.«

Eine von ihnen ist die 31 Jahre alte Friseurmeisterin Katja Voigtländer. »Ich habe mich im Oktober selbstständig gemacht«, erzählt sie. »Mein Businessplan sah eigentlich vor, dass ich auf einen eigenen Salon hinarbeite. Aber das ist mir jetzt gar nicht mehr so wichtig: Hier zu arbeiten, ist eigentlich die günstigste und coolste Variante, frei zu arbeiten, ohne mir gleich fünfstellige Schulden ans Bein zu binden. Träume kann man auch klein aufbauen. Irgendwann will ich schon einen eigenen Salon haben, aber für den Moment möchte ich nirgendwo anders hin.«

Storemanagerin Silke Tabel

Storemanagerin Silke Tabel

Foto: Maren Hoffmann / DER SPIEGEL

Dass das Konzept so gut funktioniert, hat sie selbst überrascht. »Als ich das erste Mal davon gehört hatte, habe ich mich gefragt: Wer will denn da hin? Ich hatte Schwierigkeiten, mir das vorzustellen. Aber die Alternative wäre es, einen eigenen Stuhl in einem Salon zu mieten. Da ist man dann aber immer an dessen Öffnungszeiten gebunden. Im Bäm! kann ich Termine bis 22 Uhr machen. Schon morgens um neun anzufangen, ist nicht mein Ding. Ich arbeite lieber später, und meine Kunden wissen das zu schätzen.«

Ihr gefällt, dass verschiedene Branchen vor Ort sind: »Wir arbeiten zwar nicht zusammen, aber wir kennen und unterstützen einander. Es können auch Kooperationen entstehen, das versucht Bäm! auch sehr zu unterstützen, zum Beispiel Friseurinnen mit Kosmetikerinnen.«

Joshua Pasch, 29 Jahre, medizinischer Bademeister und Masseur, arbeitet seit anderthalb Jahren im Co-Working-Space. »Für mich ist es wichtig, flexibel zu sein«, sagt er. »Ich sehe das als gute Startmöglichkeit, während ich meine eigene Praxis aufbaue. Ich bin nebenbei auch weiter hier, biete Wellnessparties an oder Junggesellinnenabschiede mit Massagen. Für solche Events sind die Räume ideal, weil sie auch repräsentativ sind und die Lage so zentral. Verglichen mit normalen Gewerbemieten ist es schon eher teuer, aber dafür zahlt man eben auch nur die Zeit, die man hier ist, und hat keinen Leerlauf. Das macht den Preis wett. Ein Problem ist allerdings die Akustik: Die Behandlungs- und Sporträume haben offene Decken, wenn dann nebenan ein Kickboxing-Workshop stattfindet, kann es schon mal lauter werden.«

Knapp zehn Euro Stundenmiete

Der Stundensatz für die Miete liegt bei knapp zehn Euro für Kabinen und Stühle. Die Sporträume kosten, je nach Größe, mehr. Wer mindestens sechs Stunden in der Woche da ist, bekommt ab der zweiten Woche 10 Prozent Rabatt, wer 30 Stunden pro Woche kommt, zahlt ein Drittel weniger als den Vollpreis. »Wir merken einen schönen Zuwachs, aber bei den Friseuren ist noch sehr viel Raum«, bilanziert Silke Tabel. »Derzeit kommen neun relativ regelmäßig. Fast täglich registrieren sich neue Interessenten in der App. 430 sind es mittlerweile. Die Kosmetikkabinen sind oft zu 90 Prozent ausgebucht. Der Friseursalon wird am Wochenende gern für Veranstaltungen oder Schulungen gebucht.«

Für die Community gibt es ab und zu Veranstaltungen – etwa Tipps von einer Marketingagentur oder auch themenbezogene Events für Friseure. Viele der Mieter wissen die Öffentlichkeitsarbeit zu schätzen, besonders auf Instagram ist der Co-Working-Space aktiv. Allerdings, das sagen einige, fehle ihnen die Laufkundschaft. Das Bäm! liegt zwar zentral, aber im Hinterhof, Werbemöglichkeiten für die Mieter gibt es im Außenbereich kaum.

Rüdiger Tabel sieht das Bäm!, in das die Tabel Gruppe einen »größeren sechsstelligen Betrag« investiert habe, als Prototyp – und hat schon andere Städte im Visier. »Hannover ist vielleicht auch nicht die beste Stadt für ein solches Konzept – aber hier ist unsere Firma halt vor Ort. Im Grunde wären Düsseldorf, Hamburg, Berlin oder München aber prädestiniert für unser Konzept. Eine Lernkurve für mich war, dass Parkplätze gar nicht so wichtig sind, wie ich als Autofahrer immer gedacht hatte. Unsere Kundschaft kommt meist mit dem Fahrrad oder dem Nahverkehr. Der ÖPNV ist viel wichtiger als Parkplätze.«

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