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Gefragte Studienabbrecher Lieber Lehrling als Lehrer

Es fehlte nur ein Semester: Kurz vor dem Abschluss schmiss Thomas Müller sein Lehramtsstudium und bewarb sich um einen Ausbildungsplatz als IT-Systemkaufmann - mit Erfolg. Denn weil ihnen Azubis fehlen, buhlen viele Unternehmen um Studienabbrecher.
Aufstieg nach Abbruch: Azubi Thomas Müller (r.) mit seinem Chef Lars Wolfram und Personalerin Sonja Johanna Döring

Aufstieg nach Abbruch: Azubi Thomas Müller (r.) mit seinem Chef Lars Wolfram und Personalerin Sonja Johanna Döring

Foto: Sebastian Kahnert/ dpa

Thomas Müller stand schon kurz vor dem Ziel. Sechs von sieben Semestern hatte der damals angehende Realschullehrer aus Friedrichshafen studiert und Praktika gemacht. Je häufiger er aber vor einer Klasse stand, desto mehr stellte er fest: "Erziehung ist nicht so mein Ding." Er brach sein Studium ab und machte sich auf die Suche nach einem Ausbildungsplatz.

Der heute 28-Jährige stieß auf den Beruf des IT-Systemkaufmanns. Bei der Internetagentur Synergetic Agency hatte seine Bewerbung Erfolg. Das Scheitern im Studium sieht sein Chef Lars Wolfram nicht als Makel. "Es ist besser festzustellen, wann man etwas abbrechen muss", sagt er.

Müller ist kein Einzelfall. Bei Bachelor-Studenten liegt die Abbrecherquote nach Daten des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) bei 28 Prozent. In technischen oder mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern sind die Anteile tendenziell höher. Absolute Zahlen nennt das DZHW nicht. Bundesweit wird die Zahl der Studienabbrecher jährlich auf 100.000 geschätzt.

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Bislang gibt es aber nur einzelne Firmen oder Modellprojekte, die sich auf Abbrecher spezialisiert haben. Belastbare Zahlen über deren Vermittlungserfolg gibt es noch nicht. Insbesondere Absolventen aus mathematischen, technischen, naturwissenschaftlichen und Ingenieursfächern würden händeringend gesucht, sagt Julia Flasdic, Leiterin des Referats Hochschulpolitik beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). "Gleichzeitig haben wir einen zunehmenden Mangel an Auszubildenden." Entsprechend fehlten zunehmend Fachkräfte mit beruflicher Bildung.

Doppelt so schnell zum Abschluss

Ehemalige Studenten für eine Ausbildung gewinnen - das Thema geht man bei der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen inzwischen systematisch an. Thomas Hissel, stellvertretender Leiter der dortigen Wirtschaftsförderung, hat 2011 das Projekt Switch ins Leben gerufen. "Wir verkürzen die Ausbildung um die Hälfte der Ausbildungszeit", erklärt Hissel. "Das ist die maximal zulässige Zeit." Um das zu gewährleisten, findet die Berufsschule unter anderem abends statt - bislang für die drei Berufsbilder Fachinformatiker, Industriekaufmann und Mechatroniker. Die Initiative bemüht sich aber aktuell um neue Fördergelder. Voraussetzung sei, dass Industrie- und Handelskammern, Berufskollegs und auch Hochschulen an einem Strang ziehen, so Hissel.

Um für sich zu werben, ist die Initiative auf Ausgeh-Meilen unterwegs. "Nicht alle Studienabbrecher lesen Zeitung", sagt Hissel. Eine weitere Herausforderung sieht DIHK-Expertin Flasdic im neuen gesetzlichen Mindestlohn: "Viele Abbrecher jobben dann vielleicht lieber auf Basis der 8,50 Euro, obwohl eine berufliche Ausbildung die bessere Perspektive bringt", sagt sie.

Abbrecher seien häufig motivierter

Synergetic-Chef Wolfram, der den Fast-Lehrer Thomas Müller eingestellt hat, hält Quereinsteiger insbesondere für IT-Unternehmen für besonders wertvoll. Die Branche sei einem so schnellen Wandel unterworfen, dass es nur gut sei, wenn Bewerber schon bewiesen hätten, dass sie mit Veränderung positiv umgehen. Außerdem hat er festgestellt, dass die Abbrecher häufig motivierter und loyaler sind.

Müller kann sich jedenfalls gut vorstellen, auch nach seiner Ausbildung im kommenden Jahr weiter für seine Firma zu arbeiten. Schule spielt in Müllers Leben nach wie vor eine Rolle - seine Freundin ist Lehrerin. Für ihn ist das Thema aber "komplett abgeschlossen", sagt er.

Annika Graf, dpa/pas
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