
Tipps von der Karriereberaterin Der Job ist wohl schon vergeben – soll ich mich trotzdem bewerben?


Bei Stellenausschreibungen ist oft zu hören, dass sie unter der Hand schon besetzt sind: Wie soll man damit umgehen?
Illustration: Klaus Vedfelt / Digital Vision / Getty ImagesAndré, 35 Jahre, fragt: »Mein Chef wird das Unternehmen verlassen. Ich bin seit fünf Jahren in dem Bereich tätig und traue mir zu, seine Aufgabe zu übernehmen. Es wäre meine erste Führungsrolle. Die Stelle ist jetzt intern ausgeschrieben. Über den ›Flurfunk‹ habe ich jedoch gehört, dass wohl aus einem anderen Bereich im Unternehmen schon ein Nachfolger auserkoren ist. Soll ich mich trotzdem bewerben?«
Lieber André,
schön, dass Sie sich beruflich weiterentwickeln wollen. Da Sie ja bereits über einen längeren Zeitraum in dem Bereich arbeiten, haben Sie sicherlich eine Vorstellung davon, welche Schwerpunkte die Position Ihres bisherigen Chefs hat.
Checken Sie das Anforderungsprofil
Sie schrieben, dass die Stelle jetzt auch intern ausgeschrieben ist. Daher wäre es zunächst sinnvoll, wenn Sie das beschriebene Anforderungsprofil mit Ihrer Einschätzung einmal abgleichen. Sprich: Deckt sich Ihr Bild der Stelle mit dem, was jetzt gesucht wird? Ich empfehle Ihnen dies, da oftmals aus der Perspektive eines Mitarbeiters eine Position etwas anders wahrgenommen wird. Ferner kann es auch sein, dass mit der Neubesetzung die Ausrichtung der Stelle modifiziert werden soll. Da es Ihre erste Führungsaufgabe wäre, heißt es, sich eines sehr bewusst zu machen: dass sich mit dem Wechsel der Fokus Ihrer Arbeit deutlich verändern würde. Nicht mehr die inhaltliche Bearbeitung von Sachthemen steht dann im Vordergrund, sondern Managementaufgaben und vor allem Menschenführung.
Haben Sie Führungserfahrung?
Um besser einschätzen zu können, ob Sie an dieser Art von Aufgaben Freude haben, wäre es sehr hilfreich, wenn Sie bereits in anderen Lebensbereichen schon erste Führungserfahrung sammeln konnten. Waren Sie Jugendleiter im Sport oder bei den Pfadfindern? Haben Sie schon mal im privaten Kontext ein Projekt geleitet, bei dem mehrere Personen eingebunden waren? Welche Rolle nehmen Sie im Freundeskreis ein? Sind Sie eher zurückhaltend abwartend oder derjenige, der die Freizeitaktivitäten der Gruppe in die Hand nimmt und andere mitreißt? Dies alles können gute Indikatoren sein, ob das Führen eines Teams für Sie der richtige Weg ist. Sie helfen Ihnen auch in der Argumentation, wenn Sie sich auf die Stelle bewerben möchten.
Doch Ihre Frage richtete sich ja in erster Linie darauf, ob es überhaupt sinnvoll ist, sich zu bewerben, wenn bereits eine andere Besetzung so gut wie beschlossen ist.
Nicht auf die Gerüchteküche verlassen
Hier sollten Sie sich nicht zu sehr auf die Gerüchteküche verlassen. Vielleicht hat jemand von den Kollegen oder Kolleginnen selbst Interesse an der Position und möchte damit anderweitige Bewerbungen verhindern? Viel wichtiger ist aus meiner Sicht, dass Sie sich klar darüber sind, was Sie wollen, dass Sie sich die Aufgabe zutrauen und gute Argumente haben, was Sie dafür mitbringen.
Zeigen Sie Flagge
Wenn es Sie nach diesen Überlegungen reizt, jetzt den nächsten Karriereschritt zu tun, sollten Sie sich auf jeden Fall bewerben. Denn mit der Bewerbung zeigen Sie Flagge und signalisieren, dass Sie sich beruflich weiterentwickeln möchten. Selbst wenn sich dann im direkten Auswahlvergleich jemand anderes durchsetzen sollte, haben Sie sowohl gegenüber dem nächsthöheren Vorgesetzten wie auch der Personalabteilung signalisiert, dass Sie für weiterführende Aufgaben zur Verfügung stehen und diesen nächsten beruflichen Schritt gehen möchten.
Gibt es ein Assessment-Center?
Zahlreiche Unternehmen führen bei der Besetzung von Führungspositionen sogenannte Assessment-Center (AC) durch. Anhand vorgegebener Situationen wird das Verhalten der Kandidatinnen und Kandidaten im Hinblick auf die Anforderungskriterien einer Stelle beobachtet und dann bewertet. Sofern Ihr Unternehmen ein solches Verfahren durchführt, sollten Sie sich gut darauf vorbereiten. Das Feedback aus einem AC zeigt Ihnen, wie Sie und Ihr Verhalten in diesen konkreten Situationen wahrgenommen wurden. Dies kann auch Ihr Selbstbild abrunden oder Ansatzpunkte liefern, wo Sie gegebenenfalls noch an sich arbeiten können. Ein positiv bewertetes AC hilft ferner, bei der Besetzung zukünftiger Führungspositionen berücksichtigt zu werden. Denn das Ergebnis wird häufig für einen gewissen Zeitraum als Eignungsgrundlage für eine mögliche Führungsposition herangezogen.
Zeigen Sie Interesse an Weiterqualifizierung
Da Sie beruflich bisher nicht über Führungserfahrung verfügen, ist es in jedem Fall sinnvoll, dass Sie Ihr Interesse an Weiterqualifizierung im Hinblick auf Ihre Führungskompetenz bekunden. Dies kann sowohl Trainings betreffen wie auch die Übernahme von Führungsverantwortung im Rahmen eines Projekts. Je mehr Sie sich mit dem Thema beschäftigen und Erfahrung sammeln, desto klarer schärfen Sie Ihr Profil und dokumentieren Ihren Wunsch, Führungskraft zu werden.
Also gehen Sie die Sache beherzt an. Ich drücke Ihnen die Daumen.