
Großraumbüros: Die Kollegen so nah
Bürowelten Wenn Beamte um ihre Einzelzellen bangen
Im Erdgeschoss der Hamburger Finanzbehörde läuft eine kleine Revolution. Sie besteht aus höhenverstellbaren Schreibtischen, einem neuen Teppich, dazu eine Sitzecke und Trennwände, die Geräusche dämpfen sollen. Finanzsenator Peter Tschentscher will, dass seine Verwaltungsmitarbeiter enger zusammenrücken: Weg von den Einzelzellen - in den neuen Büros sollen mehrere Mitarbeiter arbeiten. In der Privatwirtschaft ist das längst üblich. Mittelständler haben umgerüstet, der ADAC, Konzerne wie Siemens, O2 oder die HypoVereinsbank auch.
Im Beamtenkosmos sind große Büroeinheiten noch immer die Ausnahme und Einzel- oder Zweierzimmer üblich. Jetzt soll ein Musterbüro für sieben Mitarbeiter zeigen, wie schön so eine Arbeitsumgebung sein kann. Das Personal reagierte zurückhaltend. "Einige haben sich gefragt, warum sie jetzt mit anderen zusammenziehen müssen", sagt Daniel Stricker, Sprecher des Hamburger Finanzressorts. Doch so könne man Miete sparen und Stellen sichern; das würden die Kollegen verstehen. "Flächenoptimierung" heißt das Projekt - manche kürzen es ab mit "Flop" und mosern über "Käfighaltung" auf zu kleinen Flächen.
Kein Anspruch aufs Einzelzimmer
Die Mitarbeiter könnten nichts tun gegen ihre Umsiedlung in Gruppenarbeitsräume, sagt Rudolf Klüver vom Hamburger Beamtenbund. Nur wo es um sensible Daten von Bürgern gehe, etwa in Sozialämtern, seien Großraumbüros undenkbar, damit Informationen geheim bleiben. Sonst aber gebe es "keinen Rechtsanspruch auf Unterbringung in einem Einzelzimmer", so Klüver.
Das zeigte jetzt auch ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg: Ein Professor, der zwei Jahrzehnte lang im Einzelbüro an der Hochschule Furtwangen saß, wehrte sich dagegen, ein neues Zimmer fortan mit einem Kollegen teilen zu müssen. Die Richter aber sahen ein nahezu uneingeschränktes Ermessen des Dienstherren bei der Zuweisung von Räumen.
Rudolf Klüver glaubt nicht daran, dass sich Gruppenarbeitsräume in Behörden oder Ministerien durchsetzen. Er spricht von Augenwischerei: "Es wird Jahre dauern, bis Großraumbüros eingerichtet sind. Bis dahin haben vielleicht andere Konzepte, wie die Arbeit von zu Hause aus, an Bedeutung gewonnen."
Wie die Normalarbeitsplätze der Zukunft aussehen werden, weiß niemand präzise. Flexiblere Arbeit im Home Office galt als großer Trend, inzwischen jedoch rufen manche Großunternehmen ihre Angestellten zurück in die Firma. Andere experimentieren längst mit Großraumbüros ohne feste Plätze: Morgens schnappt man sich einen Rollcontainer plus Notebook und sucht sich einen freien Schreibtisch. Die individuelle Arbeitsplatzgestaltung bleibt da auf der Strecke.
Aus dem Großraum muss man flüchten können
Klar scheint aber: Der Trend geht eher weg von der Eremitage und "hin zu größeren Einheiten", sagt Hendrik Hund vom Verband Büro-, Sitz- und Objektmöbel. Das erleichtere die Zusammenarbeit in Teams, "fest verbaute Wände sind da meist hinderlich".
Kommunikation gelingt einfacher, wenn man nicht erst an Türen klopfen muss - aber Großraumbüros reduzieren auch die Rückzugsmöglichkeiten. Dafür braucht es Ruheecken und Einzelbüros, wo Mitarbeiter über knifflige Aufgaben grübeln können. Denn nicht jeder arbeitet produktiv und zufrieden, wenn die lieben Kollegen ihn ständig sehen und hören können. "Unfreiwilliges Mithören von Gesprächen und Telefonaten anderer kann sich ausgesprochen negativ auf das Wohlbefinden und die Produktivität der Beschäftigten auswirken", so Hendrik Hund.
Unternehmen werden bei der Bürogestaltung vor allem durch die Arbeitsstättenverordnung und ähnliche Richtlinien oder Gesetze eingeschränkt. Behörden sind eine besondere Welt. So gelten für Bundes- und Landesministerien Raumnormen der sogenannten Richtlinie Bau. Sie legen genau fest, wie groß die Büros der Mitarbeiter sein dürfen - je wichtiger der Posten, je größer die Verantwortung, desto größer und schöner die Büros.
Alles voll mit Statussymbolen
In Nordrhein-Westfalens Staatskanzlei zum Beispiel teilen sich je zwei Sekretärinnen ein 24-Quadratmeter-Büro. SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft logiert derweil auf 71,92 Quadratmetern, das entspricht einer soliden Drei-Zimmer-Wohnung. Von Bundesland zu Bundesland, es lebe der Föderalismus, können die Vorgaben recht unterschiedlich ausfallen.

Grünzeug im Büro: Meine kleine, vertrocknete Pflanze
Penibel festgelegt sind die Höchstflächen in Bundesbehörden, Abweichungen davon im Einzelfall möglich. So sind für Schreibkräfte in Gruppenräumen jeweils sechs Quadratmeter vorgesehen; für Sachbearbeiter in Einzelzimmern sind es zwölf qm. Und so geht es weiter karrieretreppauf, wie eine Übersicht des Bundeswirtschaftsministeriums zeigt: Referenten in Bundesbehörden bekommen 18 qm, Abteilungsleiter 36 qm, Minister und Staatssekretäre 42 bis 48 Quadratmeter.
In der Wirtschaft ist die Arbeitswelt nicht so durchnormiert. Klar erkennbare Hierarchien gibt es trotzdem: Größe und Lage des Büros, Zahl der Fenster, Wert von Schreibtisch, Schränken und Gemälden - all das gilt ebenso als Statussymbol wie der Firmenwagen oder das Diensthandy.
Unternehmen experimentieren mehr als Behörden
Geschäftsführer können ihr Büro durchschnittlich mit 15.300 Euro ausstatten; Angestellten stehen 4400 Euro zu, wie eine Studie der "Creativen Inneneinrichter" aus dem Jahr 2006 ergab. Mit im Schnitt 33 Quadratmetern sind die Büros von Geschäftsführern etwas kleiner als die von Staatsministern. Dafür haben Firmenangestellte deutlich mehr Platz als Schreibkräfte in Ministerien.
Für die Behördenwelt sind die neuen Hamburger Gemeinschaftsbüros ein Kulturbruch. "In der Wirtschaft haben sich offene Bürolandschaften eher durchgesetzt, weil Unternehmen früher mit flexiblen Organisationsformen experimentiert haben, oft etwas freier im Handeln sind und neue Strukturen an kleineren Einheiten leichter ausprobieren können", sagt Stefan Rief vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation kommen.
Er sieht "keinen Grund, warum Ministerien nicht auch für neuere Büroformen geeignet wären". Nicht die Institution, sondern die Tätigkeit sei entscheidend dafür, ob sich neuartige, offenere Bürostrukturen anbieten. Jede Neuerung müsse man allerdings den Mitarbeitern plausibel erklären, etwa wenn Großraumbüros die Transparenz erhöhen oder die Kollegen stärker voneinander lernen sollen.
Oft entscheiden Arbeitgeber vor allem nach Kostenaspekten über die Büroaufteilung und -einrichtung - und muten Mitarbeitern zu sterile Plätze ohne Rückzugschancen zu, während die Chefs selbst die Türen ihrer pompösen Einzelbüros zumachen. Aber vielen Menschen ist eine Wohlfühlumgebung wichtig, die sie selbst mitgestalten können und in der es Büros für wechselnde Aufgaben gibt: Ruhige für die Konzentration, Einzelzellen zum Telefonieren oder Gruppenbüros, um im Team über Projekte zu sprechen. Das heißt dann aber auch: Das Einzelzimmer als Statussymbol hat ausgedient.

KarriereSPIEGEL-Autorin Kristin Haug (Jahrgang 1982) ist freie Journalistin in Hamburg und absolvierte zuvor die Deutsche Journalistenschule in München.