Ein Bordgastronom erzählt "Von Beleidigungen bis zu Handgreiflichkeiten habe ich schon alles erlebt"

Selten ist ein Bordrestaurant so leer, erzählt ein Bordgastronom
Foto: Maurizio Gambarini/ DPAZwischen Wunsch und Wirklichkeit ist in vielen Berufen jede Menge Platz. In der Serie "Das anonyme Job-Protokoll" erzählen Menschen ganz subjektiv, was ihren Job prägt - ob Tierärztin, Staatsanwalt oder Betreuer im Jobcenter.
"Ein Zug ist der Querschnitt einer Gesellschaft, denn hier treffen sich wirklich alle Menschen: Handwerker, Millionäre, Abgeordnete, junge und alte Fahrgäste. Mit uns reisen Pendler genauso wie Fußballfans, die am Samstag auf dem Weg zum Spiel ein Bier nach dem anderen kippen. Die Strecken und Kunden sind jeden Tag anders, das ist das Spannende an meinem Job.
Seit fünf Jahren arbeite ich in der Bordgastronomie der Bahn und bin dort mittlerweile für das Bordrestaurant verantwortlich. In einem regulären ICE arbeiten neben mir noch zwei weitere Bordstewards: Einer betreut die Kunden in der ersten Klasse, der andere hilft im Restaurant oder läuft mit Kaffee durch die zweite Klasse. Die meisten Kunden sind sehr dankbar, wenn wir Getränke vorbeibringen. Manche fragen uns aber auch, wieso wir jetzt erst kämen und nicht eine Stunde früher - da sei ja viel eher Kaffeezeit gewesen.
Auch bei ihrem Gepäck sind viele nicht einsichtig: Weise ich Fahrgäste darauf hin, dass die Gänge immer frei sein müssen, räumen die allerwenigsten die Koffer weg. Einmal hat ein Kollege eine Kundin mehrmals gebeten, ihre Tasche aus dem Gang zu nehmen. Beim dritten Mal ist er darüber gestolpert und hat sich mit heißem Kaffee verbrüht. Glück im Unglück, habe ich mir gedacht, als ich davon erfahren habe: Hätte er den Kaffee über den Laptop der Kundin gekippt, hätte er unter gewissen Umständen dafür haften müssen. Wie ein solcher Unfall bewertet wird, ist von Fall zu Fall unterschiedlich.
Köln - Berlin und zurück: 25 Euro Trinkgeld
Eigentlich sind die Bedingungen in der Bahn besser als in vielen Restaurants oder Bars - zumindest theoretisch. Ich bekomme ein geregeltes Einkommen, 2364 Euro brutto im Monat, dazu bezahlte Überstunden, Feiertags- und Sonntagszuschlag und Trinkgeld. Wie viel die Kunden uns zustecken, hängt vom Zug und der Strecke ab: Im Intercity gibt es in der Regel weniger Geld, im ICE von Köln nach Berlin und zurück insgesamt auch mal 25 Euro.
Außerdem bekommen wir für jeden Euro, den wir einnehmen, fünf Prozent Provision. Das Problem: Die Bahn hat seit vielen Jahren gefühlt keinen Cent in die Bordgastronomie investiert. In vielen Zügen ist deshalb die Kühlung kaputt, trotzdem muss der Zug natürlich fahren. Melde ich eine kaputte Kaffeemaschine, kann es Monate dauern, bis die repariert wird - dabei ist Kaffee unser Verkaufsschlager. Von unseren Chefs bekommen wir regelmäßig zu hören, warum der Umsatz so niedrig sei - ja, warum wohl? Die Kühlschränke sind voll, aber wenn sie kaputt sind, kann ich den Inhalt natürlich nicht verkaufen.
Um für unsere Kunden da zu sein, müssen wir das Restaurant öffnen, auch wenn wir nichts anbieten können. Bei solchen Ansagen kann ich nur den Kopf schütteln, denn dann könnte man uns doch woanders viel sinnvoller einsetzen. Du darfst bei der Bahn alles, außer denken, sagen Kollegen manchmal zynisch, und in solchen Momenten haben sie recht.
Denn so kommen die Kunden, sind enttäuscht, dass es keine Sandwiches oder Currywurst gibt, und lassen ihre Wut an uns aus. Von Beleidigungen bis zu Handgreiflichkeiten habe ich schon alles erlebt. Viele sagen: „Ich weiß, dass Sie damit nichts zu tun haben, aber…“ - und fangen an zu schimpfen. Mittlerweile habe ich allerdings aufgehört, mich für etwas zu entschuldigen, für das ich nichts kann.
Lieber Tee statt Sitzplatzreservierung
Das Bordbistro ist eigentlich immer ausgelastet, selbst wenn nicht viel los ist. Einige Fahrgäste versuchen sich schnell einen Platz zu ergattern und trinken dann fünf Stunden lang einen Tee für 3,20 Euro - denn das ist günstiger als eine Sitzplatzreservierung. In solchen Fällen soll ich den Fahrgast irgendwann höflich bitten, den Platz frei zu machen. In überfüllten Zügen bleiben viele trotzdem sitzen, weil sie wissen, dass sie sonst im Gang stehen müssen. Ich habe dafür Verständnis, Umsatz mache ich an solchen Tagen aber trotzdem nicht.
Seit Kurzem haben wir ein neues Kassensystem, das allerdings nur übers Internet funktioniert. Damit haben wir aktuell noch oft Probleme: Manchmal sind im System Tische belegt, obwohl dort keiner sitzt, oder es werden Daten aus anderen Zügen angezeigt. Neulich hat ein Kollege von mir vier Stunden lang Getränke und Essen verkauft. Als er am Ende des Tages die Abrechnung ausdruckte, stand dort, er hätte keinen Cent eingenommen - obwohl es eigentlich 173 Euro waren."