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Nach dem Burnout "Es könnte jederzeit wieder passieren"

Es gibt ein Leben nach dem Zusammenbruch - und das soll anders sein als vorher, entspannter, gelassener. Aber wie setzt man die guten Vorsätze um? Drei Betroffene erzählen, wie sie sich und ihren Alltag nach der Diagnose Burnout verändert haben.
Raus in die Natur: Und wenn es nur für eine halbe Stunde ist

Raus in die Natur: Und wenn es nur für eine halbe Stunde ist

Foto: Karl-Josef Hildenbrand/ picture alliance / dpa

Stress gehört zum Leben. Aber in einer beschleunigten, vernetzten Welt verkraften viele Menschen die wachsende Belastung nicht mehr, fühlen sich vor allem im Job gehetzt. Ab wann macht Stress krank? Und wie kommt es zum Burnout? Das neue SPIEGEL-Buch "Diagnose Burnout"  zeigt, wie man der Überforderung vorbeugen kann. SPIEGEL-Autoren stellen neue Erkenntnisse von Wissenschaftlern, Ärzten und Therapeuten vor. Nicola Abé hat aufgezeichnet, wie drei Betroffene ihr persönliches Tief überwunden haben.

Arne Reese, Chef eines Ingenieurbüros:

"Es waren verschiedene Ereignisse, die zu meinem Burnout führten: Meine Partnerin hatte mich verlassen. Ich stand mit zwei kleinen Kindern allein da; mein Lebensentwurf war gescheitert. Gleichzeitig gingen zwei meiner wichtigsten Kunden pleite. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich Existenzängste und wusste nicht, wie ich die nächste Miete bezahlen sollte. Zuletzt hatte ich mich praktisch über alles aufgeregt, egal ob ein Arbeiter ein Rohr falsch verlegt hatte oder jemand auf der Autobahn vor mir zu langsam fuhr.

Der Wendepunkt kam, als mein Arzt mich krankschrieb. Davor hatte ich mich lange Zeit gedrückt. Als selbständiger Ingenieur bedeutete das für mich einen großen finanziellen Verlust. Aber ich war an einem Punkt in meinem Leben angelangt, wo ich keine Perspektive mehr sah. Ich war nur noch müde. Einmal hatte ich sogar in meinem Auto auf einem Parkplatz übernachtet. Die Müdigkeit hatte mich so plötzlich überfallen, dass ich nicht mehr weiterfahren konnte, obwohl es nur noch zehn Kilometer bis zu meiner Wohnung gewesen wären.

Nun hatte ich es also schriftlich: Ich war krank. Irgendwie war es fast eine Erleichterung. Mein Arzt hatte mich gefragt, worauf ich denn Lust hätte. Das solle ich machen. Also ging ich frisches Gemüse kaufen, stellte mich in die Küche und schnippelte Salat.

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Foto: Michael Reichel/ picture alliance / dpa

In den folgenden Wochen versuchte ich, mir darüber klarzuwerden, was mir in meinem Leben wichtig ist. Ich entwarf ein Modell mit drei Säulen: Familie, Beruf und Sport. Ich machte eine ambulante Gesprächstherapie, die mir geholfen hat, die Trennung von meiner Partnerin zu akzeptieren. Für meine Töchter organisierte ich mit Hilfe meiner Mutter Krippenplätze. Ich hatte erkannt: Nur wenn es mir gutgeht, geht es auch den Kindern gut.

Als ich nach zwei Monaten wieder ins Büro zurückkehrte, kam ich mit festen Vorsätzen, dreimal die Woche wollte ich zum Sport gehen. Seither nehme ich mir diese Zeit, wäge nicht mehr ab, ob es vielleicht doch besser wäre, früher nach Hause zu kommen. In dieser Hinsicht bin ich radikal geworden.

Als Chef bin ich heute entspannter. Wenn ich morgens ins Büro komme und merke, die Stimmung ist nicht gut, alle sitzen lustlos auf ihren Stühlen, dann lade ich meine Mitarbeiter einfach zum Frühstücken ein. Croissant und Orangensaft mit Blick aufs Wasser - das ist wie ein kleiner Urlaub. Das kostet dann vielleicht eineinhalb Stunden Zeit, bringt aber auch viel.

Es sind die kleinen Dinge, die mich glücklich machen

Ich versuche, mich über Kleinigkeiten nicht mehr so aufzuregen. Wenn jemand ein Rohr falsch verlegt hat, bleibe ich freundlich und frage: Wie können wir das verhindern, was können wir verbessern? So erreiche ich mein Ziel viel leichter. Mit meiner Ex-Partnerin habe ich inzwischen eine Lösung für die Kinderbetreuung gefunden: Ich habe die beiden Mädchen von Montag bis Mittwoch, sie von Mittwoch bis Freitag, an den Wochenenden wechseln wir uns ab.

Manchmal überkommt mich wieder die Müdigkeit. Ich kämpfe dann nicht dagegen an, sondern versuche, mir eine kleine Ruhepause einzurichten, zehn Minuten in meinem Büro zu schlafen.

Es geht mir finanziell wieder gut. Aber ich habe damals gelernt, mit wenig auszukommen. Das war eine gute Erfahrung für mich. Ich weiß, dass ich nicht ständig neue Kleidung brauche oder essen gehen muss. Es sind die kleinen Dinge, die mich glücklich machen. Begegnungen mit Menschen, die ich interessant finde, ein Lächeln, ein Blick im Vorbeigehen.

Mein Burnout ist acht Jahre her. Seitdem geht es mir gut, und ich fühle mich stabil. Aber mir ist auch klar: Es könnte jederzeit wieder passieren. Nur habe ich keine Angst davor. Ich weiß, dass ich da auch wieder rauskommen würde. Eigentlich hat mich die Krankheit stärker gemacht."

Fachkrankenschwester Ramona Behnke: "Heute bin ich radikaler"

"Jeden Morgen lächle ich mein Spiegelbild an. Anfangs fiel es mir schwer, aber mittlerweile kommt das Strahlen wieder von innen heraus. Das hat lange gedauert. Meine Rettung war die Reha in Bad Grönenbach im Allgäu. Ich habe dort vieles gelernt, was ich in meinen Alltag übertragen konnte. Das Wichtigste: auf mich selbst zu hören. Kurz innezuhalten und mich selbst zu fragen: Was willst du eigentlich? Was tut dir gut? Ich komme jetzt an erster Stelle bei mir. Früher kamen alle anderen zuerst.

Schon als Kind habe ich viel Verantwortung übernommen, zum Beispiel für meinen kleinen Bruder, den ich oft gehütet habe. Ich hatte das Gefühl, immer zurückstecken zu müssen. Als Jugendliche fing ich an, ehrenamtlich bei den Maltesern zu arbeiten. Später machte ich eine Ausbildung zur Krankenschwester, arbeitete im Schichtdienst. Besonders die Nachtdienste machten mir zu schaffen. Trotzdem fuhr ich in meiner Freizeit noch als Ehrenamtliche beim Rettungsdienst mit oder gab Erste-Hilfe- Kurse. Ich stürzte mich regelrecht in die Arbeit, über mich selbst wollte ich nicht nachdenken.

Auch in meinen Beziehungen fiel mir die Abgrenzung schwer. Ich habe mich immer völlig für meine Partner aufgeopfert, wollte unbedingt alles richtig machen. Für meinen letzten Freund habe ich sogar die ehrenamtliche Arbeit aufgegeben. Einerseits hatte ich so weniger Stress, andererseits verlor ich meine sozialen Kontakte.

Ich zog mich immer mehr zurück, bekam Rückenbeschwerden und Magenschmerzen. Eines Tages stand ich vor dem Medizinschrank im Krankenhaus, um mir Medikamente für meinen Selbstmord zu besorgen. Da bin ich aufgewacht und habe mir gesagt: so nicht. Ich bin zu meinem Arzt gegangen, der mich sofort krankgeschrieben hat. Schon einen Monat später wollte ich zurück ins Krankenhaus. Ich fühlte mich dazu verpflichtet, möglichst schnell wiederzukommen. Doch meine erste Wiedereingliederung schlug völlig fehl. Nach drei Wochen musste ich abbrechen. Ich war einfach noch nicht so weit.

Jetzt picke ich mir die Leckerbissen heraus

Ich blieb wieder zu Hause, kam morgens nicht aus dem Bett, spielte den ganzen Tag 'World of Warcraft' an meinem Computer und blendete die Realität aus. Zum Glück kam kurze Zeit später der Reha-Bescheid von der Rentenversicherung. Erst in der Reha kam ich wirklich zu mir selbst und konnte neue Kraft schöpfen. In dieser Zeit habe ich auch gelernt, dass ich ganz gut allein klarkomme. Ich habe mich von meinem damaligen Freund getrennt. Heute bin ich Single, und es geht mir besser.

Ich arbeite wieder ehrenamtlich. Aber ich picke mir jetzt die Leckerbissen heraus: Ich arbeite zum Beispiel als Sanitäterin auf Konzetten. Vor kurzem war ich bei den Fantastischen Vier. So habe ich nicht nur Stress, sondern auch ein schönes Erlebnis und kann die Musik genießen. Ansonsten treffe ich meine Freundevon den Maltesern jetzt lieber privat. Wir gehen ins Kino oder essen. Es muss auch mal Vergnügen ohne Pflicht geben.

Auch in meinem Beruf als Krankenschwester habe ich einiges verändert: Früher konnte ich mich nicht durchsetzen und neigte dazu, bei Schwierigkeiten wegzulaufen, etwa die Station zu wechseln.

Offenheit tut gut

Nach der Reha versuchte ich eine zweite Wiedereingliederung. Ich fing mit vier Stunden am Tag an, dann sechs, und jetzt arbeite ich wieder Vollzeit im Schichtdienst. Gleich zu Beginn holte ich mir Hilfe vom Betriebsrat. Gespräche mit meinen Chefs führe ich nicht mehr allein. Es ist jetzt immer jemand vom Betriebsrat dabei, der mich unterstützt. Früher hatten die Chefs mir Vorwürfe gemacht, ich sei zu lange krank, ich solle mich nicht so anstellen. Jetzt müssen sie darauf achten, den richtigen Ton zu treffen.

Ich habe beschlossen, zu kämpfen und mich nicht mehr kleinzumachen. Früher habe ich meine Pause oft ausfallen lassen, mir nur kurz etwas in den Mund gestopft, ständig auf Abruf. Heute bin ich radikaler. Wenn ich noch keine Pause hatte, dann sage ich das und nehme sie mir.

Früher habe ich viele Rufdienste angenommen. Dann saß ich in meiner Freizeit zu Hause und musste erreichbar sein. Sobald ein Anruf kam, fuhr ich in die Klinik. Heute überlege ich mir sehr genau, welche Dienste ich annehme. Wenn ich schon etwas anderes vorhabe oder es mir einfach zu viel ist, lehne ich ab.

Ich habe mit meinen Kollegen offen über meine Krankheit gesprochen und war sehr überrascht, wie positiv sie damit umgegangen sind. Früher wollte ich nicht, dass jemand mitbekommt, wie es mir geht. Ich musste immer den Schein wahren, das hat mich viel Kraft gekostet. Jetzt stehe ich zu mir und rede offen über meine Probleme. Das tut gut."

Ein Berater in einem großen Unternehmen: "Ich muss höllisch aufpassen"

"Ich würde mich nicht als geheilt bezeichnen, eher als stabil. So wie ein trockener Alkoholiker. Ich muss höllisch aufpassen. Ich bin stets ein ehrgeiziger Typ gewesen.

In der Schule hatte ich Bestnoten, für meine Doktorarbeit bekam ich einen Preis. Ich fühlte mich nur dann anerkannt, wenn ich Leistung brachte. Entsprechend verhielt ich mich auch im Berufsleben. Ich wollte meine Aufgaben immer perfekt erledigen. So stieg ich schnell weiter auf. Schließlich bekam ich eine Führungsposition, übernahm sehr viel Verantwortung.

In meiner Branche kann man sich keine Fehler leisten. In den schlimmsten Phasen arbeitete ich etwa 80 Stunden in der Woche, 140 Überstunden im Monat. Wenn ich nach Hause kam, konnte ich nicht mehr abschalten. In dieser Zeit litt auch die Beziehung zu meiner Frau, für meine Kinder hatte ich kaum mehr Zeit. Mein Blick verengte sich. Ich war gefangen in einem Tunnel, es gab nur noch die Karriere.

So fühlte ich mich einsamer. Nachts wachte ich auf, schwitzte. Morgens musste ich mich übergeben. Dann trank ich etwas Wasser, schluckte ein paar Stück Traubenzucker und ging in mein erstes Meeting.

Es tut mir gut, Zeit mit meinen Kindern und meiner Frau zu verbringen

Ich fing eine Gesprächstherapie an. Der Arzt wollte mich krankschreiben. Aber ich weigerte mich. Ich musste erst ganz ausbrennen, um zu erkennen, dass es so nicht weiterging mit mir. Im Herbst 2010 war es schließlich so weit, drei Jahre nachdem ich diese Führungsposition übernommen hatte: Ich hatte einen Burnout.

Für ein paar Monate war ich arbeitsunfähig. Ich ging viel spazieren, schrieb Tagebuch und besuchte einen Stress-Präventionskurs. So lernte ich andere Betroffene kennen, was mir sehr geholfen hat. Endlich konnte ich wieder mit jemandem über mein Innerstes sprechen, fühlte mich verstanden. Mit einem der Teilnehmer halte ich bis heute den Kontakt.

Zwischenmenschliche Beziehungen sind mir wichtiger geworden, zu Freunden und auch innerhalb der Familie. Als ich krank war und zu Hause bleiben musste, habe ich gemerkt, wie gut es mir tut, Zeit mit meinen Kindern zu verbringen. Heute nehme ich mir diese Zeit. Gemeinsam mit meiner Frau habe ich eine Paartherapie begonnen. Wir wollen nicht mehr nebeneinanderher leben, sondern lernen, uns gegenseitig wirklich zu verstehen. Wir sind noch nicht am Ende dieses Weges, aber ich fühle mich in der Partnerschaft wieder geborgen.

Ich bin zwei Stufen auf der Karriereleiter zurückgegangen

Mir ist jetzt bewusst, dass ich einen Teil meiner Bedürfnisse über lange Zeit ignoriert habe. Ich arbeite in einer reinen Männerbranche. Meine Kollegen sind alle eher technische, vernunftbetonte Menschen. Meine empfindsame Seite kam einfach zu kurz. Früher, zu Schulzeiten und im Studium, hatte ich viele Freunde, mit denen ich lange Gespräche über Literatur, über Philosophie und über Gedichte führen konnte. Das fehlte mir dann sehr, auch wenn ich es nicht bemerkte. Diesen Teil meiner Persönlichkeit lebe ich heute wieder aus, das macht mich glücklich. Meine Freunde wohnen verstreut über die ganze Welt. Aber alle zwei, drei Monate reserviere ich mir ein Wochenende, nur um einen Freund zu besuchen.

Ich arbeite wieder im selben Unternehmen und habe einen schwierigen Schritt gewagt: Ich bin zwei Stufen auf der Karriereleiter zurückgegangen. Jetzt bin ich wieder ein einfacher Angestellter. Das fiel mir nicht leicht, und es bedeutete auch, auf viel Geld zu verzichten. Aber ich bin der Typ, der sich übermäßig engagiert und dazu neigt auszubrennen. Deshalb ist die Position, die ich jetzt habe, die richtige für mich. Mein Chef weiß von meinen Schwierigkeiten, und er setzt mir Grenzen, wenn es zu viel wird.

Denn die Gefahr ist weiter da. Ich bin einer von wenigen Experten auf meinem Gebiet. Da kommen ständig Anfragen für Projekte im Ausland, für Vorträge und Symposien. Ich weiß jetzt, ich kann nicht alles machen. Neinsagen musste ich erst lernen.

Natürlich mache ich auch mal ein paar Überstunden, aber nicht ohne Ende. Ich trage nicht mehr die ganze Verantwortung. Ich kann jetzt zu meinen Vorgesetzten gehen und sagen, das ist zu viel, das schaffe ich nicht in meiner Arbeitszeit. Das ist eigentlich ideal für mich. Was am Ende zählt, ist nicht die Karriere oder das Geld. Wichtig ist, dass es mir gutgeht, dass ich den Augenblick spüre."

Nicola Abé ist SPIEGEL-Redakteurin.

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