Abgemahnt, gefeuert, geklagt Die Arbeitsrechts-Urteile der Woche

Kantine: Soßenpfützen besser weiträumig umgehen
Foto: Arno Burgi/ dpaIn der Kantine den Arm gebrochen - ein Arbeitsunfall?
Wer arbeitet, muss gelegentlich etwas essen, so viel ist mal klar. Viele Arbeitgeber unterhalten eine eigene Betriebskantine, auch weil eine flotte Nahrungsaufnahme die Rückkehr an den Arbeitsplatz beschleunigt. Ob ein Sturz beim Essenfassen an der Salatbar als Arbeitsunfall zählt, musste jetzt das Sozialgericht Heilbronn entscheiden.
Ein Mitarbeiter des Daimler-Werks in Sindelfingen hatte 2010 die Werkskantine besucht. Mit dem Tablett in der Hand war er auf einer Lache Salatsauce ausgerutscht - mit schmerzhaften und langwierigen Folgen: Er stürzte auf den linken Ellbogen, der Bruch des Armes macht ihm noch heute zu schaffen. Den Sturz wollte der 50-Jährige als Arbeitsunfall geltend machen, doch die Berufsgenossenschaft lehnte ab. Also kam der Fall vor Gericht.
Der Kläger sah für die Anerkennung als Arbeitsunfall gute Gründe: Das Werksgelände sei immens groß und den Mitarbeitern daher nicht zumutbar, anderswo zu Mittag zu essen, zumal er am Tag des Unfalls anschließend zu einem auswärtigen Geschäftstermin musste. Dagegen argumentierte die Berufsgenossenschaft, das Essen in der Kantine sei eine private Tätigkeit, der Versicherungsschutz ende an der Kantinentür. Beim mit Salatsauce beschmutzten Boden handele es sich um keine betriebsspezifische Gefahrenquelle.
Das Sozialgericht schloss sich dieser Auffassung an: Die Wege zwischen Kantine und Arbeitsplatz seien zwar versichert, nicht aber der Aufenthalt im Betriebsrestaurant selbst. Niemand müsse dort betriebsbedingt speisen, auch wenn der Arbeitgeber das Essen subventioniere. Die Heilbronner Richter sahen keine außergewöhnlichen Begleitumstände wie die Notwendigkeit, das Essen aus betrieblichen Gründen hastig genau dort verzehren zu müssen - und ebenso hätte der Mitarbeiter in einem privat betriebenen Schnellrestaurant stürzen können.
Kurzum: Essen ist demnach Privatsache, der Sturz persönliches Pech, kein Arbeitsunfall (Aktenzeichen S 5 U 1444/11). Laut Gericht hat der Angestellte in der Fahrzeugentwicklung aber angekündigt, Schadensersatzansprüche gegen die Werkskantine geltend zu machen.
Firma auf Facebook als "Penner" kritisiert - Kündigung rechtmäßig?

Gefiel dem Kunden gar nicht: Angestellte schimpfte auf Facebook über Firma
Foto: ROBERT GALBRAITH/ REUTERSZweifellos ist es delikat, wenn eine Angestellte rüde auf Facebook über einen wichtigen Kunden ihres Arbeitgebers zetert - und der Kunde davon erfährt. Die Mitarbeiterin eines Sicherheitsdienstes hat es getan und wurde fristlos gekündigt, mitten in ihrer Schwangerschaft. Dagegen klagte sie. Über die Erfolgsaussichten musste jetzt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof entscheiden.
Reagiert hatte der Sicherheitsdienst auf dieses Posting der Angestellten auf ihrer privaten Facebook-Seite:
"Boah kotzen die mich an von (Firma X), da sperren sie einfach das Handy, obwohl man schon bezahlt hat … und dann behaupten die es wären keine Zahlungen da. Solche Penner … Naja ab nächsten Monat habe ich einen neuen Anbieter …"
Es ist ein alltäglicher Eintrag: Streit über Telefonrechnungen kommt ständig vor, eine Kundin macht ihrem privaten Ärger über eine Firma deutlich Luft. Nur war sie als Sicherheitsmitarbeiterin im Empfangsbereich bei just diesem Unternehmen eingesetzt - ein Großkunde ihres Arbeitgebers und Finanzier zahlreicher Arbeitsplätze. Natürlich kann das der Sicherheitsfirma nicht gefallen. Sie griff gleich zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund.
Aber handelte es sich um eine zulässige Meinungsäußerung oder Schmähkritik? Wie privat oder öffentlich sind Facebook-Einträge - musste die Angestellte überhaupt damit rechnen, dass außer ein paar Freunden jemand davon erfährt?
"Allein die Klägerin entscheidet, was sie ankotzt"
Der Verwaltungsgerichtshof musste sich lediglich mit dem Antrag der Klägerin auf Prozesskostenhilfe befassen. Bei der Abwägung der Klagechancen haben die Münchner Richter sich aber bereits intensiv mit dem Fall auseinandergesetzt. Was sie dazu geschrieben haben, ist bemerkenswert.
Klar ist: Die Klägerin bekommt die Prozesskostenhilfe, und die gibt es nur bei hinreichenden Erfolgsaussichten. Vor allem drei Gründe sehen die Richter dafür:
- Nach dem Mutterschutzgesetz genießt eine Schwangere Kündigungsschutz nach besonders strengen Maßstäben. Das Gewerbeaufsichtsamt hatte der Kündigung trotzdem zugestimmt, wegen eines schweren Verstoßes gegen die Treuepflicht und die Betriebsdisziplin. Der Verwaltungsgerichtshof jedoch hält es für zumutbar, dass der Arbeitgeber die Mitarbeiterin bei anderen Kunden als der Telefonfirma einsetzt.
- Nach Auffassung des Gerichts durfte die Angestellte darauf vertrauen, dass ihre Äußerung im privaten Bereich von Facebook im Kreis ihrer Freunde bleibt, also nicht nach außen getragen wird zum Arbeitgeber und zu dessen Kunden.
- Sind Äußerungen wie "kotzen die mich an" oder "solche Penner" überhaupt ehrverletzende Schmähkritik? Auf den ersten Blick ja, meint das Gericht - aber es komme immer auf den Zusammenhang an. Da es hier um das Verhalten der Firma bei einem Handyvertrag ging, sahen die Richter die Äußerungen noch vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Juristisch fein formuliert: "Unter der Geltung des Grundgesetzes entscheidet allein die Klägerin, was sie 'ankotzt' und was nicht." Und zur "Penner"-Bezeichnung: "Ganz allgemein gilt der Begriff als Synonym für Trägheit und Schläfrigkeit."
Unjuristisch formuliert: Ein bisschen motzen durfte die Angestellte im privaten Kreis schon. Also erhält sie die Prozesskostenhilfe, die ein Verwaltungsgericht zuvor abgelehnt hatte. Ob die Kündigung wirklich unzulässig war, wie es der Bayerische Verwaltungsgerichtshof sieht (Aktenzeichen 12 C 12.264) - das werden am Ende andere Richter entscheiden.
In die Kasse gelangt - sofortiger Rauswurf möglich?
Vor zwei Jahren sorgte der Fall "Emmely" für riesige Aufregung, wie auch andere sogenannte Bagatellkündigungen. Ein Supermarkt hatte eine Mitarbeiterin gefeuert, weil sie zwei Pfandbons an sich genommen und unerlaubt eingelöst haben soll - im Gesamtwert von 1,30 Euro. Nach 31 Dienstjahren. Da sträubte sich das Gerechtigkeitsempfinden vieler Bürger, wenn Niedriglöhner von Arbeitgebern sofort wegen Kleinstbeträgen auf die Straße gesetzt werden können.
In weiteren Gerichtsverfahren ging es unter anderem um den Diebstahl von drei Schrauben, von vier Buletten, von Müll oder auch um einen bei der Arbeit aufgeladenen Elektroroller (Stromkosten: 1,8 Cent). Im Fall der Supermarktkassierin hob am Ende das Bundesarbeitsgericht die Kündigung von "Emmely" auf, weil das Vertrauen durch das einmalige Delikt nicht völlig zerstört worden sei und der Arbeitgeber zuvor nicht zu einer Abmahnung gegriffen hatte. Auch andere Arbeitgeber kassierten Schlappen nach Bagatellkündigungen.
Das bedeutet aber keineswegs, dass ein Angestellter bei Diebstahl immer erst einmal abgemahnt werden muss, wie jetzt das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz klarstellte. Wer tief in die Kasse seines Arbeitgebers greift, kann fristlos entlassen werden. Auf die Schwere des Verstoßes kommt es an.

In einer Spedition war die Klägerin unter anderem für die Bareinnahmen der betriebseigenen Tankstelle verantwortlich. Dabei steckte sie laut Gericht insgesamt 7100 Euro in die eigene Tasche, die Firma kündigte ihr fristlos.
Der Arbeitgeber hatte das Recht auf seiner Seite, entschieden die Mainzer Richter. Sie wiesen die Kündigungsschutzklage der Angestellten ab und betonten, eine Abmahnung sei zwar das mildere Mittel, aber bei schwerwiegenden Verstößen könne der Arbeitgeber darauf verzichten und sofort kündigen. Hauptkriterium in diesem Fall: dass das Vertrauensverhältnis selbst dann auf Dauer zerstört sei, wenn sich der Mitarbeiter künftig korrekt verhalten werde (2 AZR 541/09).
Hautkrebs eines Dachdeckers - eine Berufskrankheit?

Dachdecker: Ein Berufsleben lang jedem Wetter ausgesetzt
Foto: Jan Woitas/ picture alliance / dpaWas genau eine Krankheit verursacht hat und ob nur ein Faktor sie auslöste, ist medizinisch oft schwierig zu klären. Das kann zu langwierigem Streit zwischen Arbeitnehmern und Berufsgenossenschaften führen. Im Falle eines Dachdeckers hat das Sozialgericht Aachen jetzt klar entschieden: Hier ist ein sonnenbedingter Hautkrebs als Berufskrankheit einzustufen.
Ob Winter oder Sommer, ob Eiseskälte oder glühende Hitze - Dachdecker müssen bei jedem Wetter 'raus, dabei haben sie eh schon einen der riskantesten Jobs überhaupt. 40 Jahre lang war ein Dachdecker bei der Arbeit unter freiem Himmel ungeschützt der Sonneneinstrahlung ausgesetzt, es hatte sich eine Vorstufe bösartiger Veränderungen der Kopfhaut gebildet, im Fachbegriff: aktinische Keratose. Diese Schädigung der verhornten Haut kann in Hautkrebs übergehen.

Risiko-Ranking: Die gefährlichsten Berufe
Die Berufsgenossenschaft hatte eine Anerkennung als Berufskrankheit abgelehnt, denn die fehle bislang im Katalog der Berufskrankheiten-Verordnung. Die Aachener Richter sahen aber einen Ausnahmetatbestand und "keine vernünftigen Zweifel" an der Sonneneinstrahlung als Grund für die bösartigen Hautveränderungen: Der Dachdecker sei viele Jahre exponiert gewesen und die erhöhte Gefährdung eines "Outdoor-Worker" durch UV-Strahlung wissenschaftlich belegt (Aktenzeichen S 6 U 63/10). Berufung gegen das Urteil ist allerdings möglich.
Gibt's die Entfernungspauschale nur einmal am Tag??

Theater: Künstler haben etwas andere Arbeitszeiten als Normalarbeitnehmer
Foto: DDPDie Fahrt zum Arbeitsplatz kann steuerlich einen ordentlichen Batzen Geld ausmachen. Darum legen sich Arbeitnehmer häufig mit dem Finanzamt an, das normalerweise nur die kürzeste Strecke und nur eine Fahrt pro Tag anerkennt, außerdem nur den einfachen statt den Hin- und Rückweg. Wie ist das, wenn jemand mehrmals täglich zur Arbeit muss?
Ein Musiker arbeitet am Theater und muss laut Arbeitsvertrag tagsüber an den Proben wie auch abends an den Aufführungen teilnehmen. Oft liegen dazwischen aber mehrere Stunden Pause. Darum fährt er zweimal pro Tag - und setzte die Entfernungspauschale für solche Tage auch zweimal an.
Das Hessische Finanzgericht ließ das nicht zu: Auch der Musiker kann die Entfernungspauschale nur einmal pro Tag geltend machen. Damit liege zwar eine Ungleichbehandlung im Vergleich zu anderen Arbeitnehmer vor. Rechtlich sei das aber nicht zu beanstanden - es handele sich um einen Sonderfall, der nicht speziell geregelt werden müsse (Aktenzeichen 4 K 3301/09).