Die ersten 100 Tage im neuen Job Sie wollen schon wieder gehen?

Ich bin dann mal weg: Die Befragten der Umfrage störten sich auch an mangelnder Führung und schlechter Einarbeitung
Foto: Nadia Bormotova / iStockphoto / GettyNeue Arbeit, neues Glück? 17,6 Prozent der Beschäftigten haben schon einmal während der ersten 100 Tage ihren Job gekündigt – 2018 waren es noch 11,6 Prozent. Das zeigt eine Onlineumfrage des Recruiting-Unternehmens Softgarden unter 2160 Teilnehmenden, die dem SPIEGEL exklusiv vorliegt.
Die steigende Unzufriedenheit dürfte auch damit zusammenhängen, dass Beschäftigte in den vergangenen zwei Coronajahren überwiegend vor dem Rechner eingearbeitet wurden und der Start teilweise holprig verlief. Der Umfrage zufolge kündigten die Teilnehmenden vor allem, weil sie in der ersten Zeit unzureichend angeleitet wurden, Schwierigkeiten mit den Vorgesetzten hatten oder Erwartungen aus der Bewerbungsphase nicht erfüllt wurden. Etwa jeder Zweite (52,9 Prozent) gab an, dass die Beschreibung des Jobs nicht zu den Verhältnissen gepasst habe, die sie in den ersten Wochen im neuen Unternehmen vorgefunden hätten. Einige Teilnehmenden schrieben etwa:
»Versprechen aus dem Bewerbungsgespräch wurden nicht eingehalten. Statt Homeoffice, Arbeitslaptop und hohem Gehalt wurde am ersten Arbeitstag alles wieder negiert. Dann wurde erwartet, dass man für weniger Gehalt sofort umzieht und dauerhaft im Büro arbeitet.«
»Cholerischer, unangenehmer Chef.«
»Die Chemie hat nicht gestimmt. Wenn ich hundert Prozent bringen soll, erwarte ich von meinen Vorgesetzten Unterstützung.«
»Es gab kein Onboarding. Da zudem im Homeoffice gearbeitet werden musste, gab es keinen Bezug zum Unternehmen und den Mitarbeitern.«
Die erste Zeit im Job
In Zeiten von Fachkräftemangel haben Arbeitssuchende zunehmend die Wahl. Wie wichtig die richtige Einarbeitung in der ersten Zeit im Job sein kann, zeigen deshalb auch weitere Erkenntnisse der Studie: Onboarding ist für knapp die Hälfte der Bewerberinnen und Bewerber relevant, um sich für oder gegen einen Arbeitgeber zu entscheiden. 15,6 Prozent haben sich schon einmal gegen einen Arbeitgeber entschieden, weil ihnen nicht klar war, wie das Onboarding funktionieren würde. In der Umfrage konnten Teilnehmende angeben, welche Erlebnisse in der Onboardingphase ihnen negativ in Erinnerung geblieben waren:
»Ich musste mir selbst einen Rechner kaufen, um während der Home-Office-Pflicht zu Hause arbeiten zu können, der Arbeitgeber hat keinen gestellt.«
»Ich sollte eingearbeitet werden durch einen Azubi, der selbst erst zwei Monate im Unternehmen war.«
»Kein Arbeitsplatz, kein Büro, keine Stellenbeschreibung, kein Onboarding. Ich war mir selber überlassen und musste mich selber organisieren. Selbst den Schreibtisch und den Bürostuhl durfte ich selber montieren.«
»Gute Onboardingprozesse werden wie gute Bewerbungsverfahren zunehmend zum Kennzeichen von attraktiven Arbeitgebern«, so die Studienautoren. Das beginnt schon bei der Bewerbungssuche: Nur jede fünfte Stellenanzeige geht ausführlich aufs Onboarding ein, gaben die Teilnehmenden an. Spätestens beim Jobinterview, so 87,4 Prozent der Befragten, sollten Arbeitgeber über Onboardingprozesse informieren.
Was der Mehrheit der Befragten im Onboardingprozess besonders wichtig ist: Sie möchten den Kollegen offiziell vorgestellt werden, wünschen sich einen konkreten Einarbeitungsplan und dass ihr Arbeitsplatz vollständig eingerichtet ist.
Wer den Job kündigt
Mit steigender Berufserfahrung wächst auch die Wahrscheinlichkeit, den Job während der Onboardingphase zu verlassen: Mehr als 16 Prozent der Teilnehmenden mit bis zu fünf Jahren Berufserfahrung haben schon einmal in dieser Zeit gekündigt, bei denjenigen mit über 20 Jahren sind es 21,9 Prozent.
Auch die Qualifikation spielt eine Rolle, wie lange man in der Einarbeitungsphase durchhält: Nur 13,6 Prozent der Akademiker haben schon einmal während der ersten 100 Tage gekündigt, aber immerhin 22,3 Prozent mit Haupt- oder Realschulabschluss. Branchen mit hohem Akademikeranteil wie etwa die IT (15 Prozent) scheinen einen niedrigeren Abbrecheranteil zu haben als solche mit unterschiedlichen Positionen für nicht akademische Fachkräfte wie Tourismus und Gastronomie (23,2 Prozent) oder Verkehr und Logistik (23,4 Prozent).
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»Einsteiger, die etwas anderes vorfinden als versprochen oder die in den ersten 100 Tagen alleingelassen werden, sind frustriert, springen eventuell ab oder werden erst verspätet für das Unternehmen produktiv«, schlussfolgern die Studienautoren. Das führe etwa zur Mehrbelastung im Recruiting – obwohl es an Recruitern selbst zunehmend mangelt.
Dass die sogenannte Great Resignation , die große Kündigungswelle, mittlerweile auch den deutschen Arbeitsmarkt aufrollt, zeigte zuletzt eine Forsa-Umfrage: Demnach kündigt jeder Vierte den Job, ohne eine neue Stelle in Aussicht zu haben. Etwa 37 Prozent der Erwerbstätigen sind zudem offen dafür, den Job zu wechseln – vier Prozent mehr als noch 2021.