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Skateboard-Papst Titus Dittmann Der Bretterwisser

Als "Lord of the Boards" prägt Titus Dittmann seit 30 Jahren die Skater-Szene. Beinahe hätte er im Börsenfieber die Familienfirma verzockt, das mühsam aufgebaute Multi-Millionen-Unternehmen. Die Geschichte eines Mannes, den sein Ego straucheln ließ und der sich gerade noch fangen konnte.

Dieser Lärm begleitet ihn seit Jahrzehnten. Ein metallisches Rollen, gefolgt von einem Klappern, wiederum gefolgt von einem derben Fluch. Es ist der Soundtrack seines Lebens. Den scheint Titus Dittmann, schwarze Cordhose, schwarzer Kapuzenpulli, schwarze Mütze, ganz gut ertragen zu können. Geduldig lächelnd steht der nicht sehr große Mann, den sie voller Verehrung "Skateboard-Papst" und "Lord of the Boards" nennen, auf einem Kasten und schaut munter dilettierenden Sportstudenten auf ihren Brettern zu.

Dittmann, 63 Jahre alt, ist noch immer so betont lässig wie ein kalifornischer Berufssurfer. Er feuert an, baut auf, er ruft spontan und sehr laut in die Halle: "Gooooil!" Und niemand findet das spätpubertäre Verhalten dieses erfolgreichen Senior-Unternehmers befremdlich oder peinlich. Dittmann wirkt, als sei er in diesen Augenblicken ganz bei sich selbst - was wohl auch die jungen Männer auf ihren Brettern spüren, die locker seine Söhne sein könnten und ihm mit wohlwollendem Respekt begegnen.

Titus Dittmann ist eine Marke und ein Unikum. Ein latent Wahnsinniger, der es vom Lehrer zum ausgezeichneten Unternehmer brachte, weil er das Skateboard als Sportgerät entdeckte, als es den meisten bloß ein Spielzeug war. Der aus dem Nichts ein kleines Imperium aufbaute. Der noch immer keinen Thrill auslässt, der aus Flugzeugen springt und Autorennen fährt und den Kilimandscharo besteigt. Der sich in all seinem Wohlstand noch immer als Wohltäter versteht und mit der bewundernswerten Naivität eines Teenagers davon träumt, die Welt zu verbessern - und sei es nur ein bisschen.

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Berufsjugendlicher mit Rollbrett: Titus Dittmann, der Skaterpapst

Foto: SPIEGEL ONLINE

Dabei kann dieser Titus - der Mann, der eigentlich Eberhard heißt, ist ein Duzer aus Überzeugung - auch davon berichten, wie tief man fallen kann, wie sich ein kerngesundes Familienunternehmen fast ruinieren lässt und wie gefährlich die Hybris ist, stets der Größte sein zu wollen. "Lieber tot als Zweiter", lautete sein Motto. Inzwischen fügt er sehr routiniert hinzu: "Das habe ich auch beinahe geschafft."

WG-Küchentisch als erste Ladentheke

Insofern ist Dittmann auch ein Gestrauchelter, der sich im letzten Moment noch fangen konnte, weil er an den Ursprung zurückkehrte, erkennend, dass weder Gier noch Angst ein Geschäft bestimmen dürfen.

In Versuchung geriet Titus, als er herausgefordert wurde. Damals, zu Beginn des neuen Jahrtausends schwadronierten alle von der Börse. Und obschon ihm die Welt der Aktien und Derivate und des verantwortungslosen Risikos "immer ein Graus war", wie er sagt, wollte er das Feld nicht kampflos seinen früheren Partnern überlassen. "Es war das Ego, ich wollte nicht verlieren." Also nahm Titus Dittmann Anlauf, sprang. Und verlor den Halt.

So ähnlich muss es im unmittelbaren Sinn Ende der Siebziger gewesen sein, als der Lehramtsreferendar Dittmann an Münsters Aasee-Ufer der Firmenlegende nach zum ersten Mal auf ein Rollbrett stieg. Obwohl Titus schon fast 30 war, ließ er sich von all dem Stolpern und Stürzen nicht beeindrucken: Er gründete sehr schnell eine Skateboard AG an seinem Gymnasium und schmuggelte das benötigte Material in großen Koffern aus Kalifornien ein. Zur ersten Ladentheke geriet der Küchentisch seiner 40-Quadratmeter-Wohnung.

Marktanteil von 95 Prozent? Titus fand das normal

Wenige Jahre später gab Dittmann den Lehrerberuf auf und verschrieb sich vollkommen seinem Leben auf Rädern. Er vertrieb Bretter und Rollen und Achsen und Klamotten, gründete das Münster Monster Masters, das später zur offiziellen Skateboard-WM mit Zehntausenden Zuschauern wurde. Der hauseigene Katalog galt inzwischen als die Bibel der Szene, das Unternehmen mit 550 Mitarbeitern machte in der Spitze 90 Millionen Euro Umsatz im Jahr. Titus Dittmann war nach einem Vierteljahrhundert Rollbrettfahrerei ganz oben angekommen. "Einen Marktanteil von 95 Prozent hielt ich für normal", sagt er.

Warum also nicht noch mehr wollen?

Als zwei ehemalige Mitarbeiter ausgerechnet mit den Ideen, die Titus als seine ureigenen betrachtet, an die Börse gehen wollten, sah der Münsteraner rot. Er holte sich Investoren an Bord, gründete eine Aktiengesellschaft und machte ordentlich Wind im Fernsehen. "Da wurden endlich meine Rockstar-Bedürfnisse befriedigt", sagte er hinterher dem "Handelsblatt". Das Problem war nur: Während Titus öffentlich auftrumpfte, wirtschafteten externe Manager seinen Laden herunter.

Denn die Sache mit dem Börsengang hatte sich schnell erledigt, als die Blase platzte und das allgemeine Aktienfieber deutlich sank. Weil die Investoren jetzt nur noch ihr Geld zurückhaben wollten, versuchten sie, die in die roten Zahlen gerutschte, aufgeblähte Firma auszuschlachten - wozu zwingend auch gehörte, die sperrigen Eheleute Dittmann aus dem Unternehmen zu drängen. In diesen Jahren wehte ein Hauch von Dallas durch das bieder-bürgerliche Münster. "Das war hart", sagt Titus.

Wenn er aber zu erzählen beginnt, wie er wieder Herr im eigenen Haus wurde, funkeln seine braunen Augen noch etwas entschlossener als sonst. Eines Abends, als gar nichts mehr ging, habe er mit seiner Frau im Garten gestanden und gefragt: "Brauchen wir das alles?" Die Villa. Die Autos. Das Renommee. Und sie hätten sich erinnert, von wie wenig sie damals als Studenten auf ihren wochenlangen Sahara-Expeditionen gelebt hätten. "In diesem Moment hatten wir keine Angst mehr", sagt Titus. "Da bekamen die anderen Angst vor uns."

"Das Unternehmen Titus ist die Familie Dittmann", sagt Sohn Julius

Die Eheleute nahmen sehr viel Geld auf, verpfändeten ihren privaten Besitz, die gemeinsame Altersversorgung. Sie kauften sich frei. Die Investoren wurden ausbezahlt, aus der hoch defizitären Aktiengesellschaft machte Titus wieder eine GmbH und bündelte darin die Geschäfte, auf die er sich konzentrieren wollte. "Ich war zuletzt Händler, Spediteur, Verleger, TV-Produzent, Reise-Anbieter und Sport-Veranstalter", sagt er. Jetzt lautete die neue Strategie des Familienunternehmers: Weniger ist mehr.

Titus konzentrierte sich auf das Kerngeschäft, nämlich den Handel mit Skateboards und Mode in 30 Läden, per Katalog und im Internet. Und so wurden binnen eines Jahres aus vier Millionen Euro Verlust satte 2,5 Millionen Euro Gewinn, obwohl zugleich der Umsatz um 25 Prozent sank. Die Krise war abgewendet, das Unternehmen gerettet, der Ruf wiederhergestellt. Doch zu einer vollständigen Bruchlandung hatte nicht viel gefehlt.

In der Krise habe er realisiert, sagte Dittmanns Sohn Julius hinterher einem Wirtschaftsmagazin, dass "das Unternehmen Titus nicht nur Titus ist, sondern Familie Dittmann, also auch ich". Darum hat der ebenfalls skatende Junior den Posten als Geschäftsführer der GmbH übernommen, so dass sich der Senior vor allem um die Projekte seiner karitativen Stiftung "Skate-Aid"  kümmern kann.

Drei Dinge, sagt Titus Dittmann heute, habe er in der schwierigsten Phase seines Berufslebens gelernt. Erstens: Lasse dich nicht von deinem Ego verführen! Zweitens: Verliere nie das Selbstvertrauen! Drittens: Habe keine Angst! Wenn man so will, braucht dieser Balanceakt, den Titus' Schaffen ausmacht, nichts anderes als eine rasante Fahrt mit dem Skateboard. Denn auch dabei gilt, was der Herr der Bretter in der zugigen Halle einem seiner gestürzten Studenten zuruft: "Steh auf und versuch es noch mal!"

Alles auf Anfang also.

Foto: Niels Starnick/ BamS

Autor Jörg Diehl (Jahrgang 1977) ist SPIEGEL-ONLINE-Korrespondent in Düsseldorf.

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