Umstrittener Bewerber-Anwalt Erst die Absage, dann der Prozess

Diskriminierung verboten: Unternehmen dürfen Bewerber nicht wegen ihres Geschlechts oder Alters aussieben
Foto: CorbisNils K., 42, sieht nicht so aus, als würde er später noch Mandanten erwarten. Er trägt ein knallblaues Poloshirt und bunte Armbänder, die Tür öffnet er persönlich. Ein Sekretariat hat er nicht. Einzig die schwarze Robe, die im Flur einsam an einem Garderobenständer baumelt, weist darauf hin, dass Nils K. Rechtsanwalt ist.
Ein sehr bekannter sogar. Im Sommer hat das Bundesarbeitsgericht einen seiner Fälle dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt, dahin muss es ein kleiner Einzelanwalt erst einmal schaffen. Dennoch ist das mit der Bekanntheit bei K. so eine Sache. Denn die Prozesse, durch die er auf sich aufmerksam macht, sind zwar spektakulär: Er kämpft darin eisern gegen Diskriminierung. Aber: Er führt sie nicht für Mandanten, die ihn als Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung beauftragt haben. Er führt sie in eigener Sache. Dafür hängt K. inzwischen ein sehr unschöner Titel an: Er gilt als "AGG-Hopper". Der bekannteste der Republik.
AGG-Hoppern wird vorgeworfen, dass sie das deutsche Antidiskriminierungsgesetz ausnutzen, um sich dadurch zu bereichern. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), wie es in voller Länge heißt, verbietet es Unternehmen, Bewerber zum Beispiel wegen ihres Geschlechts, des Alters oder der Herkunft auszusieben. Wer das doch tut, kann auf Schadensersatz verklagt werden.

Geschlecht, Alter, Herkunft: Verbotene Formulierungen in Stellenausschreibungen
Die Staatsanwaltschaft München wirft Nils K. nun vor, er bewerbe sich gezielt auf Jobs, die er gar nicht haben will, nur um dann Entschädigung wegen angeblicher Diskriminierung zu fordern. Um die hundert Scheinbewerbungen habe er zu dem Zweck eingereicht. Die Ermittler haben ihn sogar wegen besonders schweren Betrugs angeklagt, darauf stehen im Ernstfall mehrere Jahre Haft. K. selbst sagt, er bewerbe sich nur auf Jobs, die er durchaus haben will, und werde auch noch dafür verfolgt, dass er gegen Diskriminierung aufbegehrt.
Was ist er also, ein Kämpfer oder Querulant?
Rückblick: 2009 bewirbt sich K., Mitte 30 und soeben von einem längeren Aufenthalt in Südafrika zurückgekehrt, bei mehreren Unternehmen, unter anderen bei der R+V Versicherung. Die hat Trainee-Stellen ausgeschrieben, ausdrücklich für Berufsanfänger mit nicht mehr als einem Jahr Berufserfahrung.
K. hat zu dem Zeitpunkt schon länger als Jurist gearbeitet. Er hat sogar schon einmal als Trainee eine Ausbildung in einer Versicherung absolviert. Er findet, dass ihn das besonders für den ausgeschriebenen Job qualifiziert. Die R+V-Versicherung findet das nicht. Statt der Einladung zum Vorstellungsgespräch schickt sie eine Absage. K. zieht daraufhin vor Gericht, das erste Mal. Denn für ihn ist klar: Er wurde wegen seines Alters diskriminiert.
Zahllose Bewerbungen, zahllose Absagen
Dies ist der Fall, der inzwischen vor dem EuGH gelandet ist. Das Bundesarbeitsgericht (Az.: 8 AZR 848/13) will von den Europarichtern klären lassen, ob auch Schadensersatz wegen Diskriminierung verlangen kann, wer sich offenkundig nur zum Schein in einem Unternehmen beworben hat.
Es ist aber nur der erste und bei Weitem nicht der letzte Fall, in dem sich K. über eine angebliche Benachteiligung beschwert. Er schickt zahllose Bewerbungen ab, an Anwaltskanzleien, Unternehmen, Institutionen. Er bekommt zahllose Absagen, schimpft, klagt. Einmal hat er sogar vor dem Bundesarbeitsgericht Erfolg: Das pfeift die Berliner Uniklinik Charité zurück, die einen Job für Young Professionals ausgeschrieben hatte (Az. 8 AZR 429/11). Manchmal verliert K. seinen Prozess, manchmal handelt er in einem Vergleich Schadensersatz aus. Die Staatsanwaltschaft spricht von einer Summe von 88.000 Euro. K. bestätigt die nicht.

Arbeitsrecht: Was Ihr Chef darf - und was nicht
Bis zu diesem Punkt der Geschichte hätte man sagen können: ein findiger Kerl. Dreist, aber clever. Doch K., offenes Gesicht und Dreitagebart, bestreitet, dass die Klagen in eigener Sache längst zu seiner Einkommensquelle geworden sind. Er beschreibt sich als eine Art Robin Hood der Rechtsstaatlichkeit. Er finde es untragbar, sagt er, wie in den Personalabteilungen Menschen ausgesondert werden, nur weil sie zu alt sind. "Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem man mit 50 Jahren keinen Job mehr bekommt."
Spätestens, seit er von den Medien als AGG-Hopper bezeichnet wird, haben sich die Verhältnisse für ihn endgültig verkehrt. Seither fühlt er sich verfolgt, sieht die von ihm beanstandeten Diskriminierungen gar in der Tradition der Entrechtungen während des NS-Regimes.
Eine Großkanzlei, von der er auch Schadensersatz wollte, hatte eigens ein Register für AGG-Hopper eingerichtet, um Berufskläger wie K. zu entlarven. Das wurde nur von Datenschützern wieder gestoppt. K. empört das zutiefst. "Nicht diejenigen werden an den Pranger gestellt, die diskriminieren, sondern die dagegen aufbegehren". Wenn er so etwas sagt, funkeln seine Augen angriffslustig.
Manchmal weiß man nicht, ob man ihn für naiv oder ausgebufft halten soll. Aus dem kleinen Anwalt aus München ist ein Politikum geworden. Einer, der sich in seiner Rolle sonnt und sie gleichzeitig scheut. Seine Kanzlei, in Münchens bester Gegend gelegen, ist telefonisch nur schwer zu erreichen.
Der Besprechungsraum ist mit dunklen Dielen ausgelegt, die Stühle mit weißem Leder bezogen. Doch das Regal mit den juristischen Büchern ist halb leer und wirkt eher ab- als aufgestellt. Es sieht nicht so aus, als würde K. hier oft mit Mandanten sitzen. Heute hat er auch keine Termine mehr. Er geht gleich Rennradfahren, wie so oft dieser Tage. Ob er auch Rennen fährt? Nein, sagt K. "Dafür bin ich zu alt."

Elke Spanner (Jahrgang 1967) hat Jura studiert. Statt sich durch juristische Akten zu quälen, schreibt sie aber lieber als Journalistin über Recht, Arbeitswelt und Karriere.